Momentelang ist alles still. Dann reden alle durcheinander.
„Bist du sicher? Wirklich sicher?" Aria schwankt sichtlich zwischen Hoffnung und Resignation. Fee hat das Problem nicht, sie strahlt bereits wieder. „Wenn er wach ist, kann er doch wieder ganz gesund werden? Aria, Medea, kann er?"
„Ich weiß nicht", Medeas Stimme klingt flach, sie spricht langsam, wie halb betäubt. „Selbst wenn – wie entsetzlich das für ihn sein muss! Und warum ist es uns all die Jahre nicht aufgefallen?"
Laus hat erschrocken die Hände hochgehoben. „Das wollte ich nicht! Entschuldige, Andé! Ich fass deine Füße nie wieder an, ich versprech's!"
Tess stöhnt auf: „Hätte ich doch bloß was gesagt! Aber ich dachte doch, ich täusche mich!"
„Es kann auch sein, dass er sich jetzt täuscht", widerspricht der Arzt mit einem Blick auf mich. „Es ist nicht selten, dass Familienmitglieder Lebenszeichen zu bemerken glauben, weil sie den geliebten Menschen nicht gehen lassen können."
„Asterios hat keine Einbildungen", erklärt Ikar fest. „Wenn er das sagt, glaube ich ihm. Wesentlich ist jetzt, warum kann sich Androgeos trotzdem nicht bewegen und wie können wir ihm helfen?" Gleichzeitig protestiere ich: „Ich weiß genau, was ich gesehen habe!"
Aria holt tief Luft und schließt für einen Moment die Augen. Als sie sie wieder öffnet, verschwindet auch die verstörte Miene und macht der gewohnten Tatkraft Platz. „Ruhe erstmal!", befiehlt sie und verdutzt schweigen wir alle.
Aria kommt zu mir herum und nimmt Andé genau in Augenschein. „Wie hast du das erkannt?", erkundigt sie sich sachlich bei mir.
„Er antwortet auf meine Fragen. Einmal zwinkern ist ja, zweimal nein."
Andés lebloser Blick ist auf Aria gerichtet. Er orientiert sich anscheinend an ihrer Stimme. Aria sieht ihm genau in die Augen und seufzt. „Absolut seelenlos", bemerkt sie. „So sehen die Augen von Toten aus. Aber Tote bewegen nicht die Lider."
„Und die von Blinden?", frage ich.
Medea antwortet mir. „Die sind in der Regel von weißen Schleiern bedeckt. Andés Augen hingegen sind klar. Und sie waren nicht verletzt, nur sein Schädel."
Ikar denkt nach. „Du hast vorhin gesagt, du glaubst, dass der Kopf der Sitz der Seele ist? Dann wird doch auch das, was wir sehen, in den Kopf gebracht, denke ich."
Medea nickt. „Ja, das sehe ich auch so." Die Doppeldeutigkeit ihrer Worte fällt ihr nicht auf. Mir schon, ich unterdrücke ein absolut unangebrachtes Grinsen. Und Andés Augen ziehen sich einen Moment lang zusammen. Ich glaube, er lacht innerlich. Man erkennt es nur nicht, weil er den Mund nicht unter Kontrolle hat.
Ikar folgert weiter: „Dann kann es doch sein, dass Andés Augen sehen, aber sein Kopf nichts davon weiß. Darum sind seine Augen auch wie tot. Andés Seele lebt, aber sie erreicht seine Augen nicht mehr."
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Unstern unter dem Mond 🏃♀️
FantasiNur unter dem Mond fühlt sie sicher. Als sie verflucht wurde, ist sie vor den Menschen und den Göttern in eine Höhle geflohen. Dort fristet sie nun mühsam ihr Leben und wagt sich nur nachts heraus. Und sie zeigt niemandem ihr Gesicht, nicht einmal i...