♥5♥

9 4 2
                                    


» ... ach ja, bevor ihr gleich in die Hofpause geht, schreibt euch bitte noch ins Hausaufgabenheft ein, dass wir am Montag eine LK über die Gefahrenpiktogramme schreiben werden.« Damit beendete Frau Fröhlich die Chemiestunde und entließ uns auf die zwanzigminütige Hofpause. 
Natürlich aber meldete sich noch eine meiner Mitschülerinnen um eine Frage zu stellen die man sich sicher selber beantworten könnte, wenn man mal sein Gehirn zum denken benutzen würde. Denn wenn Miriam sich meldete, war es klar, dass die Frage sinnlos werden würde. 

Sie wurde dran genommen und plapperte gleich los - was erstaunlich für sie war, denn für Gewöhnlich wartete sie nicht darauf, aufgerufen zu werden sondern schwatzte einfach rein -: »Reicht das, wenn wir das Arbeitsblatt lernen?«
Ich musste mich zügeln mir nicht die flache Hand lautstark gegen die Stirn zu klatschen. Die Frage war zu Hundertprozent selbst beantwortbar, denn wir hatten bloß dieses eine Arbeitsblatt wo alles drauf stand, was wir bis jetzt über die Piktogramme gelernt hatten. 

»Ja Miriam, das reicht vollkommen aus«, entgegnete Frau Fröhlich höflich und machte sich schon daran, im Klassenbuch nachzusehen wer die Tafel abwischen musste, während die Jungs wie gewöhnlich schon aus dem Zimmer verschwanden. 
»Fiona, wischst du bitte die Tafel schnell ab?« Natürlich kam ich der bitte nach, nachdem ich meine Jacke mir übergestreift hatte. Toni zog sich in der Zwischenzeit auch fertig an und unterhielt sich mit unserer Chemielehrerin bis ich die Tafel gesäubert hatte. 

Dann verabschiedeten wir uns von ihr und begaben uns ebenfalls auf die Hofpause. Ich sprang die langen Treppen freudig hinunter und versuchte nicht daran zu denken, dass ich diese nachher wieder hinauf gehen musste. Meiner Freundin ging es sicher ähnlich, auch wenn sie im Gegensatz zu mir normal die Treppen hinab stieg. 
Im Erdgeschoss angelangt, schlenderten wir durch den Hinterausgang auf den Hof und traten in das gleißende Sonnenlicht, welches uns direkt ins Gesicht leuchtete und für einige Sekunden blendete. 

Kurz schloss ich die Augen und ließ den sanften Wind mir um die Nase streifen und durch meine Haare fahren und genoss die warmen Sonnenstrahlen auf der Haut, denn diesmal war es kein beißender sondern äußerst angenehmer Luftzug. Der heutige Tag im Allgemeinen war nicht so kalt, wie man es eigentlich auf Grund der Jahreszeit vermuten sollte. Der Frühling war zwar noch lange entfernt, dennoch verspürte ich die leichte Frühlingsstimmung die in der Luft lag. 

»Wollen wir Runden laufen?« 
»Klar, meinetwegen«, antwortete ich nickend auf die Frage meiner Freundin und strich mir meine blonden Haare hinter die Ohren. 

Im Gleichschritt schritten wir los und begaben uns auf die Strecke zum Rundenlaufen. Instinktiv sah ich mich nach Trixie um, denn da ihre bestie Sophie nicht da war würde sie sich an uns dran kletten.
 Und da entdeckte ich sie auch schon. 

Das großgewachsene Mädchen stand mitten auf dem Hof und sah sich suchend um. Jetzt stellte sich hier die Frage, wen suchte sie wohl? Doch mir war die Antwort bewusst, und als sie Toni und mich erblickte, erhellten sich ihre Gesichtszüge ein wenig und sie kam, mit in die Jackentaschen gestopften Händen und hin und her wackelnden Zopf, zu uns herüber gelatscht.

Schnell musste ich Antonia noch vorwarnen, denn derer Blick lag nicht annähern in Trixies Richtung.
»Achtung, Trix kommt«, flüsterte ich ihr von der Seite zu und stieß ihr meinen Ellenbogen in die Rippen. 
»Wie bitte was?!«
»Auf zehn Uhr.«

Ihr Blick wanderte ein Stückchen herum und erblickte das Wesen von welchem ich sprach. 
»Super«, stöhnte sie und verstummte augenblicklich, als Trixie zu uns aufholte und sich an meine Seite gesellte. 

»Hi«, sagte sie in einem - ich glaubte - relativ gut gelaunten Tonfall. 
»Hey«, schossen wir zurück und sahen stur nach vorn auf den Steinboden. 
Schweigen.
Endloses Schweigen. 
»Wie gut denkt ihr wart ihr im Englischtest?«, griff sie irgendein banales Thema auf, welches ihr gerade in den Sinn kam und rüttelte schon längst vergrabene Gedanken wieder frei. 
»Ich hab ein gutes Gefühl«, erklärte Toni bemüht freundlich, denn manchmal machte es ja schon Spaß etwas mit Trixie zu machen, doch einfach zu viel von ihr war zu tiefst nervig - aber dafür konnte sie ja nichts, denk ich. 

»Ich auch. War eigentlich voll easy.« Mehr sagte ich nicht dazu, da der Englischtest jetzt schon ein bisschen über eine Stunde zurück lag und ich einfach keine Lust hatte, mich nochmal darüber auszutauschen. Trotzdem entsprach das, was ich gesagt hatte, der Wahrheit. Fast jedes Fach viel mir leicht, und das wusste die gesamte Klasse, deswegen war es auch kein Wunder, dass sie mich seit der fünften Klasse an immer ...

