Den nächsten Tag verbrachte ich allein Zuhause. Meine Mutter war bei einigen Freunden, weswegen ich das Haus heute für mich hatte. Nachdem ich mittaggegessen hatte, verzog ich mich mit einem Buch in den Garten. Während der Schulzeit würde ich wohl wieder kaum zum Lesen kommen. Zumindest nicht zu den Büchern, die ich lesen wollte. Also würde ich die letzten Stunden noch ausnutzen.
Mit einer einfach kurzen Hose und einem Bikinioberteil legte ich mich draußen auf eine Decke. Jetzt, wo der Spanner weg war, konnte ich wenigstens wieder etwas freizügiger im Garten liegen. Immerhin war das hier jetzt ein reines Frauenhaus. »Kein Wunder, dass der Kerl dich ständig beobachtet hat, wenn du so im Garten liegst«, riss mich irgendwann eine belustigte Stimme aus meiner Traumwelt. Etwas irritiert sah ich auf und entdeckte Patricia auf dem Balkon im oberen Stock. »Kein Wunder, dass du aus deiner Wohnung geschmissen wurdest, wenn du immer so charmant bist«, rief ich zurück. Kurz überlegte ich, ob ich damit zu weit gegangen war, aber kurz darauf lachte sie. Irgendwie mochte ich sie, auch wenn ich sie bisher nicht wirklich kannte, aber sie hatte so eine offene und direkte Art an sich, die mir gefiel. Sie kam die schmale Treppe herunter und direkt auf mich zu.
»Darf ich?« Sie deutete auf die ausgebreitete Decke und ich nickte, bevor ich wieder versuchte, mich auf mein Buch zu konzentrieren. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie sie sich das Oberteil auszog und dann selbst nur noch im BH auf der Decke lag. Kurz blickte ich zu ihr rüber, was nicht unbemerkt blieb. »Stört es dich?«, fragte sie schmunzelnd, weswegen ich rot wurde und schnell wegsah. Stören tat es mich sicher nicht, immerhin lag ich auch nicht mit viel mehr bekleidet hier herum. Außerdem würden wir uns in Zukunft wohl öfter im Garten so sehen. Dennoch war es merkwürdig, dass eine nahezu Fremde, halb nackt neben mir lag. »Nein«, antwortete ich verlegen und versuchte mich nun wirklich wieder auf das Buch zu konzentrieren. Erfolglos.
»Hast du schon alles ausgepackt?«, fragte ich, nachdem ich mehrmals den gleichen Satz angefangen hatte, ohne wirklich den Sinn zu verstehen.
»Das Meiste habe ich bereits letzte Nacht erledigt«, antwortete sie halb abwesend. Letzte Nacht? Entweder war sie jemand, der Dinge gern schnell erledigte, oder sie hatte einen genauso schlechten Schlafrhythmus wie ich. Ich wagte noch einen Blick zu ihr rüber. Mit geschlossenen Augen lag sie da und genoss das Wetter, so wie ich. Sie hatte definitiv einen schönen Körper. Schnell sah ich wieder weg, als mir klar wurde, was ich da gerade gedacht hatte.
Den kompletten Nachmittag verbrachte ich noch draußen, wobei Patricia irgendwann wieder ins Haus verschwand. Erst gegen Abend ging ich ebenfalls rein und bereitete schon mal das Abendessen vor. Da meine Mutter nicht pünktlich kam, stellte ich ihre Hälfte in die Mikrowelle und bereitete dann schon mal die Schulsachen für morgen vor. Nicht mehr so fröhlich packte ich alles zusammen und suchte mir sogar schon mein Outfit raus. Etwas, dass ich immer nur am ersten Tag nach den Ferien tat und dann nie wieder, weil ich es immer vergaß oder keine Lust hatte. Danach machte ich mich bettfertig und jammerte noch mit meinen Freunden in unserer Gruppe über den morgigen Tag, bevor ich versuchte einzuschlafen. Natürlich dauerte es eine Ewigkeit, da ich in den Ferien die meisten Nächte gelesen oder andere Dinge getan hatte, nur nicht geschlafen. Jetzt war mein kompletter Schlafrhythmus im Arsch.
