Riley
Gestern Abend flog mein Vater zurück nach Washington, doch es war anders als sonst. Er zog nämlich gleichzeitig auch aus. Ganz offiziell. Ich wusste, dass er nicht aus der Welt war und spätestens bei meiner Abschlussfeier werde ich ihn wiedersehen, aber nun würde sich mein Leben ändern. Kein gemeinsames Weihnachten mehr, kein Familienurlaub, keine Ausflüge zum See.
Ich versuchte nicht zu sehr an die Scheidung zu denken oder zumindest das Gute zu sehen. Mom würde vielleicht jemand Neuen kennenlernen, der mehr für sie da sein könnte. Einen Mann, der sie wieder glücklich machte. Das wäre ihr zu wünschen.
Und was war mit mir und meinem Glück? Das hing nicht wirklich davon ab, ob meine Eltern nun zusammen waren oder nicht. Momentan hing es erschreckend viel von Livia ab. Wenn wir zusammen waren, war die Welt in Ordnung. Selbst, wenn es bloß für ein paar Minuten in einem modrigen Kopierraum war.
Ein Seufzen entwich mir. Einen Monat noch, dann würde ich meinen Abschluss in der Tasche haben. Was war dann mit meinem Glück? Was geschah dann mit Livia und mir? Würden wir einfach auseinander gehen, als wäre nichts geschehen. Würde ich sie nie wieder sehen?
Es war diese eine Frage, die mir meinen Hals zuschnürte und Tränen über mein Gesicht fließen ließ. Es tat weh. Die Gewissheit, dass es irgendwann zu Ende ging, war immer da, doch jetzt wo dieses erschreckende Ende nur noch fünf mickrige Wochen entfernt war, fühlte ich mich elendig. Scheiße, ich wollte nicht, dass es zu Ende ging. Ich wollte Livia. Permanent, ohne Verfallsdatum.
In meinem traurigen, bemitleidenswerten Zustand schleppte ich mich zu Jamie, die zwei Kilometer südlich von uns wohnte. Ihre Eltern waren nicht da, was mir zugutekam, da ich auf die besorgten Blicke, die sie mir zuwerfen würden, wenn sie mich so verheult sahen, verzichten konnte.
„Was ist los, Riley?" Jamie nahm mich direkt in den Arm als sie mich an der Wohnungstür in Empfang nahm.
„Ich ..., sie ..., sie wird mir das Herz brechen", schluchzte ich. Jamie streichelte mir über die Haare. Für eine gute Minute hielt sie mich einfach nur, dann zog sie mich in ihr Zimmer und ich setzte mich auf ihr Bett.
„Ich mache uns einen Kakao und dann erzählst du mir alles." Mehr als ein Nicken bekam ich nicht zustande.
Fünf Minuten später ließ sie sich mit zwei großen Tassen in der Hand neben mir nieder. Bevor wir auch nur ein Wort miteinander tauschten, tranken wir einen großen Schluck. Der Kakao war ein Ticken zu süß, genauso wie wir ihn am liebsten mochten.
„Chica misteriosa?" Jamies Frage durchbrach die Stille.
„Ja." Inzwischen hatte sie aufgegeben nach ihrer Identität zu fragen. Im Prinzip hatte sie auch schon alle Personen, die in Frage kamen, durchgeraten.
„Okay, dann erzähl mal, aber von Anfang an. Wie ist euer aktueller Stand? Ihr seid ein Paar, richtig?" Davon ging sie wohl aus, weil ich ihr von unseren Unternehmungen erzählt hatte. Livias Geburtstag, den Besuch in Salem und den Zeltausflug. Wenn man all das so betrachtete, dann gab es auch keinen wirklichen Unterschied zwischen einer festen Beziehung und dem was Livia und ich hatten. Nur, dass wir es eben nicht Beziehung nannten.
„Wir sind kein Paar. Nicht so richtig", meinte ich deprimierend.
„Echt nicht!?" Meine beste Freundin verschüttete fast etwas von ihrem Getränk, so aufgebracht war sie. „Nach all den Sachen, die ihr gemeinsam erlebt habt? Wieso? Hat das keiner von euch mal angesprochen?"
Es war schwer Jamie die Problematik zu verklickern, ohne ihr von dem kleinen, aber entscheidenden Detail zu erzählen, dass diese chica misteriosa niemand geringeres als Miss Lewis war.
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Gedichte einer Lehrerin
RomanceDas Leben der 18-jährigen Riley war nie besonders aufregend und das war ihr auch ganz recht so. Sie mied jegliche Skandale, meisterte die Schule mit Bravour und auch an ihrem Freund Ian gab es nichts groß auszusetzen. Trotzdem plagen sie Zweifel. Fü...