»Bei dir hab ich auch nichts anderes erwartet, Fiona, du bist doch so ein Streber.« 
Ohne nachzudenken boxte ich ihr mit aller Kraft die ich dafür nötig fand aufzubringen in die Schulter. Ja, ich war gut in der Schule, aber kein Streber, denn ich schrieb nicht nur einsen, doch das wollte echt niemand kapieren. Nicht einmal sie. 
»Au!«, stieß Trixie überrascht aus und rieb sich über die Stelle, an der ich ihr weh getan hatte.

»Selbst gewähltes Leid«, entgegnete ich Schulterzuckend und fügte hinzu: »Ich bin kein Streber.«
Irgendwann musste doch wenigstens sie das mal verstanden haben, schließlich wurde sie manchmal auch so bezeichnet und ich denke, dass Trixie das auch nicht so lustig fand. 
»Wie fandst du die Arbeit so?«, beteiligte sich Toni wieder an unserer Unterhaltung und sah die braunhaarige abwartend an. 

»Ging so, wird wahrscheinlich eine zwei oder drei.« Trixie war noch nie super gut in Englisch gewesen, und das wussten wir beide auch, dafür gab es aber andere Fächer die ihr lagen und in denen sie auch gut war.  
Mein Hirn hatte nicht mehr viel Lust über Schule zu reden und so stellte es sich auf offline, während die anderen weiter über Schule und solche Themen diskutierten. Das meiste davon ging wirklich nur bei dem einen Ohr rein und bei dem anderen wieder raus und grub sich nicht weiter in mein Bewusstsein vor. 

Schweigend lief ich einfach nur zwischen den beiden weiter - wie der Belag zwischen zwei Sandwichscheiben - und ließ meinen Blick aus Langerweile über den Schulhof schweifen, suchend nach nichts bestimmten ...
... doch mein Unterbewusstsein hatte andere Pläne für mich und lenkte meine Augen in Richtung Fußballplatz genau zu der einzelnen Bank die Tag ein und Tag aus allein da vor sich rum gammelte. 

Eigentlich saß dort nie eine Person, da:
1. die Bank mit dem Rücken zum Fußballplatz stand und an das - nennen wir es jetzt mal - Gitter dazwischen immer die Bälle mit Vollkaracho dran rumsten und einen zusammen fahren ließen
und 
2. eine Mülltonne höchsten fünfzig Zentimeter daneben in den Boden angebracht war und ich denke, keiner das toll fand, wenn ständig irgendwelche Kinder ankamen und ihre Abfälle dort entsorgten. 

Doch an diesem Tag schien alles anders zu sein - und nein, gerade rede ich mal nicht vom Wetter. 
Meine Augen verharrten stur auf der Bank, doch eigentlich galt meine Aufmerksamkeit nicht dem schönen, braunen Holzgestell sonders der Person die tatsächlich diese Bank gewählt hatte, um darauf die Hofpause zu verbringen. 

Und es war nicht irgendjemand der da saß, denn wenn das so gewesen wäre, wäre es mir schlichtweg nicht aufgefallen. 
Denn es war der Junge, der mir kurz vor dem Chemieunterricht meinen Kopf - oder eher meine Gedanken - verdreht hatte. 
Er saß dort allein auf der Bank mit nach vorn gebeugter Haltung, die Ellbogen auf den Beinen abgestützt und dem Handy in der Hand, obwohl dies laut der Hausordnung strengstens verboten war, draußen wie drinnen. Doch den Lehrern die Hofpausenaufsicht hatten, viel das Offensichtliche wahrscheinlich gar nicht mehr auf. 

Wieder schweiften meine Gedanken zu ihm, gefolgt von meinen Augen die in der Zwischenzeit kurz den Boden unter die Lupe genommen hatten. Was auch immer er da tat, er sah einsam wenn auch nicht gerade traurig aus. Ich beobachtete ihn weiter eingehend aber zugleich unauffällig, und ich musste zugeben, er sah schon echt gut aus, auch wenn mir das vorhin nicht so aufgefallen war, da mich seine Augen so fasziniert und in den Bann gezogen hatten. 

»Fiona, was sagts du eigentlich dazu?« 
Erschrocken sah ich zu Trixie hoch und riss meinen Blick von dem Jungen auf der Bank weg, auch wenn mir das nicht gerade leicht viel. 
»Warte, was nochmal?«
»Na, wie findest du das?«
Ja, ich hatte nicht zugehört, aber zugeben wollte ich das ja auch nicht. Also blieb mir nichts anderes als zu improvisieren und meinen alten Trick auszuprobieren.
»Joa, naja ist ganz okay«, sprudelte es trocken aus mir heraus.
»Wie? Du findest es toll, dass wir jetzt in Kunst Porträts von uns malen müssen?«
Unmerklich atmete ich erleichtert aus, denn Trixie war auf meinen Trick reingefallen indem sie mir das Thema verraten hatte, und so konnte ich vertuschen, dass ich bei dem Gespräch abgeschalten hatte.
»Nein, ich find das sicher nicht toll, ich hab gesagt es ist okay.«

So war ich wieder raus aus dem Schneider und Toni redete mit ihr allein weiter, während meine Pupillen langsam wieder wie magnetisch angezogen zu einem ganz bestimmten Ort hin schweiften ... 

Eine ganz normale LiebesgeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt