Livia
Die Bar, die Victoria mit mir aufsuchte, war eindeutig ein Ort an dem sich Besserverdiener aufhielten. Die Herrschaften waren allesamt schick gekleidet. Außerdem war es sehr viel ruhiger und gesitteter als in vergleichbaren Lokalitäten. Wir setzten uns direkt an den Tresen, weil wir von dort einen guten Blick auf die anderen Tische hatten.
„Paul und seine Politikerkollegen sind oft hierhingegangen nach der Arbeit", klärte mich Victoria auf. „Vor vielen Jahren, als er noch hier gearbeitet hat", fügte sie verbittert hinzu. Wenn ich sah, wie fertig sie diese Scheidung machte, bestätigte mich das nur in meinem Vorhaben niemals heiraten zu wollen. Wozu sollte das gut sein? Es war ja doch nur ein jämmerliches Versprechen, das sich Paare gaben von denen fast die Hälfte es eines Tages wieder zurücknahm.
Wir bestellten uns jeweils ein Cocktail und musterten dann interessiert die Gäste. Die meisten waren wohl Geschäftsmänner. Zumindest sahen sie in ihren teuren Anzügen so aus.
„Stehst du auf solche Männer?", fragte ich Victoria neugierig. Ich lernte Paul nie kennen, also wusste ich nicht, was für ein Typ Mann er war. Aber als Politiker würde er sicher auch in das Schema hier reinpassen.
„Irgendwie schon. Männer in Anzügen haben einfach was, denkst du nicht auch?"
„Ja, ich weiß was du meinst", log ich. Es wäre sicherlich ein guter Zeitpunkt sich zu outen, allerdings überkammich die lächerliche Sorge, Victoria würde sofort vermuten, dass ich was mitihrer Tochter am Laufen hatte. Also hielt ich mich lieber bedeckt und tat füreinen Abend so als würden mir Männer nicht total egal sein.
„Ich weiß überhaupt nicht, wie das gehen soll. Männer daten. Das habe ich am College zuletzt gemacht. Und damals war ich noch jung und gutaussehend. Besonders schwer war es da nicht jemanden willigen zu finden. Aber nun gehe ich auf die fünfzig zu."
„Na und? Es gibt genug Single Männer in deinem Alter. Lass dich davon nicht aufhalten", beruhigte ich sie. Victoria war aufgeschlossen, lustig und trotz ihres fortgeschrittenen Alters attraktiv. Sie wird es ganz sicher nicht schwer haben neue Männer kennenzulernen.
„Solange du neben mir sitzt, werden die Herren der Schöpfung mir definitiv keine Beachtung schenken", schmunzelte sie.
„Mit dem Selbstbewusstsein ganz sicher nicht."
„Auch wieder wahr", gestand sie sich ein.
Der Barkeeper bediente uns mit den bestellten Getränken, denen wir uns nun widmeten. Ich denke mehr als ein bisschen Ausschau halten wird Victoria heute sowieso nicht tun. Ein leichtes herantasten an den Markt der Singles. Für alles darüber hinaus wird sie noch ein paar Wochen brauchen. Zu frisch war die Scheidung.
„Ich beneide Riley", murmelte Victoria gedankenversunken vor sich hin. Den Cosmopolitan, den sie fest umklammerte, hatte sie im Handumdrehen schon halb leer getrunken. Nüchtern wollte sie keinesfalls nach Hause gehen.
„Weil sie jung ist?", riet ich, nicht wissend, um was sie ihre Tochter beneidete.
„Quatsch. Weil sie über beide Ohren verliebt ist. Ihr ständiges Grinsen ist kaum zu ertragen", stieß sie leicht gereizt hervor. Innerlich machte mein Herz einen kleinen Freudensprung, denn ich war der Grund für ihr permanentes Grinsen. Ich war der Grund für das Glück eines anderen Menschen. So ganz glauben, konnte ich das noch immer nicht.
„Und hast du das Mädchen inzwischen kennengelernt?", fragte ich so beiläufig wie nur irgendwie möglich.
„Nein, immer noch nicht. Jedes Mal, wenn ich frage, macht sie ein großes Geheimnis daraus. Wer weiß, vielleicht datet sie eine Kriminelle oder so." Solange das ihre einzige Vermutung war, konnte ich beruhigt sein.
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Gedichte einer Lehrerin
RomanceDas Leben der 18-jährigen Riley war nie besonders aufregend und das war ihr auch ganz recht so. Sie mied jegliche Skandale, meisterte die Schule mit Bravour und auch an ihrem Freund Ian gab es nichts groß auszusetzen. Trotzdem plagen sie Zweifel. Fü...