Als mein Wecker klingelte, stöhnte ich genervt auf. Noch halb in meiner Traumwelt drückte ich die Schlummertaste und drehte mich um, damit ich noch etwas schlafen konnte. Allerdings kam nur wenige Minuten später meine Mutter rein, um mich zum Frühstück zu holen. Ich wollte noch nicht. Wieder war ich viel zu spät eingeschlafen und ich vermisste meine freie Zeit jetzt schon. Genervt und müde stand ich dann aber auf. Immerhin hatte ich gestern bereits alles für heute vorbereitet. Somit brauchte ich nur schnell duschen und konnte dann in mein Outfit schlüpfen. Eine einfache dunkelblaue Jeans, ein schwarzes Shirt und schwarze Sportschuhe. Nichts Außergewöhnliches, aber ich ging ja auch nur in die Schule und nicht auf ein Date. Meine braunen Haare, die mir nur knapp bis zur Brust gingen, ließ ich einfach offen. Noch ein wenig Make-up und dann ging ich auch schon in die Küche. Frische Pfannenkuchen, Ahornsirup und eine Schale mit Joghurt und Erdbeeren standen auf meinem Platz, während meine Mutter sich mich einer Tasse Kaffee zufriedengab. Ich Frühstückte schnell und machte mich dann auf zur Bushaltestelle.
In der Schule angekommen, wurde ich von Gesichtern begrüßt, die sich ebenso wie ich über das Ende der Ferien freuten. Überhaupt nicht. Aber die meisten überspielten ihre Laune und erzählten sich interessante Geschichten, die sie im Sommer erlebt hatten.
Ich ging in mein Klassenzimmer und ließ mich in der vorletzten Reihe neben Emily nieder. »Guten Morgen, Sonnenschein«, begrüßte sie mich fröhlich, als sie mein Gesicht sah. Ich lächelte über ihre gute Laune, die sie so gut wie nie verlor und begrüßte sie ebenfalls. Im selben Moment kamen auch Josh und Ana, die sich direkt hinter uns setzten. Wir begrüßten die beiden ebenfalls und drehten uns zu ihnen herum, damit wir noch etwas quatschen konnten. Dabei legte Josh einen Arm um Ana, welche sich direkt an seine Schulter lehnte. Ich grinste. Die beiden waren seit ihrem ersten Tag an dieser Schule befreundet und seit den Ferien auch endlich ein paar. Ich freute mich ehrlich für beiden, auch wenn ich etwas neidisch war. Nicht direkt neidisch auf einen der Beiden, aber auf die Beziehung an sich. Ich hätte auch gern mal jemanden, der mich so verliebt ansah. Wie gern würde ich auch endlich mal wieder das Gefühl erleben, wie es war, verliebt zu sein. Wenn das Herz viel zu schnell schlägt, die Knie weich wurden und der Kopf plötzlich wie leer gefegt war, wenn man mit der einen Person sprach. Das erste und letzte Mal verliebt gewesen war ich, als ich 14 war. Seitdem hatte ich niemanden mehr gefunden, der diese Art der Gefühle in mir auslöste, aber irgendwie hatte ich seitdem ohnehin nicht mehr das größte Interesse an Jungs gehabt. Hier und da hatte ich mich zwar auf einige Dates eingelassen, aber daraus wurde nie mehr.
»Was glaubt ihr, wen wir dieses Jahr in Deutsch und Sport bekommen?«, fragte Josh beiläufig, während er Ana den Rücken kraulte. Emily sah ihn verwirrt an, worüber ich kurz lachen musste. Manchmal war sie echt verpeilt. »Schon vergessen? Frau Haif ist schwanger und bekommt bald ihr Kind...?«, erinnerte ich sie und jetzt machte es auch bei ihr Klick. Sie lachte über ihre eigene Vergesslichkeit und vergrub, gespielt, beschämt den Kopf in den Händen, wobei ihr ihre schwarzen, schulterlangen Haare ins Gesicht fielen. Seit ein paar Tagen hatte sie auch grüne Strähnen drin. Letztes Jahr waren es noch pinke und davor blaue. Josh und Ana lachten beide. Im selben Moment ertönte die Klingel, woraufhin Emily und ich unsere Aufmerksamkeit nach vorn richteten. »Solange wir nicht den Berger bekommen... Der ist soo schrecklich«, jammerte Emily neben mir leise, worüber ich lachen musste. Aber ich musste ihr da zustimmen.
