Kapitel 3

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𝕎𝔸𝔽𝔽𝔼ℕℙ𝕆𝕂𝔼ℝ 𝔸ℝ𝕋 𝟚

„Mister Shelby", schrie ich und polterte gegen seine Haustür. „Mister Shelby!".
Der Regen, der in Strömen auf mich niederfiel, dämpften meine Rufe, doch ich brüllte weiter seinen Namen. Immer wieder.
„Jetzt kommen Sie verdammt nochmal raus!". Ich wollte wieder gegen die einfache Tür aus Akazie schlagen, da öffnete sie sich und ein älterer Mann stand vor mir. Seine Augen voller Wut.

„Was zum Teufel schreist du hier so rum?".
„Ist Mister Shelby da?".
„Ich bin hier".

Ich musste ihn wohl aus dem Schlaf gerissen haben. Er trug nur ein weißes Hemd und eine einfach Hose. Beides schien sich perfekt an seinen gut gebauten Körper anzupassen.

„Es geht um Ihren neuen Vollblüter. Es sieht nicht gut aus".
Eine Sekunde später eilten wir durch den eisigen Regen hinunter zu den Ställen.

Ich hatte den schneeweißen Hengst sein Rechtes Vorderbein abgeklemmt und streichelte Vorsichtig seine Nüstern.
„Es war ein Fluch Tommy", sagte Curley ängstlich. Quatsch. Flüche gab es nicht.

Thomas ging auf ihn zu und nahm Curlys Gesicht in seine Hände, während dieser es wie ein Mantra immer wieder wiederholte.
„Shhh", versuchte Thomas ihn zu beruhigen. „Sag mir Curley, was mit dem Pferd geschehen ist?".
Der Mann fing fast an zu weinen und in gewisser Weise tat er mir leid. Curley war sicher eine leichte Seele mit viel Sensibilität. Es berührte mich.
Ich wendete den Blick ab.

Es war ein Fluch.
Es war ein Fluch.
Es war ein Fluch.

Flüche gab es nicht.
Das waren nur Hirngespinste von Menschen, die zu viel Angst vor der Wahrheit hatten.
Deswegen erfanden sie Geschichten, damit das Böse, nicht mehr so Böse erscheint.

„Bei dem Kauf gab es viel Streit", seine Stimme brach. „Die Lees haben die Hufe krank gemacht. Eine alte Frau hat das Pferd verhext!".
Thomas schaute erst das Pferd und dann mir in die Augen. Stumm nickte ich.
Er wusste, dass ich nicht dem Fluch zustimmte.
Es gab keine Rettung mehr.

Ich hatte so was noch nie zuvor an einem Pferd gesehen. Jedoch an Menschen. Krebs, schoss es mir durch den Kopf. Aber Krebs war nichts, was Pferde bekamen.

In Mister Shelbys Blick spiegelte sich tiefe Trauer wieder. Das war das erste Mal, das ich Emotionen an ihm ausmachen konnte. Wahre Emotionen. Dieses Tier musste ihm wohl etwas bedeutet haben.

„Diese Bastarde haben ihn verhext, verfluchte Scheiße", flüsterte er zu sich selbst.
„Was auch immer es ist, Mister Shelby, es wird auch in den nächsten Huf gehen". Ich ging nah an ihn heran und hauchte: „Bis in sein Herz".

„So einen Fluch". Thomas raffte sich Verzweifelt die Haare. „Habe ich schon zweimal gesehen. Den kann man nicht zurücknehmen, Tommy!".

„Raus!", brüllte er so brutal, dass ich zusammenzuckte. Ich bewegte mich jedoch keinen einzigen Millimeter. Auf keinen Fall werde ich Dars allein lassen. So hatte ich ihn Gestern getauft. Er sah einfach aus wie ein Dars.

Curley und noch ein zweiter Mann, den ich nicht kannte, verließen ohne ein weiteres Wort und mit vielsagenden Blick, den Stall.
Im nächsten Moment zog Thomas Shelby seine Waffe, stellte sie scharf und zielte auf das Pferd. Ich gab einen atemlosen Ton von mir.
„Es tut mir wahrhaftig leid". Sein Blick voller Trauer und trotzdem die Stimme aus Stahl. Wie konnte er nur so sein? So kalt?

