Am nächsten Morgen war meine Laune am Tiefpunkt angekommen. Mit einem halbwegs klaren Kopf realisierte ich erst wirklich, was gestern Abend passiert war und was es in meiner Mutter ausgelöst haben musste. Im Gegensatz zu mir hing sie leider immer noch an ihm und hoffte, dass sich die Situation irgendwann bessern würde. Dass er irgendwann erkennen würde, dass er zu uns gehörte und sich dafür auch ändern würde. Eine viel zu romantische Vorstellung, an die ich nie geglaubt hatte. Bis meine Mutter zur Arbeit fuhr, lag ich in meinem Zimmer auf dem Bett herum und versuchte die Gedanken an meinen Vater zu verdrängen. Erst als ich allein war, ging ich raus in den Garten, um das schöne Wetter zu genießen und meine Gedanken abzuschalten. Bedauerlicherweise hatte ich nicht lang Ruhe, denn irgendwann kam Patricia und setzte sich auf den Stuhl neben mir. Ich grüßte sie nur knapp und versuchte, mich dann auf das Buch zu konzentrieren, welches wir für den Englischunterricht lesen sollten.
Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, wie Patricia sich eine Zigarette anzündete und kurz darauf stieg mir auch der Geruch davon in die Nase. Ich rümpfte die Nase und sah von meinem Buch auf. »Stört dich das?«, fragte sie und schüttelte den Kopf. »Nicht, wenn du mir eine abgibst.« Normalerweise war ich keine Raucherin, aber wenn ich viel getrunken oder ziemlichen Stress hatte, gönnte ich mir ab und mal eine. Und nach zwei Jahren seinem Vater zu begegnen, war für mich ein verdammt guter Grund. »Ich bin mir nicht so sicher, ob ich meiner minderjährigen Schülerin eine Zigarette geben sollte«, sagte sie leicht nachdenklich. Ich verdrehte die Augen. »Gestern Abend hast du auch nichts dazu gesagt, dass ich Alkohol trinke und außerdem bräuchte ich nur die fünf Meter ins Haus laufen und das Geheimversteck meiner Mutter plündern«, sagte ich wütender als beabsichtigt.
Sie sah mich noch kurz nachdenklich an, bevor sie die Schachtel rüberschob und mir ihr Feuerzeug gab. Schweigend saßen wir da, bis Patricia irgendwann die Stille durchbrach. »Willst du vielleicht jetzt darüber reden?«, fragte sie erneut und beobachtete meine Reaktion. Ich starrte stur auf die Hecken, die den Garten vor neugierigen Blicken abschirmten. Das Lesen hatte ich bereits aufgegeben. Meine Gedanken wollten einfach keine Ruhe geben und ich hasste es. Ich wollte nicht an meinen Vater denken. Das Thema hatte ich erfolgreich hinter mir gelassen, oder zumindest hatte ich das gedacht. »Nein. Ich will einfach nur meine Ruhe«, antwortete ich, drückte die Kippe aus und lief dann zurück ins Haus. Den restlichen Tag verbrachte ich in meinem Zimmer und versuchte mich dabei endlich auf das verdammte Buch zu konzentrieren. Auch am Sonntag verbrachte ich den Großteil meiner Zeit allein im Bett und ignorierte alles, was außerhalb meines Zimmers lag.
Am Montag ging ich dann immer noch mies gelaunt zur Schule. Emily entging meine Stimmung natürlich nicht und ich erzählte ihr von dem Treffen mit meinem Vater, was meine Mutter dazu gesagt hatte und wie beschissen ich das alles fand. Ich hatte einfach keine Lust darauf, dass er wieder anfing, sich in unser Leben einzumischen. Josh und Ana kamen kurze Zeit später und wurden ebenfalls auf den neusten Stand gebracht. Beide waren ebenso wenig begeistert darüber wie Emily und ich. Immerhin wussten sie alle genau, was ich damals durchgemacht hatte und wie scheiße es mir ging. Emily regte sich am meisten darüber auf. Kein Wunder. Wie oft hatte ich bei ihr übernachtet, wenn mein Vater mal wieder schlechte Laune hatte oder betrunken war. Ständig hatte ich mich bei ihr ausgeheult. Es wunderte mich noch immer, dass ihre Mutter das alles mitgemacht hatte.
Pünktlich zum Klingen trat Patricia, oder besser gesagt Frau Rainholds in den Raum. Die Klasse wurde fast sofort still, was beinah an einem Wunder grenzte. Aber sie schien uns wirklich im Griff zu haben, im Gegensatz zu vielen anderen Lehrern. Dennoch hörte ich kaum zu. Meine Gedanken kreisten immer wieder um meinen Vater meiner Mutter und die Frage, warum er zurückgekommen war. Eigentlich sollte es mich nicht interessieren, aber ich konnte nicht anders, als darüber nachzudenken. Wenn ich nur da gewesen wäre, anstatt feiern zu gehen. Ich hätte ihm sofort die Tür vor der Nase zugeknallt. Plötzlich stupste mich Emily an und ich zuckte zusammen. Verwirrt sah ich sie an. »Avery? Hast du überhaupt zugehört?«, fragte Frau Rainholds, woraufhin ich rot wurde und den Kopf schüttelte. Nein, hatte ich nicht. Kein einziges Wort hatte ich mitbekommen. Hilfesuchend sah ich zu Emily, aber auch sie zuckte nur mit den Schultern. »Du bleibst nach dem Unterricht bitte kurz hier«, sagte Frau Rainholds ernst und fuhr dann mit dem Unterricht fort. Ich seufzte leise und versuchte mich zu konzentrieren, aber ganz abschalten ließen sich meine Gedanken einfach nicht. Emily betrachtete mich mitfühlen von der Seite, sagte aber nichts.
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Verbotene Küsse
RomanceAvery beginnt ihr letztes Schuljahr, bevor sie endlich alles hinter sich lassen und für ein Studium umziehen kann. Ein letztes Jahr mit ihren Freunden um zu feiern, auf Dates zu gehen und vielleicht endlich die große Liebe zu erleben. Letzteres pass...