»Guten Morgen. Ich weiß, ihr habt keine Lust, die Ferien hinter euch zu lassen, aber wenn ich wenigstens eure volle Aufmerksamkeit haben könnte, bis ich die Anwesenheitsliste durchgegangen bin, wäre ich schon zufrieden«, scherzte eine vertraute Stimme. Erschrocken sah ich nach vorn. Tatsächlich. An der Tafel stand Patricia und wartete ab, dass es ruhig wurde. Ihre Mundwinkel zuckten kurz zu einem Lächeln, als sie mich sah. »Oh mein Gott. Das kann doch nicht wahr sein«, murmelte ich leise. »Was ist los?« Emily sah mich neugierig an. »Kennst du sie?«
»Ja... Sie wohnt seit vorgestern bei uns«, antwortete ich und sah sie ebenfalls an. Emily schien kurz nachzudenken, bevor sie verstand. »Sie ist eure neue Mieterin?«, fragte sie und lachte leise, »Du wohnst ernsthaft mit unserer Lehrerin unter einem Dach?«
Ich sah sie weniger amüsiert an, aber als ich sie sah, wie sie versuchte, nicht laut loszulachen, musste ich ebenfalls grinsen. »Nicht witzig«, meinte ich gespielt beleidigt und stupste sie mit dem Bein an. Ob das wirklich so lustig war, würde sich wohl in den nächsten Tagen zeigen. Würde Patricia mich jetzt privat anders behandeln, wo sie nun wusste, dass ich ihre Schülerin war? So einschätzen würde ich sie eigentlich nicht, aber durfte man zu einem Schüler privat engeren Kontakt aufbauen? Würde sie den Kontakt jetzt einschränken? Und warum machte ich mir darüber überhaupt Gedanken? Sie war einfach nur unsere neue Nachbarin, auch wenn sie seit langem mal wieder eine der angenehmeren Sorte war.
»Avery Layson?«, ertönte plötzlich mein Name und ich sah auf. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass Patricia bereits die Anwesenheitsliste durchging. Und auch nicht, dass sie sich scheinbar bereits vorgestellt hatte, denn hinter ihr stand in feiner Schrift »Frau Rainholds« an der Tafel. »Ja?«, antwortete ich schnell, was nicht mal nötig gewesen wäre, da sie mich bereits ansah. Natürlich. Ihre Lippen verzogen sich erneut kurz zu einem Lächeln, bevor sie weitermachte. »Hat noch jemand Fragen oder ein anderes Anliegen, bevor ich anfange?« Keiner meldete sich. »Wie alt sind Sie eigentlich?«, fragte Josh plötzlich hinter uns laut nach und grinste breit, als ich mich zu ihm umdrehte. »Ich bezweifle, dass ihr das für die Klausuren wissen müssen«, antwortete Frau Rainholds, aber Josh ließ nicht locker. Typisch. »Wir könnten es Klausurrelevant machen«, scherzte er und auch einige andere lachten. Frau Rainholds lächelte nun ebenfalls. »Wie wärs, wenn wir im Gegenzug dein Privatleben Klausurrelevant machen?« Die ganze Klasse lachte und auch Josh grinste breit. »Humor hat sie immerhin«, sagte er leise.
Ich schmunzelte ebenfalls und sah wieder nach vorne, wo Frau Rainholds gerade einige Blätter rausholte und diese verteilte. Wie sich herausstellte waren es einige allgemeine Fragen, um abzuschätzen, wie weit wir letztes Jahr gekommen sind und wo sie ansetzen müsste. Ich ging die Fragen relativ schnell durch. Deutsch war noch nie ein Problem für mich gewesen, aber ich war generell eine relativ gute Schülerin. Nur ein paar Fächer bildeten Ausnahmen, aber die hatte schließlich jeder. Immer wieder warf ich einen kurzen Blick nach vorn, wo Frau Rainholds saß und ihren Blick durch die Klasse schweifen ließ. Ich konnte einfach nicht glauben, dass sie unsere neue Lehrerin war. Plötzlich trafen sich unsere Blicke. »Gibt es ein Problem, Avery?« Schnell schüttelte ich den Kopf und sah wieder auf mein Blatt. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, dass einige kurz zu mir sahen und ich konnte spüren, wie ich rot anlief. Ich war nicht unbedingt die schüchternste Person, aber komplett im Mittelpunkt zu stehen, musste ich auch nicht. Ich fühlte mich einfach unwohl, wenn mich mehrere Leute gleichzeitig anstarrten, weswegen Referate für mich die Hölle waren.