„Dars".
Der Mann schaute zu mir.
„Ich habe ihn Dars getauft".

Dann war da ein Schuss.

Ich bewegte mich keinen Zentimeter. Weder bevor er abdrückte, noch während er abdrückte oder danach. Ich war ganz still und schaute auf das Blut in Mister Shelbys Gesicht.
Die Zeit schien still zu stehen und ich zählte die Tropfen auf seinem Gesicht.
Es waren zu viele.

Außerdem sah ich da Reue und wahre Schuldgefühle.
Das war nicht der Mann, den ich vor Tagen kennenlernte.

Eine Stimme in mir rief: Berühre ihn. Helfe ihm.

Ich tat nichts der gleichen, doch ich wusste, ich würde es tun.
„Kommen Sie mit", flüsterte ich und wartete auf keine Antwort.

Ich führte ihn den Hafen entlang zur einer kleinen Abzweigung.
Der Regen hatte mittlerweile nachgelassen und sich in dichten Nebel verwandelt.
Von weitem konnte man die Arbeiter in den Fabriken schuften hören und das Feuer darin zischen.

Ich ging in die Knie.
„Das ist das einzige Grün der ganzen Stadt". Meine Finger fuhren über ein paar Grashalme, die hier ganz versteckt wucherten. Sie waren nicht viele.
Er sagte nichts.
„Wenn ich mich scheiße fühle, komme ich immer hier her. Und glauben Sie mir, das passiert öfter als Sie denken und mir lieb ist". Ich lachte. Trocken.

„Jetzt gerade fühlen Sie sich scheiße".
Er sagte immer noch nichts.

Ich setzte mich auf den Boden und ignorierte die Kälte.
„Ich fühle mich immer scheiße, Aiyana. Ich war in Frankreich". Frankreich. Grundgütiger-
„Wie hat sich das angefühlt?".
Thomas nahm eine Zigarette und zündete sie an.

„Ich glaube nicht an Gott, aber es war die Hölle".
„Woran glauben Sie dann?".
Er zog an seiner Zigarette und der Rauch ging im Nebel unter.

Noch einmal antwortete er mir nicht.

„Soll ich gehen, Mister Shelby?".
Er schaute auf das Wasser, das langsam an uns vorbei schwamm.
„Das solltest du wohl". Ich stand auf und wischte mir über die Hose.
„Aber tu es nicht".

Meine Gefühle waren eine komplette Achterbahn.
So stellte ich mich direkt vor ihm, reckte das Kinn und blickte direkt in seine Augen.
Wir waren uns nie so nah gewesen.

„Ich möchte eine Sache sofort klarstellen", meinte ich. „Ich werde nicht mit Ihnen schlafen".

Überraschung durchfuhr sein Gesicht.

„Denkst du, ich will mit dir schlafen?".
Etwas in mit tat plötzlich schrecklich weh.
Sehr weh.

„Was ich sagen wollte, war, dass Sie nicht für mich entscheiden werden. Ich entscheide für mich. Sie haben mir Vorgestern befohlen ein Kleid rauszusuchen. Ich will, dass Sie mich darum bitten. Dann werde ich entscheiden".

Ein müdes Grinsen schlich über ihn.

„Miss Van Doren, würden Sie mich in ein paar Tagen auf ein Rennen begleiten? Ich brauche jemanden, wie Sie, um ein Geschäft abzuschließen".

„Ja, Mister Shelby. Ich werde Ihnen mit Freuden Helfen".
Ich setzte dahinter: „Aber nur, wenn ich dafür Bezahlt werde".

𝐍'𝐨𝐮𝐛𝐥𝐢𝐞 𝐩𝐚𝐬 𝐝𝐞 𝐯𝐢𝐯𝐫𝐞, 𝐌𝐫. 𝐒𝐡𝐞𝐥𝐛𝐲Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt