So glücklich wie nie, also fast

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Die nächsten zwei Wochen verflogen wie nichts. Annalena und ich freundeten uns immer mehr und mehr an. Mittlerweile würde ich uns als, fast schon richtig enge Freunde bezeichnen. Sie war mir wirklich an's Herz gewachsen, freundschaftlich, allerdings auch noch auf eine andere Art. Ich verfluchte es jedes Mal selbst, wenn ich mich mal wieder beim schwärmen erwischte. 'Warum ausgerechnet Sie?' Jeden einzelnen Tag sah ich sie an und wollte nichts lieber tun als sie einfach zu küssen, ihr nah zu sein. Ich wusste zwar, dass diese Gedanken falsch waren, aber wenn niemand hinsah, ließ ich sie zu. Das würde außer mir ja niemandem schaden... Meine Gefühle komplett zu unterdrücken wäre allerdings auch keine Lösung, also lieber so als garnicht.

"Toni, kannst du mir kurz was helfen?" Annalena riss mich aus meinen Gedanken.

Hätte ich fast vergessen zu erzählen, sie nannte mich mittlerweile Toni. Ich liebte diesen Spitznamen, vorallem natürlich aus ihrem Mund. Er zeigte einfach wie gut wir uns verstanden und löste in mir ein Gefühl von Geborgenheit aus. Es war zwar nur ein Name, aber mir bedeutete er sehr viel.

"Stehts zu ihren Diensten" antwortete ich.

Ein kleines Lächeln war nun auf ihren Lippen zu erkennen. Ich liebte ihr Lächeln, es hatte so eine wärme an sich und war total ansteckend.

"Ich hätte hier einen Stapel an Unterlagen den ich sortierten muss, könntest du vielleicht die Hälfte davon machen?"

"Kein Problem, soll ich mich zu dir setzen oder den Stapel zu mir nehmen?"

"Ich hab schon angefangen zu sortieren, wäre einfacher wenn du dich zu mir setzt"

Annalena zeigte mir schnell wo die verschiedenen Unterlagen hingehörten und wir begannen zusammen, gegen diesen Berg an Blättern zu Arbeiten. Nach und nach schafften wir tatsächlich immer mehr Ordnung.

Als wir fertig waren setze ich mich wieder an meinen Schreibtisch und machte dort weiter, wo ich vorhin aufgehört hatte. Hin und wieder sah ich zu Annalena rüber, wie sie irgendwas auf ihrem Computer tippte. 'Wie geschickt sie mit ihren Fingern war...' Hin und wieder glitt ihre Zunge leicht über ihre Unterlippe, das machte sie oft wenn sie konzentriert war. Eigentlich hatte ich ja selbst etwas zu tun, wenn ich sie noch länger anstarrte, würde ich wahrscheinlich nie fertig werden.

Ich war dabei, meine erste eigene Rede für die nächste Debatte zu schreiben. Ich war schon aufgeregt, ich wollte ja seit meiner Jugend mal eine Rede hier halten. Dass ich das je erreichen würde, hätte ich damals auch nicht gedacht.

Anfangs fiel es mir etwas schwer, in einen Schreibfluss zu kommen, einerseits weil ich immer etwas brauchte bis ich reinkam, und andererseits weil es mir schwer fiel nicht andauernd zu Annalena rüber zu Linsen. Nach einer Zeit konnte ich mich allerdings gut konzentrieren und kam in einem guten Tempo vorran. Es verging bestimmt eine gute Stunde, in der ich nicht einmal mit meinen Gedanken abschweifte. Ich wusste was ich zu sagen hatte und wusste genau, wie ich es formulieren musste, damit es ankam. Natürlich musste es nicht jeder gut finden, etwas Kritik vom rechten Rand war ja fast schon Pflicht bei einer ordentlichen linksgrünversifften Rede.

12:00 Uhr, schon wieder Mittagspause, zum Glück war das Essen in der Kantine heute garnicht mal so schlecht.

"Woran arbeitest du eigentlich gerade, du sahst so konzentriert aus" fragte Annalena.

"Meiner Rede für die nächste Debatte"

"Ah, deine erste, stimmt's?"

"Exakt, bin ein bisschen aufgeregt die zu halten, ich mochte auch in der Schule Präsentationen nicht so wirklich, jedenfalls den Teil mit dem vor der Klasse stehen"

"Das wird schon, ich glaub an dich! Bei meiner ersten Rede war ich auch etwas nervös, angemerkt hat man's mir aber anscheinend nicht. Ich hatte damals ja sogar noch ne Zwischenfrage..." sagte sie und schob sich eine Gabel voll Salat in den Mund.

"Erste Rede direkt mit Zwischenfrage, mich hätte das bestimmt total aus dem Konzept gebracht"

Ich weiß nicht wieso aber Annalenas Worte nahmen mir tatsächlich einen Teil meiner Angst. Es war schön, dass sie an mich glaubte und ihr allem Anschein nach auch etwas daran lag, dass es mir auch gut ging. Sie wusste genau was sie sagen musste damit es mir besser ging, damit war sie wohl so ziemlich eine Ausnahme in meinem Leben. Meine Mutter beispielsweise hatte das Talent, immer genau das Gegenteil von dem zu sagen, was mir irgendwie hilfreich gewesen wäre. Annalena tat mir wirklich gut, sie war genau so eine Freundin, die ich mir immer gewünscht hatte. Bei ihr fühlte ich mich sicher und nie irgendwie fehl am Platz. Dieses Gefühl war mir auch lange verborgen geblieben, durch Annalena entdeckte ich so viel Neues an mir, ich war trotz der vielen Arbeit auch kaum gestresst. Früher war es immer so, dass ich jeglichen Stress immer weggeschoben habe und immer mal wieder kam dann alles hoch und der Abend war gelaufen. Ich bekam danach immer erstmal nichts mehr auf die Reihe und alles war immer irgendwie beschissen, man konnte es nicht anders sagen.

Der restliche Arbeitstag war nichtmehr wirklich spannend, ich schrieb an meiner Rede weiter, hin und wieder half mir Annalena dabei oder ich half ihr bei irgendwas.

Am Abend als ich heim kam, mache ich mir schnell einen Teller Nudeln mit Tomatensoße, das ging schnell und schmeckte gut. Ich setze mich an den kleinen Tisch in meinem ebenso kleinen Esszimmer und begann zu essen. Immer wieder schaute ich auf den leeren Platz mir gegenüber. 'Schade eigentlich, dass ich immer allein hier saß...' Ich vermisste es schon, jemanden zu haben mit dem ich alles zusammen machen konnte, alles teilen, jemand der rund um die Uhr für mich da war und umgekehrt. Aber momentan war das sehr unrealistisch, ich war oft den ganzen Tag weg und Abends war ich immer komplett platt. Ich hätte nichteinmal Zeit jemandem kennen zu lernen, und dann war da noch Annalena. Meine Gefühle für sie wurden Tag für Tag stärker obwohl ich wusste, sie sollten nicht da sein. Ich wusste, sie würde mich niemals lieben und trotzdem sah ich sie immer wieder etwas länger an als notwendig, redete immer ein Paar Sätze mehr mit ihr als nötig und ließ mich jedes Mal von ihrer fröhlichen Art mitreißen, welche einem sofort das Herz erwärmte und ließ sie meinen Tag versüßen. Doch für sie, würde ich wohl nie mehr sein als nur eine Freundin. Sie würde nie dieses Kribbeln im Bauch bekommen, welches ich jedes Mal spürte wenn sie lachte, jedenfalls nicht wegen mir. Eigentlich hatte ich mich ja damit abgefunden, aber diese Gedanken taten trotzdem jedes Mal unglaublich weh. Ich hoffte einfach, meine Gefühle würden irgendwann verschwinden, ich würde eines Morgens aufwachen und sie wären weg. So etwas konnte doch nur vorübergehend sein, oder? Eine unerwiederte liebe würde doch mit der Zeit verblassen, nicht war? Sicher war ich mir da ehrlich gesagt kein bisschen, ich redete mir das nur ein um irgendwie klar zu kommen. Was war das nur für ein riesiger Mist, die Frage ging jetzt direkt ans Universum. Warum musste ich mir diese tolle Freundschaft so kaputt machen?

Mein Essen war mittlerweile größtenteils aufgegessen und der Rest war kalt. Ich aß auch diesen noch schnell auf und fiel letztendlich nur noch müde ins Bett.

I never knew I missed you/ Annalena BaerbockWo Geschichten leben. Entdecke jetzt