Die Doppelstunde verging recht schnell und kurz darauf standen wir schon auf dem Pausenhof.
»Die Neue scheint ziemlich in Ordnung«, meinte Josh als Erster und ich stimmte ihm zu. Immerhin kannte ich sie sogar ein klein wenig besser als die anderen. Ana stimmte ebenfalls zu, während sie versuchte, ihre blonden Locken zu bändigen und sie am Ende einfach in einem unordentlichen Dutt zusammenband. »Zum Glück. Wenn wir noch so eine Hexe wie unsere Sportvertretung letztes Jahr bekommen hätten, wäre ich ausgewandert«, mischte Emily sich ein und grinste mich dann breit an. »Sei froh, dass die nicht deine neue Mitbewohnerin geworden ist«, scherzte sie und lachte wieder. Scheinbar fand sie das ganze ziemlich witzig. Auch Josh und Ana lachten jetzt und ich konnte nicht anders als mitzumachen. Dann hatte ich doch lieber Frau Rainholds über mir wohnen. Frau Hechs, von uns liebevoll Frau Hexe genannt, tat wirklich alles, um ihren Namen gerecht zu werden.
Als es klingelte, liefen wir wenig motiviert wieder zurück in die Klasse. Emily, die als Erste die Klasse betrat, stöhnte laut auf. Ich wollte gerade fragen, was los sei, als ich es sah. Frau Hechs stand an der Tafel und war gerade dabei einige Aufgaben an die Tafel zu schreiben, die wir sicher gleich abschreiben durften. Ihre braunen Haare waren kürzer als vor den Ferien und fielen ihr nur noch bis knapp auf die Schultern, dafür trug sie aber immer noch dieselbe riesige Brille und Klamotten, die aussahen, als wären sie hunderte Jahre alt. Abgetragene Sachen, ausgeblichene Farben und an einigen Stellen lösten sich bereits einige Fäden. »Na super. Jetzt haben wir die nicht nur als Vertretung, sondern das ganze Jahr am Hals«, jammerte Emily leise und legte den Kopf deprimiert auf den Tisch. Sie traf es vermutlich am schlimmsten. Nicht nur, dass Frau Hechs eine schlechte Lehrerin war, letztes Jahr hatte sie sich allen Ernstes über die Klamotten von Emily aufgeregt. Nur weil sie überwiegend Schwarz trug und manchmal Outfits anhatte, die eben nicht jeder Zweite trug. Seitdem war sie bei ihr komplett unten durch.
Wie erwartet machte sie keine halben Sachen und startete direkt mit dem vollen Programm ins Jahr. Die zwei Stunden zogen sich endlos hin. Bei jedem Blick auf die Uhr hatte ich das Gefühl, dass die Zeiger sich kein bisschen bewegt hatten. Irgendwann erlöste uns die Klingel dann aber doch noch und wir verschwanden wieder eilig in die Pause. Danach hatten wir nur noch zwei Stunden Biologie, die dank Herr Sid, sehr schnell um waren. Wieder besser gelaunt liefen wir alle Richtung Bus, wobei Josh und Ana sich kurz vorher verabschiedeten, um mit dem Auto nachhause zu fahren. Emilys Bus kam einige Minuten früher als meiner und so blieb ich allein zurück.
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Verbotene Küsse
RomanceAvery beginnt ihr letztes Schuljahr, bevor sie endlich alles hinter sich lassen und für ein Studium umziehen kann. Ein letztes Jahr mit ihren Freunden um zu feiern, auf Dates zu gehen und vielleicht endlich die große Liebe zu erleben. Letzteres pass...