Es war einmal

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(Tw Selbstverletzung)

"Oh Gott Toni, was ist passiert?" Fragte Annalena und fiel mir, ohne überhaupt auf eine Antwort zu warten, in die Arme. Diese Umarmung war wunderschön und genau das, was ich gerade brauchte. Ich war zwar absolut überfordert mit der Situation und hatte keine Ahnung warum das gerade passierte, aber das war mir für den Moment auch egal, ich konnte Annalenas Wärme wieder spüren, ihren Duft wieder einatmen, das war alles, was mir gerade wichtig war.

Wir standen dort bestimmt mehrere Minuten nur so da und sagten kein Wort, das brauchten wir auch nicht. Keine von uns wollte die Andere wieder loslassen, wir waren aneinander geklammert als würden wir die jeweils Andere nie wieder verlieren wollen. Irgendwann lösten wir uns dennoch voneinander und sahen uns an, Annalenas Blick sah erleichtert und doch gleichzeitig ziemlich besorgt aus. Wie ich in diesem Augenblick aussah, wollte ich gar nicht so genau wissen.

"Hey Toni, bitte sag doch was" Annalena durchbrach die Stille.

"Ich- was machst du denn hier?"

Ich wusste nicht, was ich hätte sagen sollen.

"Ich hatte ein schlechtes Gefühl bei deiner Krankmeldung heute morgen, als ich dich dann vorhin angerufen habe, hat mir deine Stimme solche Sorgen gemacht, dass ich unbedingt nachsehen wollte, ob es dir wirklich so, naja gut geht wie du sagtest"

"Okay, möchtest du... reinkommen oder sowas?" Ich war mir immernoch nicht ganz im Klaren, was ich tun sollte.

"Wenn du möchtest, dass ich etwas bleibe dann gerne. Du siehst so aus, als könntest du gerade jemanden brauchen, und wenn ich das für dich sein kann, bin ich das gerne" ihre Blicke waren so weich und wohltuend, vor mir stand endlich wieder die Annalena, in die ich mich verliebt hatte.

"Danke, das weiß ich sehr zu schätzen. Dann komm mal rein"

Genau das tat sie auch, zusammen gingen wir dann ins Wohnzimmer und setzten uns nebeneinander auf die Couch. Ihr Blick fiel auf die, nichtmehr so wirklich volle Vodka Flasche, die immernoch auf dem Boden neben dem Sofa stand. Sie sah mich besorgt an, nicht nur aufgrund der Flasche versteht sich. Ich sah wie ihre Augen immer wieder an meinen Handgelenken festigen.

"Ich hoffe es ist dir nicht unangenehm wenn ich frage, aber wie kam es zu deinen Narben? Ich weiß das ist ein sensibles Thema, du musst auch ni-"

"Nein Nein, ist schon okay"

Ich war es zwar nicht gewöhnt darüber zu sprechen, auch aus dem Grund, dass ich meine Narben immer versteckte, aber bei Annalena fühlte ich mich irgendwie sicher und ich wusste, sie würde mir zuhören.

"Also, die Geschichte liegt schon eine ganze Weile zurück. Meine Kindheit war bis zur Trennung meiner Eltern wirklich schön. Meine Eltern waren beide wirklich toll, sie haben sich immer gut um mich gekümmert, bis ich älter wurde jedenfalls. Irgendwann trennten sie sich allerdings und alles veränderte sich. Meine Mutter schien mehr und mehr das Interesse an mir zu verlieren und fing irgendwann sogar an, mich als Problem anzusehen. Irgendwann fühlte ich mich Zuhause kein bisschen mehr sicher. Das war als ich vielleicht so Sieben oder Acht war. Jedes zweite Wochenende war ich dann bei meinem Vater, er war immernoch der beste Dad den man sich wünschen konnte, er war mein sicherer Hafen und meine Motivation, die Wochen zwischendrin durchzuhalten."

Langsam stiegen mir wieder die Tränen in die Augen als ich an all das dachte, noch war ich allerdings in der Lage diese zurück zu halten.

"Doch auch das hielt nicht für ewig, eines Morgens drückte meine Mutter mir einen Brief von ihm in die Hand, in dem stand, dass er jemanden kennengelernt hatte und deshalb wegzog, nach Frankreich. Mir war klar, dass ich ihn so schnell nicht wieder sehen würde, meine Mutter hätte mir so eine Reise nie bezahlt, und sowieso stand in dem Brief weder eine Adresse noch eine Telefonnummer unter der ich ihn hätte erreichen können. Ich weiß bis heute nicht, warum er mir jegliche Möglichkeit ihn zu erreichen vorenthalten hatte. Relativ kurze Zeit später, hatte sich meine Mutter einen neuen Freund aufgegabelt, was weiß ich wo. Der Typ war mir nie sympathisch, schon beim ersten Treffen nicht, er trug meine Mutter quasi auf Händen und schmierte ihr Honig um den Mund bis zum Geht Nicht Mehr. Zu mir war er anfangs auch wirklich nett, aber wie gesagt, mein Bauchgefühl mochte ihn nie. Dieses schlechte Gefühl bestätigte sich dann, als er bei uns einzog."

