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Seine Freundin? Er musste sich wohl verhört haben. Von allen Szenarien, die sich in seinem Kopf abgespielt hatten, hatte er dieses am wenigsten erwartet. Es kostete den Professor all seine Konzentration eine ruhige Miene zu bewahren. Innerlich sah es da schon ganz anders aus. Seine Gedanken rasten. Liya war die Freundin von diesem Macho? Alles in ihm zog sich zusammen. Er wollte gar nicht wissen, wie Jake mit Liyas Verhalten zusammenhing. Erst nach einem leisen Räuspern hatte er sich wieder halbwegs gefangen.

»In Ordnung...« Nichts war in Ordnung. Bei dem Gedanken Liya mit ihm allein zulassen, protestierte alles in ihm. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass Liya bereits schlief. Er hatte sie doch gerade noch dabei gehört, wie sie sich mit jemandem (vermutlich war es Jake gewesen), gestritten hatte. Andererseits war er ihr Professor und er war ihr von der Uni bis zu diesem Haus gefolgt. Er wusste selber, was das für ein Bild abgab.

Der Professor atmete tief durch und öffnete die Faust, die er in seiner Jackentasche zusammengeballt hatte. Wenn er jetzt einen Aufstand machte, dann würde das in die falsche Richtung gehen. Er hatte keinerlei Beweise für seine Annahmen und außerdem würde sicher jeder wissen wollen, warum er als Professor auf einmal vor der Tür einer Studentin auftauchte. Keiner würde das Verhalten ihres Freundes hinterfragen. Zumindest nicht so lang, bis Liya eine Aussage machte. Alle würden aber wissen wollen, warum der Professor abends hinter seiner Studentin herschlich wie ein Stalker. Betont ruhig fuhr er sich mit seiner Hand durch die Haare und beendete seinen Satz.

»Wenn sie ihr das bitte einmal übergeben würden...« Langsam hielt er die Hamlet Ausgabe in die Richtung von Jake, welcher ihm das Buch nur unsanft aus der Hand nahm, den Titel las und die Nase rümpfte. Professor Hiddleston ließ sich weiterhin nichts anmerken, auch wenn die Wut in ihm kochte. Selbst wenn Jake mit Klassikern selber nichts anfangen konnte, konnte er ihnen doch trotzdem Respekt erweisen. Allein schon, weil sie Liya wichtig waren.

»Geben sie ihr bitte außerdem Bescheid, dass die Vorlesung morgen schon um 12:30 beginnt, anstatt wie geplant um 13:00 Uhr.« Mit einem kurzem Nicken wendete er sich zum Gehen, auch wenn sein Verstand ihn lautstark anschrie nicht zu gehen. Er wollte gar nicht wissen, was Jake jetzt zu Liya sagen würde. Es würde ihn wundern, wenn sie morgen tatsächlich früher kam. Vielleicht war sie dann aber zumindest einmal pünktlich, wenn sie eine halbe Stunde Puffer hatte. Die Tür hinter ihm fiel lautstark ins Schloss, als der Professor am Ende der Treppe angekommen war. Er drehte sich nicht um und blieb auch nicht stehen. Er konnte spüren, dass irgendjemand ihn beobachtete. Also tat er genau das, was von ihm erwartet wurde. Entspannt schlenderte er durch den makellosen Vorgarten zurück auf die Straße und ging diese ein Stück entlang.

Erst, als er sicher war, dass ihn keiner beobachtete blieb er stehen und lehnte sich mit einem tiefen Seufzen an eine alte Backsteinmauer. Er hatte in diesem Moment nicht mehr tun können und trotzdem machte er sich Vorwürfe. Die Tatsache, dass Liya nicht zur Tür gekommen war sprach schon für sich allein. Sie hatte sich wenige Sekunden vorher noch mit Jake gestritten. Sie konnte nicht schon geschlafen haben. Das Gefühl einen gewaltigen Fehler gemacht zu haben, als er einfach gegangen war raubte ihm den Atem. Was, wenn Liya morgen gar nicht zur Uni kam?

Er lehnte gut weitere zehn Minuten einfach nur an der Mauer und starrte auf das Haus am anderen Ende der Straße. Mit einem leisen Seufzen fuhr der Professor mit einer Hand durch sein Gesicht und strich sich die wirren Strähnen weg. Hier zu stehen würde Liya auch nicht weiterhelfen. Ruckartig stieß er sich von der Mauer ab. Heute konnte er nichts mehr tun. Er würde morgen mit Liya sprechen, vielleicht war sie ja bereit ihm zu erklären, was hinter seinen Beobachtungen steckte. Unzufrieden sah er dabei zu, wie sich auch im letzten Raum des Hauses die Lichter löschten und nichts außer gespenstischer Stille zurückblieb. Eine Stimmung, die perfekt zu diesem Abend passte.

Professor HiddlestonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt