Der Ymittos erweist sich als ein sanft geschwungener Berg mit einem tiefen Einschnitt zwischen seinen beiden Gipfeln. Der sogenannte Pass ist ein bequem zu gehender Weg, geeignet für Fußgänger und Reiter, aber auch für die drei schweren Wagen, die uns folgen. Und er ist der kürzeste Weg nach Athen. Wer den Pass meiden will, muss die Ausläufer südwestlich oder nordöstlich umrunden und das kostet sehr viel Zeit. Ich kann verstehen, dass Tess darauf verzichten will. Von unserem jetzigen Standpunkt aus ist es ziemlich weit. Um den Ymittos zu umgehen, hätten wir uns schon vor Stunden wesentlich weiter westlich halten müssen.
Die ansteigenden Hänge rechts und links sind von vielen Büschen und wenig Bäumen bewachsen, nur ab und zu von größeren und kleineren Felsstöcken unterbrochen, die aus der fruchtbaren Erde ragen wie Zähne aus dem Zahnfleisch. Über so ziemlich den ganzen Weg ist die Umgebung gut einzusehen. Mir ist es ein Rätsel, wie man hier einen Hinterhalt legen kann. Tess, den ich frage, lächelt nur und weist nach vorne: „Siehst du den großen Felsen da vorne?"
Das Dings, auf das Tess zeigt, ist der größte Felsstock, den ich auf dem Pass bisher entdecken konnte. Etwa fünf Meter hoch, gute vierzig Meter breit, mindestens ebenso tief und nach hinten ansteigend flankiert er unseren Weg. Und etwa in der Mitte ist eine Öffnung wie eine riesige Pforte.
„Da drin ist eine Höhle", erklärt Tess grinsend. „Und es ist nicht das erste Mal, dass sich dort Männer verstecken, um die Reisenden auf dem Pass zu überfallen."
„Aber – das ist doch ziemlich dumm", wende ich ein. „Da können sie nicht alle auf einmal hinaus. Der Sinn eines Hinterhaltes ist doch, den Gegner einzuschließen, bevor er begriffen hat, dass er angegriffen wird?" So habe ich das jedenfalls den Aufzeichnungen über Taktiken entnommen. Minos' Bibliothek ist sehr gemischt und im Labyrinth habe ich alles gelesen, was man mir hingelegt hat. Ob es mich interessiert hat oder nicht, alles war besser, als über meine missliche Lage nachzugrübeln.
„Pallas ist nicht gerade die hellste Fackel im Tempel."
Naja, Tess eigentlich auch nicht. Aber nur in Bezug auf Zwischenmenschliches. Was Kampftaktiken anbetrifft, hat er einiges drauf.
Tess winkt einigen Dienern, ihm zu folgen. Neugierig begleite ich ihn, als er auf den Felsstock zugeht und dann direkt an der hohen Wand zur Öffnung schlendert. Schon nach wenigen Schritten halte ich ihn zurück. „Du hast recht." Ich habe sie bereits hören können.
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Unstern unter dem Mond 🏃♀️
FantasíaNur unter dem Mond fühlt sie sicher. Als sie verflucht wurde, ist sie vor den Menschen und den Göttern in eine Höhle geflohen. Dort fristet sie nun mühsam ihr Leben und wagt sich nur nachts heraus. Und sie zeigt niemandem ihr Gesicht, nicht einmal i...