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Bei Merlin! Was hatte er sich nur dabei gedacht? Draco raufte sich die Haare, während er durch das morgendliche London lief und dabei möglichst viele Umwege nahm, um noch ein bisschen Zeit für sich zu haben, bevor er das Ministerium erreichen würde. 

Scheinbar meinte das Leben es momentan nicht gut mit ihm. Nicht nur, dass Hermine Granger jetzt zufrieden in seiner Wohnung saß und seine Bücher las. Nein. Sie hatte ihn auch noch nackt gesehen und er hatte ihr Frühstück gemacht. Jetzt wusste er nicht, welcher der beiden Umstände befremdlicher war. Er war eindeutig zu nett zu ihr und das ohne einen wirklichen Grund. Mit Sympathie hatte das jedenfalls nichts zu tun. Derartiges hatte er ihr gegenüber noch nie empfunden und das würde sich so schnell nicht ändern. Ihm gefiel einfach nicht, wie dünn und ausgemergelt sie aussah, und zumindest der Versuch, dies zu ändern, war doch nicht verwerflich, oder? 

Sein Auftritt nach dem Duschen hingegen war eigentlich nur eine Trotzreaktion gewesen. Er musste sich selbst eingestehen, dass es ihm tatsächlich missfiel, dass Granger ihm gegenüber so offensichtlich abgeneigt, sogar angewidert, war. Er hatte nicht erwartet, dass Hermine Granger ihn jemals mögen würde, aber dass sie ihm gewisse Kandidaten vorzog, die er hingegen für absolut unangebracht hielt, konnte er wirklich nicht nachvollziehen. Er fühlte sich schon fast ein wenig beleidigt, dass sie ihn absichtlich ablehnte.

Auch jetzt kochte dieses Gefühl wieder in ihm hoch und er schnaubte leise. Sie könnte froh sein, wenn jemand wie er für Sex mit ihr bezahlen würde, statt der Kerle, die sie sonst den lieben langen Tag mutmaßlich zu Gesicht bekam. Er war wohlhabend, gutaussehend und intelligent, doch trotzdem sah sie ihn manchmal an, als wäre er nichts weiter als ein ganz besonders verabscheuungswürdiges Geschöpf. Es kratzte an seinem Ego.

Insgeheim hatte er vielleicht gedacht oder gehofft, dass sie dahinschmelzen würde, wenn sie ihn so unverhüllt vor sich sah. Nicht, dass er vorgehabt hätte, wirklich mit ihr zu schlafen. Aber aus irgendeinem unerfindlichen Grund wollte und brauchte er diese Bestätigung von ihr, was er sich selbst nicht erklären konnte.

Doch statt ihm diesen unausgesprochenen Wunsch zu erfüllen, hatte sie ihn lediglich schockiert gebeten, sich ein Handtuch umzulegen. Und um das alles zu übertreffen: sie hatte bisher noch nicht einmal einen Funken Dankbarkeit dafür gezeigt, dass er sie aus dem Bordell geholt hatte.

Er war es nicht gewohnt, zurückgewiesen zu werden, und Granger war mittlerweile auch nicht mehr in der Position, ihn zurückzuweisen. Trotzdem gab sie ihm ständig das Gefühl, dass er wieder zur Schule ging und es sich nur noch um wenige Momente handeln konnte, bis er sich den nächsten Schlag ins Gesicht einfing. Denn so war sie ihm am prägnantesten in Erinnerung geblieben. Doch diese Hermine Granger gab es nicht mehr. Oder etwa doch?

Er seufzte und schüttelte den Kopf. Seitdem er sie zum ersten Mal nach all den Jahren wieder getroffen hatte, fühlte er sich unwohl und verwirrt. Das alles hatte im Baton Rouge angefangen, als sie ihm so provokante Antworten gegeben hatte. Dann hatte er gesehen, wie sie tanzte, was ihn verwirrenderweise irgendwie erregt hatte, und jetzt saß sie in seiner Wohnung, weil er ihr und auch sich selbst unbedingt irgendetwas beweisen musste. Als ob er nicht genug Probleme hätte.

Selbst Schlaf bekam er nun nicht mehr, wenn er wusste, dass sie nebenan in seinem Wohnzimmer auf dem Sofa lag. Die ganze Nacht hatte er mit geschlossenen Augen versucht, endlich in das Land der Träume überzuwechseln, doch er hatte einfach nicht einschlafen können und war deshalb direkt nach ihr aufgestanden. Das war auch der Grund, warum er nun trotz der Dusche vollkommen übernächtigt war, und dabei brauchte er dringend einen klaren Kopf für die Arbeit, die ihm heute noch bevorstand. 

Umbridge würde ihm den Hals herumdrehen, wenn sie wüsste, womit er sich aktuell in seiner Freizeit beschäftigte, anstatt all seine Kräfte in Potters Verfolgung zu stecken.

Potter. Das war auch wieder so eine Sache. Draco spürte ein beklemmendes Gefühl in seiner Brust, während er darüber nachdachte, dass Granger einst zu Potters besten Freunden gezählt hatte. Er war sich sehr sicher, dass die beiden keinen Kontakt mehr hatten – das wäre viel zu auffällig und riskant gewesen -, aber trotzdem hatte er fast ein schlechtes Gewissen, denn Granger wusste wahrscheinlich nicht, woraus seine tägliche Arbeit bestand. Er war sich sehr sicher, dass sie ihn mit einem noch angewiderteren Blick bedenken würde, wenn sie erfuhr, dass er für Potters Verfolgung zuständig war. 

Baton RougeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt