Resignierend schloss der Professor den Laptop wenige Minuten später wieder. Wie sollte er Liya eine E-Mail zukommen lassen, wenn er die Mailadresse von ihr nicht hatte und er sich des Weiteren sowieso nicht sicher war, ob sie es sich nicht doch anders überlegt hatte. Jake konnte bestimmt sehr überzeugend sein und genau genommen war er ein Fremder. Wieso sollte Liya auch nur ansatzweise auf ihn hören?
Lustlos ließ er den Laptop zurück in seine Tasche gleiten und fuhr sich einmal nachdenklich durch die Haare. Er musste es zumindest probieren, Kontakt zu ihr aufzunehmen. Falls sie nicht freiwillig verschwunden war, dann würde er sich bis ans Ende seines Lebens Vorwürfe machen.
Vielleicht hatte ihr Jake wieder übel mitgespielt, weil sie seinen Anruf ignoriert hatte.
Auf einmal kam wieder Leben in den Professor. Schnell rappelte er sich vom Sessel auf und band sich kurzerhand die Haare in einem Dutt zusammen. Sie waren schon wieder viel zu lang geworden, aber um dieses Problem musste er sich ein anderes Mal kümmern. Das Einzige, was jetzt zählte, war Liya zu schützen. Einerseits, weil er das als ihr Dozent tun musste, andererseits aber, weil irgendetwas in ihm sie nicht loslassen konnte. Er sprach es nicht aus und versuchte den Gedanken daran zurückzuhalten, aber er würde nicht aufgeben, bis Liya in Sicherheit war. Auch wenn das bedeutete, dass er alles verlor, was er sich so mühsam erarbeitet hatte.
Den restlichen Nachmittag verbrachte der Professor damit, im Sekretariat zu lehnen und der sowieso schon genervten Sekretärin schöne Augen zu machen, mit dem eigentlichen Ziel, in einem unbemerkten Moment einen Blick in den Mailadressenverteiler der Studierenden werfen zu können. Was ihm nach einigen Stunden schlussendlich auch gelang. So schnell er konnte, verabschiedete er sich mit einer billigen Ausrede von seiner Gesprächspartnerin und hetzte durch die Gänge der Universität zu seinem Auto. Wie diese Frau einen wichtigen Satz innerhalb von so viel hohler Luft verpacken konnte, war ihm wirklich ein Rätsel.
Wenige Minuten später drehten seine Autoreifen kreischend auf dem Kies durch, bevor sie den nötigen Halt fanden. Mit einer fast schon kriminellen Geschwindigkeit fuhr der Professor in die Nacht, ohne sich noch einmal in Richtung Uni umzudrehen. Er würde morgen schon früh genug wieder hier sein müssen.
Der Blick von Liya fiel stetig auf die große Uhr am anderen Ende des Korridors, während sie durch die Uni lief. Es war ein Wunder gewesen, dass sie es heute Morgen überhaupt geschafft hatte, das Haus zu verlassen, nachdem Jake sie gestern noch auf dem Flur der Uni abgepasst hatte. Sie hatte es nicht bis zur Bibliothek geschafft. Vermutlich war er schon auf dem Parkplatz gewesen, als der Professor den Anruf von ihm abgelehnt hatte. Das, was gefolgt war, als Jake und sie nach Hause gekommen waren, ließ sich an ihrem Gang ablesen. Jede Bewegung schmerzte und wäre sie sich nicht sicher gewesen, dass ihre Kleidung alle Blutergüsse, Wunden und blaue Flecken bedeckte, dann wäre sie nicht aus dem Haus gegangen.
Hastig zog sie sich die Kapuze noch tiefer ins Gesicht, bevor sie vor dem Hörsaal zum Stehen kam. Zögernd streckte sie ihre Hand in Richtung der Tür aus, hielt vor der vergoldeten Klinke inne, ließ die Hand wieder nach unten sinken und umklammerte stattdessen ihre kleine Sporttasche auf der Schulter. Wenn sie diese Tür jetzt öffnete, dann würde es kein Zurück mehr geben. War das wirklich der beste Weg, oder war es sinnvoller, doch bei Jake zu bleiben?
Schnell flackerten Bilder vor ihrem inneren Auge auf und ab und sie bemerkte gar nicht, dass sie bereits einen Schritt von der Tür weggetreten war. Es war eine dämliche Idee gewesen Professor Hiddleston davon zu erzählen. Vermutlich hätte sie auf dem Absatz kehrt gemacht, wäre da nicht ein leises Räuspern hinter ihr gewesen.
»Hast du keine Vorlesung?«, fragte Nika, während sie in Liyas Sichtfeld trat.
So schnell, wie Liya ihre Hand von der Klinke genommen hatte ließ sie sie jetzt wieder zurückschnellen.
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Professor Hiddleston
FanfictionAls Liya nach den Semesterferien ins fünfte Semester ihres Studiums startet hätte sie nie gedacht, wie es sich entwickeln würde. Sie ist eine hervorragende Studentin aber der neue Literaturdozent Professor Hiddleston scheint ihren Traum vom 1,0 Absc...