Kapitel 37

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Sandras Sicht

Den Rest der Stunde habe ich am Lehrertisch gesessen und irgendwelche Arbeiten korrigieren, damit ich ein wenig Ablenkung habe. Das Gefühlskarussel in mir ist nämlich kaum auszuhalten. Ich dachte das Pausenklingeln würde mir ein wenig Erleichterung verschaffen, jetzt wo alle Schüler den Raum verlassen haben und ich allein mit meinen Gedanken bin, doch ich bin nicht erleichtert. Gern würde ich meinen Gefühlen freien Lauf lassen, doch ich kann nicht einmal sagen, was ich aktuell fühle. Es ist so viel. Am liebsten würde ich zu Lena in den Kunstraum stürmen und sie zur Rede stellen, doch das wäre eine äußerst dumme Idee. Ich hoffe einfach, dass sie später Zeit hat und wir das klären können. Sonst werde ich noch verrückt.

Ich schreibe ihr fix eine Nachricht, in der ich sie bitte nach Schulschluss zum Musikraum zu kommen, weil ich ein paar Dinge mit ihr klären möchte und bekomme auch direkt eine Antwort.

Sehr gern. Bis später ^^ <3

Und schon mischt sich die Sehnsucht unter die ganzen anderen Gefühle, was alles nur noch mehr durcheinander bringt. Ich glaube ich habe einfach nur Angst, dass sie mich hintergeht, so wie Tom. Das würde ich nicht ertragen. Ich hoffe wirklich, dass es für diesen Kuss eine andere Erklärung gibt. Andererseits, wenn der Kuss harmlos war, warum hat sie mir davon denn nichts erzählt? Argh ich dreh noch durch.

Voller Verzweiflung werfe ich den zerknüllten Pappbecher quer durch den Raum und treffe dabei fast eine Schülerin, die gerade den Raum betreten hat. Ein wenig geschockt sieht sie mich an und ich weiß überhaupt nicht, wie ich reagieren soll. Ich habe nicht damit gerechnet, dass in der Pause jemand hier herunter kommt. Zu meinem Glück sagt sie jedoch nichts und holt nur ihre Tasche aus dem Raum, die sie scheinbar hier vergessen hat und verschwindet dann direkt wieder.

Das war wirklich peinlich. Ich muss mich zusammenreißen. Nur noch vier Stunden und dann habe ich es geschafft. Zumindest ist dann der Unterricht vorbei und ich muss nicht mehr so tun, als wäre alles in Ordnung.

***

Mein Herz schlägt wie wild und ich bin total angespannt. Das Gespräch, welches ich gleich mit Lena führen werde, wird vermutlich nicht leicht und mit Sicherheit werde ich meine Emotionen nicht mehr unter Kontrolle haben, sobald sie den Raum betritt. Seit heute morgen habe ich alles zurückgehalten, was in mir vorgeht und jetzt bin ich an dem Punkt, wo es wirklich raus muss. Die Wut, die Trauer, die Sehnsucht und diese Verzweiflung, die von Stunde zu Stunde gewachsen ist.

Etwas nervös schaue ich auf die Uhr und hole anschließend mein Handy hervor, um zu schauen, ob ich eine Nachricht erhalten habe. Fehlanzeige. Lena müsste also jede Sekunde hier sein, falls sie nicht aufgehalten wurde.

Plötzlich klopft es an der Tür. „Herein!" rufe ich nur, weil ich annehme, dass es ein Schüler oder eine Schülerin ist. Nur wer könnte denn jetzt noch etwas von mir wollen? Da niemand eintritt stehe ich von meinem Platz auf und gehe zur Tür, um nachzusehen. Erstaunt stelle ich fest, dass es Lena ist, die zwei Becher Kaffee mitgebracht hat.

Mit einem Lächeln auf den Lippen betritt sie den Raum und sagt: „Ich dachte mir, dass du vielleicht auch noch einen trinken möchtest." Sie ist so ein liebenswerter Mensch. Warum nochmal, bin ich sauer auf sie? Ach ja...das Bild. Jetzt wo ich sie so sehe, will ich es eigentlich gar nicht mehr ansprechen.

„Danke, das ist lieb von dir." sage ich und versuche zu lächeln, doch so wirklich will es mir nicht gelingen.

„Hey, ist alles okay? Du siehst ein wenig betrübt aus. War dein Tag sehr anstrengen?" möchte sie wissen und ich weiß einfach nicht, was ich darauf antworten soll. Etwas zwiegespalten sage ich eine Weile nichts und sehe sie nur an, bis ich meine Stimme wieder gefunden habe.

Eine Stimme zum VerliebenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt