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Lucy starrte in ihre eigenen Augen. Und diese schwarzen Pupillen, umgeben von saphirblauen Iriden, schienen direkt in ihre von dunklem Nebel umsponnene Seele zu blicken. Ein eisiges Prickeln kroch ihre Wirbelsäule hinunter. Nach viel zu langen Sekunden bemerkte sie, dass nicht nur die Augen den ihren glichen. Der Geist vor ihr nahm ihre gesamte Gestalt an. Von den nachtblauen Haaren mit den fast silbernen Strähnen, über den kleinen Mund mit blassen Lippen, bis hin zu ihrem hellblauen flauschigen Pinguinpyjama und den nackten Zehen, an denen der eisblaue Nagellack schon absplitterte.

Ja, Lucy liebte die Farbe blau. Sie liebte die beruhigende Wirkung, die vor allem dunkles Blau auf sie ausübte. Die Haare hatte sie sich ein paar Tage nach dem Selbstmord von Julia tiefblau gefärbt. Selbst. Im Bad hatte es ausgesehen, als wäre ein Schlumpf explodiert. Aber sie war mit dem Ergebnis trotzdem zufrieden gewesen, dennoch ging sie das nächste Mal zum Friseur. Lucy hatte die Hoffnung, sich selbst nicht mehr zu hassen, wenn sie in den Spiegel blickte. Dass all das Blau auf ihrem Körper sie so weit beruhigen konnte, dass sie sich morgens die Zähne putzen konnte, ohne dabei dem Spiegel den Rücken zukehren zu müssen. Vielleicht lag es an ihren Selbsteinredungskünsten, aber es hatte gewirkt. Lucy verschloss nicht mehr die Augen.

Doch das Blau, das ihr nun gegenüberstand, war falsch. Sie hatte geglaubt, keine Angst mehr fühlen zu können, keine Furcht mehr. Nichts mehr zu empfinden, doch sie hatte sich getäuscht.

Nur ein Traum. Nur ein Traum. Nur ein beschissener Traum.

„Lass das", zischte sie das Wesen an. Es sollte sich wieder zurückverwandeln, es sollte nicht mehr ihre Gestalt annehmen. Lucy versuchte, sich zurückzuerinnern. An die Geschichten in ihrer Kindheit. Konnten sich Geister verwandeln? Doch ihr Gedächtnis ließ sie wieder im Stich. Möglicherweise lag es aber gar nicht an den alten Geschichten. Was, wenn ihr Traum ihr mitteilen wollte, dass sie sich immer noch hasste? Dass sie nicht verbergen konnte, wer sie wirklich war? Oder sie sollte endlich akzeptieren, dass Vergangenheit genau das war - Vergangenheit - und nach vorne blicken? Oder aber ihre Gedanken wirbelten wieder unaufhörlich in einem Strudel aus sinnlosem Wirrwarr und sie sollte aufhören, so viel in ihre eigene Gestalt hineinzuinterpretieren.

„Verwandle dich zurück!", herrschte sie den Geist ein weiteres Mal an und jetzt zeigte es Wirkung. Als hätte das Gespenst nun endlich seinen Fehler bemerkt, formte es seinen Mund - ihren Mund - zu einem kleinen „o" und zog die Augenbrauen in die Höhe. Eine Sekunde später sah es wieder so aus wie vorher. Nur ihre Augen und ihr Mund blieben. Keine leuchtenden roten Höhlen und spitzen Zähne. Na gut, damit konnte sie leben.

„Was sollte das?", fragte sie, noch immer mit einer Strenge in der Stimme, die sie nur benutzte, wenn ihr zehn Jahre jüngerer Bruder ihr das letzte Ben & Jerry's Cookie Dough weggegessen hatte. Unter ihren Worten schien der Geist kleiner zu werden. Verängstigt hielt er sich wieder die wabernden Hände vors Gesicht.

„Tu mir nichts!", flehte er.

„Warum sollte ich dir was antun?" Verblüfft zog Lucy die rechte Augenbraue in die Höhe. Sie ging ein wenig zurück, um dem Geist Platz zu bereiten. Er schien sich eingeengt zu fühlen. Ihre Träume waren schon immer seltsam gewesen, doch dieser übertraf sogar fast den Traum mit dem Clown, der Schlagsahne und der Schildkröte. Dieser würde jedoch immer ihr Geheimnis bleiben.

one haunting story of one blue girlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt