Fünfzehn

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Während sie ihre zwei Gläser Wasser mit Zitronensaft trank und ihr Croissant genoss, setzte sich das Puzzle langsam immer mehr zu einem sinnvollen Bild zusammen. Was sie bisher wusste, war, dass Juna irgendwie früher zurückgekommen war. Aber ihre Mutter wollte es Juna nicht nehmen, es Hanna persönlich zu erklären. Scheinbar doch nicht so die super good news, die sie sich insgeheim irgendwie noch immer erhoffte. 

"Und dann hat sie gestern Abend bei uns geklingelt, sie wusste ja, dass du nicht da bist. Jedenfalls hat sie mir da erzählt, dass du sie angerufen hattest und in gar keiner guten Verfassung warst - damit meinte sie glaub ich nicht nur den Alkohol. Aber mehr weiß ich dazu auch nicht, tut mir leid." Ihre Mutter nahm Juna den Teller ab und stellte ihn ins Spülbecken. Fast so, als würde ihr die Wohnung gehören und Hanna war nur zu Gast. Also ja, das war sie auch, aber das waren ja beide. Apropos Wohnung: Was machte ihre Mutter jetzt hier eigentlich?

"Und wieso bist du jetzt hier?" Hanna versuchte, die Punkte zu verbinden. Vermutlich hatte Juna sie gestern mit hierher genommen. Aber Juna würde doch niemals mit ihr schlafen, wenn Hanna so weg war. Wieso war sie dann aber nackt gewesen? Hannas Mutter unterbrach ihre schnellen Gedankenkombinationen. "Juna hat mir heute morgen einen Schlüssel vorbeigebracht, den sollst du danach sowieso behalten, also lass ich den jetzt einfach hier für dich liegen." Sie kramte nach einem ganz normalen Wohnungsschlüssel, den sie links neben Hanna auf den Tisch legte. Juna wollte ihr also ihren Schlüssel geben, das war ja wenigstens mal ein gutes Zeichen, was ihre Beziehung anging. Oder nicht? 


"Danke nochmal, Mama. Wir sehen uns heute Nachmittag?", erkundigte Hanna sich noch ein letztes Mal, als sie ihre Mutter zur Tür brachte. "Bis dann. Hab dich lieb, mein Schatz." "Ich dich auch." Mittlerweile war es kurz vor zwölf. Was sollte sie jetzt machen? Vermutlich erstmal duschen...

Sie warf ihre Unterwäsche in die Waschmaschine und ließ diese laufen. Eine neue Hose, ein neues Oberteil und einen frischen Pullover oder was in der Richtung würde sie sich einfach aus Junas Kleiderschrank klauen. So viel von Junas Klamotten war zwar in dieser Wohnung nicht zu finden, aber es reichte für eine ausgewaschene Boyfriend-Jeans oder wohl eher Girlfriend-Jeans und ein weißes Vintage-Shirt. Hinter den T-Shirts stach ihr ein rosé-pinker Hoodie ins Auge, den sie kurz darauf aus dem Schrank kramte. Auf dem Rücken standen einige Namen, darüber der Schriftzug "Abitur '06". Oh Gott. Da war Hanna ja gerade einmal drei Jahre alt gewesen. War ihr Altersunterschied wirklich so groß? Wenn Juna 2006 Abitur gemacht hatte, dann musste sie ungefähr im Jahr 1987 geboren sein. Das machte sie 16 Jahre älter als Hanna. Sechzehn Jahre. Als Hanna geboren wurde, kaufte Juna das erste Mal selbst eine Flasche Wein - oder einen Kasten Bier. Aber nein, Juna war definitiv ein Weintrinker. Oder war sie das vielleicht früher gar nicht? Es half wohl nichts, sich jetzt den Kopf über Dinge zu zerbrechen, die absolut nicht in Hannas Wissensbereich lagen. Also machte sie sich auf ins Bad, nur um sich gute zehn Minuten später mit einem Handtuch, das nach ihrer Freundin roch, ihre Haut, die jetzt auch nach Junas Duschgel duftete, abzutrocknen. Die Waschmaschine piepte pünktlich, um zu signalisieren, dass sie mit dem Schnelldurchgang fertig war. Hanna schnappte sich die triefenden Stoffteile und stopfte sie in den Trockner. Dann müsste sie wohl noch etwas länger im Handtuch durch die Wohnung laufen. Aber immerhin konnte sie die Zeit nutzen, indem sie die Couch herrichtete und ihr Geschirr von heute morgen abspülte.

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