Gedanken und Gefühle

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Der Unterricht ging überraschend schnell vorbei und wir durften sogar 10 Minuten früher gehen. Gut gelaunt packten alle zusammen und flüchteten dann aus dem Raum. Ich war ebenfalls gerade am Einpacken, als plötzlich mein Handy vibrierte. Meine Mutter.


Mama: Ich hab Zuhause eine Einkaufsliste und Geld auf dem Tisch liegen lassen. Geh bitte nachher einkaufen und bereite das Essen vor. Ich bringe jemanden mit.

Überrascht las ich die Zeilen zweimal durch, bevor ich verstand, was sie geschrieben hatte. Sie brachte jemanden mit? Aber wen? Wenn es eine Freundin wäre, dann hätte sie es auch so geschrieben und Patricia hätte sie bei Namen genannt. Merkwürdig.
»Kommst du?« Emily und die anderen standen bereits an der Tür und warteten auf mich. Ich steckte das Handy weg und folgte ihnen.
»Schlechte Nachrichten?«, wollte Josh wissen und auch Ana sah mich an. Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Meine Mutter meinte nur, dass sie heute Abend jemanden mitbringen würde, aber sie hat nicht geschrieben, wen.« An sich wäre sowas nicht ungewöhnlich, nur kannte ich meine Mutter und sie sagte sonst immer Bescheid, wen sie einlud. »Vielleicht einen Mann, den sie kennengelernt hat?«, fragte Ana mit einem breiten Lächeln im Gesicht. Emily stimmte ihr sofort zu und hakte sich dann bei mir unter. »Das wird es sein! So oft, wie sie in letzter Zeit bei einer Freundin war«, sagte sie und wackelte mit den Augenbrauen. Ich verdrehte lachend die Augen. Das war doch verrückt. Sie würde mich nicht anlügen und behaupten, sie wäre bei Freunden, wenn sie doch eigentlich ein Date hatte. Oder? »Glaub ich nicht.«

»Wieso? Kann doch sein. Wärs denn schlimm, wenn sie jemand Neues mitbringt?«, fragte Josh. Scheinbar glaubten sie das alle wirklich. Schnell schüttelte ich den Kopf. »Nein. Schlimm wäre es nicht. Ich würde mich sogar freuen, wenn sie tatsächlich einen neuen Freund gefunden hat. Es ist nur...«, sagte ich nachdenklich. »Dass du skeptisch bist«, beendete Ana den Satz für mich. Ja, damit hatte sie wohl recht. Ich hatte definitiv kein Problem damit, wenn meine Mutter jemanden kennenlernen würde, aber ich hatte einfach Angst, dass sie wieder an jemanden wie mein Vater geriet. »Mach dir erstmal keinen Kopf und lass es auf dich zukommen. Sich jetzt schon zu viele Gedanken zu machen bringt nichts und du ruinierst dir nur deine Laune. Am Ende ist er vielleicht ganz nett und ihr habt einen super Abend«, munterte Ana mich auf. Es funktionierte halbwegs. Genau deswegen war Ana die beste Person, wenn es um Ratschläge ging. Sie hatte einfach eine klare und realistische Sicht auf die Dinge und betrachtete alles erst von allen Seiten, bevor sie etwas als positiv oder negativ einstufte. Ich schenkte ihr ein dankbares Lächeln, bevor sie sich mit Josh verabschiedete und sie zu seinem Auto gingen. Emily und ich liefen zu unserer Haltestelle. »Du wirst sehen. Sie wird sicher einen netten Mann mitbringen und ihr werdet einen super Abend haben.« Auch wenn alle ziemlich positiv eingestellt waren, blieb meine Skepsis und ein ungutes Gefühl machte sich in mir breit.

»Was ist, wenn sie wirklich jemanden kennengelernt hat und er nur vorgibt, nett zu sein?«, fragte ich Emily leise. Ich wollte wirklich nicht sofort vom Schlimmsten ausgehen, aber meine Angst ließ sich nicht abschalten. »Jetzt mach dir keinen Kopf, Sonnenschein. Es sind nicht alle Männer so wie dein Vater. Das Problem ist einfach nur, dass die schlechten Kerle mehr Aufmerksamkeit bekommen, weil die Leute nun mal lieber über negative Dinge sprechen, weil diese einfach interessanter sind. Jeder redet über den Nachbar, der seine Frau schlägt. Aber keiner redet darüber, wie viele Männer ihren Frauen abends Blumen mitbringen oder das neue Kinderzimmer für das kommende Baby einrichten.« Überrascht betrachtete ich Emily. Mit so einer Antwort hatte ich gerade nicht gerechnet, aber es war genau das, was ich hören musste, um meine Laune zu bessern. Sie hatte vollkommen recht mit dem, was sie gesagt hatte. Man konnte nicht alle über einen Kamm scheren. Ich seufzte und umarmte sie, da ihr Bus kam. »Heute Abend will ich eine gut gelaunte Nachricht von dir, wie toll dein Abend war, dass ich mal wieder richtig lag und wie toll ich doch bin«, sagte sie noch, bevor sie als Letzte in den Bus stieg.