Mittlerweile liefen mir die Tränen unaufhaltsam die Wangen hinunter. Es tat aber auch unheimlich gut, all das mal jemandem zu erzählen, bei dem ich mich wirklich sicher fühlte, trotzdem fiel es mir unglaublich schwer.

"Auf jeden Fall war der Typ ein echtes Arschloch, er gab mir immer das Gefühl, wertlos zu sein. Egal was ich machte oder wie sehr ich mich anstrengte, es war nie genug. Zu dem Zeitpunkt war ich vielleicht 13 oder so in etwa. Er war auch nicht gerade von der leisen Sorte, er schrie mich dauernd, teilweise auch komplett grundlos an, vorallem wenn er getrunken hatte, was nicht gerade selten vorkam. Irgendwann hielt ich das alles nicht mehr aus und ich fing an, mich selbst zu verletzen, es war mein einziger Weg, mit all dem klarzukommen. Die ganze Situation wurde über die Jahre immer schlimmer, durch die Schule kam immer noch Leistungsdruck dazu, ich hatte immer überdurchschnittlich gute Noten, hatte aber immer das Gefühl, mich noch mehr anstrengen zu müssen, da mir auch in punkto Noten immer das Gefühl gegeben wurde, dass es nicht reichte. Die Schnitte in meinem Arm wurden auch immer tiefer und ich hatte das Ganze nicht mehr unter Kontrolle. Warum auch immer, war ich der Meinung, meiner Mutter davon zu erzählen wäre eine gute Idee gewesen. Ihre Reaktion darauf war natürlich nicht so, wie ich sie mir erhofft hatte, es war ihr komplett egal und sie-"

Ich fing an zu schluchtsen, diesen Teil auszusprechen fiel mir besonders schwer. Annalena bemerkte das natürlich sofort und zog mich etwas näher an sich.

"Alles in Ordnung, mach eine kurze Pause und sprich dann weiter, wenn du bereit bist, ich habe Zeit"

Ihre Worte taten unheimlich gut, sie stellte keinerlei Erwartungen mir gegenüber auf. In meinem Bauch vermischten sich alle möglichen Gefühle, ich war glücklich, endlich wieder mit Annalena vereint zu sein, ich hatte Schmetterlinge im Bauch von ihren Worten und gleichzeitig war ich gerede dabei, über etwas zu sprechen, über das ich noch nie mit jemandem so wirklich geredet hatte, was mir wie gesagt wirklich schwer fiel. Ich holte kurz Luft und begann erneut zu erzählen.

"Sie hatte es als eine Art Fetisch bezeichnet, etwas, dass mir so sehr wehtat. Diese Bezeichnung tat wahrscheinlich mehr weh, als der Fakt, dass es ihr egal war. Naja, der Mist geht aber noch weiter... Mit 17 habe ich dann meinen ersten richtigen Freund kennengelernt, damals wusste ich noch nichtmal, dass ich garnicht auf Männer stehe. Erstmals war er wirklich toll, er war meine Rettung aus diesem schrecklichen Haus, mein Licht im Dunklen. Er gab mir das Gefühl, geliebt zu werden und gab mir alles was ich immer vermisst hatte. Irgendwann wendete sich allerdings auch hier das Blatt, er machte mich quasi von ihm abhängig, er spielte mit mir um mich dort hinzubekommen wo er mich haben wollte. Er nutzte mich komplett aus, da er aber der einzige war, der mir auch das Gefühl gab, geliebt zu sein, kam ich nicht mehr von ihm weg. Er ließ mich, mich schlecht fühlen, wenn ich zum Beispiel keinen Sex mit ihm haben wollte. Es war also wie indirekt verboten, nein zu sagen, tat ich das, ignorierte er mich und redete mir ein, was für eine schlechte Freundin ich sei."

Inzwischen lag ich weinend in Annalenas Armen und mein Gefühlschaos war noch intensiver geworden. Ganz fertig mit erzählen war ich aber noch nicht.

Ich hoffe euch hat das Kapitel gefallen, ich weiß echt nicht, was ich davon halten soll, sowas 'dramatisches' zu schreiben liegt mir glaub net so... Schreibt mir gerne wie ihr es fandet.

I never knew I missed you/ Annalena BaerbockWo Geschichten leben. Entdecke jetzt