Nach dieser ersten Panikattacke kamen immer und immer mehr dazu. Wenn er Vorträge halten sollte, vor Prüfungen aus Versagensangst und manchmal auch einfach so, ohne sichtbaren Auslöser. Ich weiß nicht, was mit ihm los ist, aber es scheint ihn unglaublich zu belasten. Das einzige, was mich an der Situation ein wenig beruhigte, ist, dass das Abnehmen allmählich aufhörte, er war immer noch ein wenig zu dünn aber immerhin ging er nicht bis ins Untergewicht, denn er zwang sich immer dazu, zu essen wenn er merkte, dass es ihm schadete. Besser fühlte er sich dennoch nicht.
Ich erinnere mich noch an einen Morgen nach einem langen Wochenende, er hatte mir gesagt er habe keine Zeit, aber auf die Frage was er denn gemacht hätte, bekam ich keine Antwort. Er log mich an, so wie fast jedes Mal wenn er sich isolierte, wütend war ich keineswegs, aber ich machte mir unglaubliche Sorgen um ihn. Dennoch wusste ich beim besten Willen nicht, wie ich ihm auch nur ansatzweise helfen kann. Vielleicht hätte ich es jemandem, dem ich vertraue, sagen sollen oder ihn direkt darauf ansprechen sollen, aber ich hatte zu viel Angst. Jedenfalls blieb mir dieser Morgen im Gedächtnis, denn er hatte an jenem Tag einen besonders schlimmen Panikanfall.
Wir hatten normalen Unterricht und es gab keinen sichtlichen Auslöser, aber aus dem Nichts begann er hektisch zu atmen, sodass ich ihn aus dem Raum lotste, es wirkte so als würde ihm jemand die Luft abschnüren, aber da war niemand. Die Panikattacke dauerte außerdem viel länger als sonst, sodass ich wirklich Angst um ihn hatte, er stand kurz vor der Ohnmacht als er endlich wieder atmen konnte. Auch unser Lehrer, der aufgrund seiner Position als Pädagogik und Psychologie-Lehrer bestens damit umgehen konnte, wenn jemand einen solchen Anfall bekam, war sichtlich besorgt. Ich kann mich noch an seinen Gesichtsausdruck erinnern, als Taehyung angefangen hat erstickte Sätze vor sich hin zu faseln. Es schien so, als spräche er zu jemandem, als würde er zu jemandem reden. Vielleicht hörte er Stimmen von anderen oder sein eigenes Gehirn spielte ihm einen Streich, aber er kam nicht gegen dieses etwas an. Ich erinnere mich an jeden einzelnen Satz und ich bekomme jedes Mal eine Gänsehaut, wenn ich daran denke.
"Bitte, hör auf..... Lass mich atmen..... Es tut mir Leid... Ich kann das alles nicht mehr." Und der Satz, der mir da schon das Blut in den Adern hat gefrieren lassen.
"Lass mich doch einfach sterben."
Das war das erste und letzte Mal, dass ich einen ausdrücklichen Suizidwunsch von ihm hörte. Das einzige Mal, dass er wirklich darum bat zu sterben. Nicht mal, als er mir Sekunden vor seinem Tod gegenüberstand, hat er diese Worte ernstlich ausgesprochen. Nur zu der Stimme in seinem Kopf hat er diesen Satz ehrlich gesagt und es war mit Sicherheit nicht das einzige Mal, dass er das in seiner Panik dachte. Vermutlich nicht einmal nur bei einem Panikanfall, sondern auch die ganze weitere Zeit.
Dennoch hörte ich den Satz oft, denn er begann kurz nach diesem Vorfall Witze darüber zu machen. Entweder war es eine Art Hilferuf, oder es war wirklich seine Art Witze zu machen, aber ich denke es war ersteres, denn weshalb sollte er so plötzlich seine Art des Humors ändern. Er machte die Witze immer häufiger, wenn er keine Lust mehr auf den Unterricht oder Sport hatte, bevor er einen Vortrag halten musste, welche weiterhin ständig in Panikanfälle mündeten und auch sonst immer und immer wieder.
"Ich würde mich am liebsten vor einen Bus werfen, ich habe keine Lust mehr."
"Kannst du mich aus dem Fenster stoßen, dann muss ich diesen Vortrag nicht halten."
"Ob das Schuldach wohl hoch genug wäre, um dieser Hölle zu entfliehen."
Jeder Satz blieb mir im Ohr, auch die leicht lachende Art wie er es sagt ist noch präsent. Er hat immer gelacht, aber in seinen Augen sah ich manchmal dennoch die Trauer und Ernsthaftigkeit hinter dieser Art von Witz. Er meinte alles war er sagte ernst und wollte bestimmt, dass ich es bemerke, aber ich Unmensch habe ihn nicht ernst genommen. Ich klammerte mich zwanghaft weiter an die Scherze, weil ich es nicht wahrhaben wollte, dass mein bester Freund wirklich suizidgefährdet ist.
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Einige Wochen nachdem ich dann doch endlich erkannt habe, dass das langsam kein Spaß mehr ist, konfrontierte ich ihn damit. Ich erinnere mich an jedes Wort, an jedes Zucken in seinem Gesicht.
"Taehyung ich muss dich mal etwas fragen. Du machst in letzter Zeit so oft Witze darüber, dass du in manchen Situationen lieber sterben würdest, als zu bleiben und machst oft solche Anspielungen, geht es dir gut momentan? Oder hast du irgendwelche Probleme?"
"N-Nein, alles in Ordnung. Machst du dir Sorgen?" Nervös schaute er vor sich auf den Boden, als er mir antwortet und damit ahnte ich die Wahrheit. Es geht ihm miserabel, aber er hat nicht das Ziel es jemandem zu erzählen.
"Ja, ein wenig. Jedenfalls, falls doch mal irgendetwas sein sollte, kannst du mir ruhig davon erzählen. Dafür hat man ja Freunde, sonst kann man sich seine Sorgen ja bei niemandem von der Seele reden."
"Danke, aber es geht mir wirklich gut. Also, auch wenn es schön ist, dass ich dir so wichtig bin, bitte hör auf, dir ständig Sorgen zu machen, es ist wirklich alles in Ordnung." Ein warmes Lächeln seinerseits und schon machten wir uns auf den Weg zum nächsten Klassenraum.
Doch meine Sorgen um ihn haben sich nicht vermindert, sondern mehr als verdoppelt. "Er vertraut mir nicht genug, um mir alles zu erzählen", das war das, was ich damals dachte, aber dass ich damit Unrecht hatte fand ich erst viel später heraus...
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Afterdeath° ~ Jungkook & Taehyung FF
FanfictionWieso habe ich es denn nur nicht früher bemerkt? Ich hätte ihn retten können. Oder vielleicht wollte er nie gerettet werden... POV: Jungkook No smut No shippings TW: sh, su!c!de, mental illness #1 in suicideawareness 27.03.22