Grinsend schüttelte ich den Kopf. Emily war echt süß und wusste genau, wie sie mich zum Lächeln brachte. Fünf Minuten später kam dann auch mein Bus und ich fuhr ebenfalls nachhause. Wie meine Mutter gesagt hatte, lag auf dem Küchentisch ein Einkaufzettel und Geld. Völlig überrascht las ich die Liste durch. Da standen genug Zutaten für eine Großfamilie, aber so wie ich erkennen konnte, plante sie wohl auch eine Vorspeise und Nachtisch. Als ich den Zettel umdrehte, bestätigte sich dann auch meine Vermutung. Sie hatte mir zusätzlich die Gerichte aufgeschrieben und die Seiten für verschiedene Kochbücher, wo ich die Rezepte finden würde. Ein Lächeln legte sich auf meine Lippen, als ich bemerkte, was sie vorhatte. Das Hauptgericht war das Lieblingsessen meiner Mutter, der Nachtisch war mein Lieblingskuchen und die Vorspeise war sicherlich etwas, das ihr Freund gern mochte. Ich fand es wirklich süß, wie viel Mühe sie sich gab. Das hatte sie lange nicht mehr gemacht. Zumindest nicht in diesem Ausmaß.

Ich packte alles ein und lief dann los. Der Laden war 20 Minuten Fußweg entfernt, aber den Hinweg konnte ich laufen. Zurück würde ich dann den Bus nehmen. Mit den schweren Taschen wollte ich nicht unbedingt den ganzen Weg laufen und besonders nicht bei der Hitze. Im Laden war nicht viel los und tatsächlich hatten meine Freunde mir die Angst vor dem Abend etwas genommen. Auch meinen Vater konnte ich erstmal wieder aus meinen Gedanken vertreiben, nur Patricia schlich sich immer mal wieder hinein. Ich konnte die Gefühle noch nicht ganz einordnen. Ob ich wirklich verliebt war oder einfach nur völlig durcheinander? Vielleicht war es auch einfach eine kleine Schwärmerei, immerhin war sie eine interessante und lustige Person. Nicht gerade optimal für eine Lehrerin zu schwärmen, aber das würde sicher wieder schnell vorbeigehen. Sie war unerreichbar für mich und ich kannte sie kaum. Zumindest nicht gut genug, um ernsthafte Gefühle zu entwickeln. Aber musste man eine Person gut kennen, um sich zu verlieben? Das Herz machte oft Dinge, die unerklärlich waren. Der Kopf hatte dabei kaum ein Mitspracherecht. Wie sonst konnten sich einige schon beim ersten Blick verlieben? Und ja, ich glaubte an so etwas.

»Na, Großeinkauf für die Woche erledigen?« Ich zuckte zusammen, als mich plötzlich jemand ansprach und mich aus meinen Gedanken riss. Natürlich war es Patricia, die lächelnd neben mir stand. Warum ausgerechnet sie? Sofort fing mein Herz wieder an zu rasen und ich wurde total nervös. Wie konnte mich eine Person, die ich gerade mal einige Tage kannte, so aus der Fassung bringen? »Großeinkauf, ja. Aber das ist alles für heute Abend.« Sie sah kurz in meinen Wagen, bevor sie mir wieder in die Augen blickte und mein Magen einen Purzelbaum machte. »Soll ich dich mit dem Auto mitnehmen? Dann brauchst du das nicht alles trage.« Ich überlegte kurz und stimmte dann zu. Dann musste ich mit den Tüten wenigstens nicht bis zum Bus laufen. Ich hasste es, mit einem kompletten Einkauf Busfahren zu müssen. Außerdem konnte ich so wenigstens noch ein paar Minuten mit Patricia verbringen. »Ich warte dann am Auto. Ich hab auf der linken Seite geparkt.« Damit ging sie dann in Richtung der Kassen davon, während ich noch durch die Gänge lief und den Rest zusammensuchte. Jetzt allerdings mit einem Lächeln auf den Lippen und besserer Laune als zuvor. Es war ein merkwürdiges Gefühl, wie diese Frau meine Laune beeinflussen konnte.

Da nur wenig los war, war auch der Parkplatz dementsprechend leer, sodass ich sie sofort sah. Sie war gerade dabei, ihre Zigarette auszumachen, als ich auf sie zuging. Wir verstauten alles im Kofferraum und ich setzte mich dann auf den Beifahrersitz. Im Auto roch es leicht nach Zimt und Orangen. Aus irgendwelchen Gründen fühlte ich mich direkt wohl, als ich mit ihr allein im Auto saß. Auch wenn ich mir wünschte, dass mein Körper sich mal etwas entspannen würde, anstatt Achterbahn zu fahren. Wir kannten uns zwar privat, aber sie war auch meine Lehrerin und mir gefiel nicht, in welche Richtung meine Gefühle sich für sie entwickelten. Aber ich konnte auch nicht anders, als sie heimlich von der Seite zu beobachten. Sie war wirklich attraktiv und ihre blauen Augen waren einfach wunderschön. Auch hatte sie einen schönen Körper, den ich schon mal etwas freizügiger sehen durfte. Meine Gedanken wanderten zu dem Tag, als sie nur im BH neben mir lag, was das Gefühlschaos nicht gerade besser machte. Ob ich sie noch öfter so sehen dürfte? Zumindest wollte ich das. Mein Herzschlag beschleunigte sich deutlich, als ich daran dachte, wie sie sich wieder neben mir auszog. Mein Blick glitt zu ihrem Mund und ich hatte plötzlich das Verlangen, sie küssen zu wollen. Warum konnte sie sich jetzt nicht einfach zu mir beugen und mich küssen? Der vernünftige Teil in mir schrie mir hunderte Gründe entgegen, warum sie es nicht tat und warum es keine gute Idee wäre, selbst wenn sie es wollte. Aber die lautere Stimme in meinem Kopf wollte es.

»Habe ich was im Gesicht oder gefällt dir einfach nur, was du siehst?«, fragte sie sichtlich amüsiert und warf mir einen kurzen, belustigten Blick zu. Ich zuckte zusammen, wurde knallrot und drehte mich in die andere Richtung. Oh Gott, sie hatte mitbekommen, wie ich sie angestarrt hatte. Schon wieder. »Nein. Sorry. Ich hab nur nachgedacht«, antwortete ich verlegen und merkte selbst, dass meine Stimme alles andere als normal klang. »Über mich?« Wieder dieses Lächeln. Diese Frau machte mich wahnsinnig. Ich schüttelte den Kopf, wusste aber nicht, ob sie es gesehen hatte. »Über das Abendessen heute. Meine Mutter bringt jemanden mit und macht bisher ein Geheimnis daraus, um wen es sich handelt«, log ich schnell und hoffte, dass sie das eben wieder vergaß. »Klingt, als hätte sie jemanden kennengelernt und will ihn dir vorstellen.« Sie glaubte also auch, dass es sich um einen neuen Freund handelte. Scheinbar musste da was dran sein, wenn alle den gleichen Gedanken hatten. Aber warum sagte mir mein Bauchgefühl dann was anderes?

»Kann schon sein.« Patricia sah wieder kurz zu mir rüber, bevor sie sich wieder auf die Straße konzentrierte. »Klingt nicht gerade begeistert«, stellte sie fest. Ich seufzte leise. »Es ist nicht so, dass ich mich nicht freuen würde, wenn es so ist, aber... ich bin einfach erst mal skeptisch, was das angeht«, sagte ich leise und starrte einfach aus dem Fenster. »Schlechte Erfahrungen?« Ich biss mir auf die Lippe und überlegte kurz, wie viel ich sagen wollte. Sollte ich ihr von meinem Vater erzählen? Aber wozu? Außerdem war das Thema zu lang für die kurze Autofahrt und ich wollte es einfach nur hinter mir lassen. »Kann man so sagen.« Sie warf mir erneut einen Blick zu, den ich nicht deuten konnte, sagte aber nichts weiter dazu. Scheinbar hatte sie gemerkt, dass ich nicht weiter darüber reden wollte. Kurz darauf bogen wir dann auch schon in unsere Einfahrt und trugen jeweils unsere Einkäufe nach drinnen. Im Hausflur verabschiedeten wir uns dann. Als ich eintrat, war natürlich niemand Zuhause. Ich räumte den Einkauf weg und erledigte dann meine Hausaufgaben, bevor ich späten Nachmittag anfing, das Essen vorzubereiten. Meine Mutter hatte mir nochmal geschrieben, dass sie so gegen 18 Uhr da wären, weswegen ich um halb 5 schon mal anfing.

Als alles so gut wie fertig war, zog ich mich noch schnell um. Eine einfache grüne Bluse und eine dunkle Jeans. Nichts Aufwendiges, aber für einen guten Eindruck reichte es. Wenn sie wirklich einen neuen Freund hatte und ihn mir vorstellen wollte, dann wollte ich wenigstens einen guten ersten Eindruck machen. Für meine persönlichen Ängste konnte eine fremde Person schließlich nichts. Kurz vor 18 Uhr hörte ich dann, wie meine Mutter die Tür aufschloss und meine Nervosität stieg ins Unermessliche. Als ich sie lachen hörte, beruhigte ich mich allerdings wieder etwas. Sie schien gute Laune zu haben und anscheinend brachte ihr neuer Freund sie immerhin zu Lachen anstatt zum Weinen. Ich atmete nochmal tief durch und hoffte, dass man mir meine negativen Gedanken nicht ansehen konnte. Dann ging ich in den Flur, um die beiden zu begrüßen. Als ich die Person hinter meiner Mutter erblickte, blieb ich wie erstarrt stehen und mein Lächeln verschwand sofort. Was zum Teufel machte mein Vater hier?!


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Hay. Ich melde mich auch mal zu Wort. Die Geschichte hat ja schon mehr Reads als ich erwartet hätte, wenn ich ehrlich bin. :D
Über positive Kommentare oder vernünftige Kritik würde ich mich natürlich freuen.
Euch noch einen schönen Morgen/Abend/Tag. Falls es überhaupt jemand bis hier hin geschafft hat und den Text hier lesen sollte. xD

Verbotene KüsseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt