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Tausend Messer. Ich fühlte mich als würden mich tausend Messer auf einmal durchdringen. Es war wie ein endloser Albtraum. Immer mehr Messer gesellten sich dazu und irgendwann war kein Platz mehr für weitere. Mein ganzer Körper brannte, stand in Flammen, vor lauter Schmerz. Bis ich es nicht mehr aushielt. Der Albtraum fraß mich von Innen auf und ich konnte es nicht stoppen.

Ich zitterte, mir war heiß und kalt zu gleich. Schlagartig riss ich meine Augen auf und schrie. Ich schlug wie wild um mich, versuchte die Messer von meinem Körper zu streifen, doch als ich panisch mit meinen Händen meine Arme und Beine entlang strich, konnte ich sie nicht finden. Sie waren verschwunden. Plötzlich schlossen sich zwei starke Arme um meinen Oberkörper und eine Hand presste meinen Kopf gegen eine muskulöse Brust. Als ich den süßen Geruch wahrnahm, kam ich langsam wieder zu mir und beruhigte mich. Der Schmerz wurde weniger und die Panik lies nach. Meine Augen waren schmerzhaft fest zusammengepresst, doch ich war nicht bereit sie wieder zu öffnen.

Viele Minuten vergingen, in denen wir einfach nur so dasaßen und nichts sagten. Die Hand strich behutsam über mein Haar und ich atmete tief durch, bevor ich mich langsam von der Person löste und meine Augen öffnete. Kellan blickte mir besorgt entgegen und ich keuchte erleichtert. Ohne richtig darüber nachzudenken, fiel ich ihm um den Hals und begann zu weinen. Ich war unendlich froh ihn zusehen. In seiner Nähe fühlte ich mich sicher, unantastbar. Er war mein Fels in der Brandung. Als ich plötzlich ein Stechen in meinem Bauch wahrnahm zuckte ich zurück und sah überrascht auf das weiße Nachthemd, das ich trug. Es färbte sich langsam blutrot und ich zischte auf. „Verdammt.", murmelte Kellan, stand vom Bett auf und eilte zu einem Schrank, aus dem er Verbandszeug holte, bevor er sich wieder zu mir setzte. „Leg dich hin." Ich tat, worum er mich bat, und legte mich zurück ins Bett. Vorsichtig schob Kellan mein Hemd hoch, zog den alten Verband ab und kümmerte sich um die aufgegangene Wunde, während ich versuchte von dem Schmerz nicht erneut loszuheulen.

Als er fertig war, ging er zu einem anderen Schrank, holte ein frisches Nachthemd heraus und reichte es mir. „Ich werde Cali bitten, dir beim Anziehen zu helfen. Soll ich danach wiederkommen?" Ich nickte unsicher lächelnd und Kellan verließ den Raum. Kaum 5 Minuten später betrat Calima vorsichtig den Raum und sah mich mit großen Augen an. „Hey." Brachte ich mit kratziger Stimme hervor und lächelte schief. Sofort begann Cali in Tränen auszubrechen und setzte sich zu mir ins Bett. Traurig legte ich meine Hand auf ihren Arm, während sie ihre Tränen mit ihren Händen von den Wangen wischte. „Wir dachten du wärst tot. Als Kellan dich aus dem Schloss getragen hat, war seine Kleidung voll mit deinem Blut und du warst nicht ansprechbar. Dein Puls war beinahe nicht mehr zu spüren. Es war ein Glück, dass Graf Rhalgar dich aufnahm und seinen besten Heiler dich behandeln ließ." „Tut mir leid, dass ich euch so einen Schrecken eingejagt habe." Cali schüttelte den Kopf. „Es ist ja nicht deine Schuld." Wieder begannen Cali die Tränen die Wangen hinunterzulaufen. Ich wischte sie weg und sah sie aufmunternd an. „Bitte, hör auf zu weinen. Mir geht es gut und ich bin hier bei euch." Stirnrunzelnd sah Cali mich an. „Aber nicht mehr lange." Ich sah sie fragend an. „Deine Mutter ist hier. Sie hat wohl sehr lange auf dich gewartet und als du nicht in Elysia aufgetaucht bist, kam sie her und suchte nach dir. Jetzt wo du wach bist, will sie dich direkt mitnehmen, damit du in Elysia gesund werden kannst." Ich bekam eine Gänsehaut. Ich hatte ganz vergessen, dass ich meiner Mutter versprochen hatte zu ihr zu kommen nach der Hochzeit. „Cali es-" „Bitte, Gwen. Spar dir das. Ich weiß alles. Und ich weiß auch, dass es dir leidtut. Es war sicher eine schwere Entscheidung und ich werde dich sehr vermissen, aber ich verstehe es." Dankbar lächelte ich sie an und nahm ihre Hand in meine. „Danke, Cali." Sie nickte nur und half mir dann vorsichtig auf, damit ich das frische Nachthemd anziehen konnte.

Als ich angezogen war, bat ich Cali mir zu helfen aufzustehen und aus dem Zimmer zu gehen. Erst als ich im Raum stand, wurde mir klar, dass ich in Rhakas Zimmer gelegen hatte. Rhaka wollte sicher, dass ich es bequem habe, schließlich war ihr Bett das beste im ganzen Haus, wie sie mir die letzten Jahre immer wieder mitgeteilt hatte.

Wir gingen langsam durch die Flure, bis wir vor dem Kaffeesalon des Grafenhauses stehen blieben. Cali klopfte und Rheyas Zofe öffnete lächelnd die Tür. Wir traten vorsichtig ein und augenblicklich wurde der Raum still. Rhaka, Finnian, Rheya, Rhalgar, meine Mutter, Mari und Kellan starrten mich überrascht an und ich lächelte unbeholfen. Sofort sprang Kellan auf und eilte zu mir, um mich auf der anderen Seite zu stützen. „Was macht sie hier, Cali. Sie soll sich ausruhen." Fauchte Kellan Cali wütend an und ich stieß ihm leicht in die Seite. Er sah mich nur an und seufzte dann. Rheya und Mari standen von der Chaiselongue auf, zu der Kellan und Cali mich führten und ich nahm vorsichtig Platz. „Es ist schön, dich auf den Beinen zu sehen. Es ist einige Tage her, seit du hier bist.", sagte Rheya und sah mich lächelnd an. Ich nickte dankend und sah zu Rhaka und Finn, die Händchenhaltend nebeneinander auf einer Couch saßen. „Es tut mir leid, dass ich eure Hochzeitsfeier so unfreiwillig verlassen habe. Ich hoffe ihr habt schön gefeiert." Mit großen Augen schüttelte Rhaka den Kopf. „Als Kellan zu uns gerannt kam und erzählt hatte, dass du verschleppt worden warst, haben wir die Feier sofort abgebrochen und uns auf den Weg gemacht dich zu finden." Ich sah traurig zwischen Rhaka und Finn hin und her. Ich schämte mich, dass ich ihre Feier ruiniert hatte. Hoffentlich würden sie nachfeiern, sobald es ging. „Es ist nicht deine Schuld, Gwen. Wir sind froh, dass es dir nun besser geht. Das ist alles was zählt. Es war nur eine Feier, wir können sie immer nachholen." Rhaka und Finn lächelten mich beide an und ich nickte erschöpft. Ich spürte, dass mich das aufrecht sitzen sehr anstrengte.

Kellan bemerkte es sofort und bückte sich zu mir herunter. „Möchtest du zurück ins Zimmer?" Ich sah ihn müde an und nickte. Vorsichtig hob er mich auf seine Arme und ich sah mich nochmal im Raum um, bevor er mich aus dem Raum zurück zu Rhakas Zimmer trug. Behutsam legte Kellan mich ins Bett und setzte sich dann neben mich. Wir sahen uns nur an. Wie immer sprachlos, unsicher was ich sagen sollte. Langsam bewegte ich meine Hand zu seinem Gesicht und streichelte seine Wange. Für einen kurzen Moment schloss Kellan die Augen, bevor er sie wieder öffnete. Doch er sah mich nicht an.

„Ich bin froh, dass es dir gut geht." Sagte er leise und ich lächelte schräg. „Ich auch." Antwortete ich und ließ meine Hand aufs Bett sinken. „Willst du mir erzählen was passiert ist?" Ich schluckte schwer. Die Erinnerung an die sechs Wochen, die für Kellan nur Stunden waren, lasteten wie schwere Steine auf meiner Brust. Und doch wollte ich mit jemandem darüber reden. Nur war Kellan der richtige dafür? Ich atmete tief durch und sah ihn an. „Willst du das wirklich hören?", fragte ich ihn, um sicher zu gehen. Er nickte nur, also fing ich an.

Als ich fertig war, sah Kellan mich finster an. Sein Atem ging schneller und ich war mir sicher, dass seine Gedanken in seinem Kopf umherschwirrten. Vorsichtig nahm ich seine Hand. „Sechs Wochen. Du wurdest sechs Wochen lang von deinem Cousin gefoltert und zwischendrin geheilt, nur um dann weiter gefoltert zu werden. Und dann hat er dich auch noch fast umgebracht. Tolle Familie hast du." Ich lachte ironisch auf. Er hatte recht. Eine tolle Familie hatte ich da. „Und du willst wirklich mit deiner Mutter nach Elysia gehen?" seine Stimme war plötzlich sehr leise und er blickte mich an, wie ein Welpe. Seine grünen Augen wirkten schal und ich spürte, wie mein Herz stach. „Das hat nichts mit wollen zu tun, Kellan. Das weiß du doch. Ich habe die göttliche Pflicht angenommen und jetzt muss ich sie auch erfüllen." Er sah mich kurz an, bevor er dann seufzte, aufstand und zur Tür ging. „Ruh dich aus, ich schätze deine Mutter will morgen früh sofort mit dir verschwinden.", dann trat er durch die Tür und schloss sie hinter sich.

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