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So verstrichen einige Monate, er isolierte sich weiterhin ein wenig und hörte mit den "Witzen" nicht auf, aber es wirkte nicht so, als plane er, sich wirklich das Leben zu nehmen. Und ich sprach es nicht weiter direkt an, das einzige, was ich tat war ihm das Leben so leicht wie möglich zu machen.

Bei den Projekt-Arbeiten machte ich die meiste Arbeit, ich übernahm alle Aufgaben, die wir Zuhause machen musste, da er das nicht mehr schaffte. Das kostete mich zwar viel Zeit und Energie, aber das war es mir wert um ihm zu helfen. Bei den Vorträgen übernahm ich immer den größeren Redeanteil, sodass für ihn kaum noch eine Chance bestand, sich irgendwie zu blamieren oder sonstiges. Doch die Panikattacken kamen fast jedes Mal. Es erdrückte mich, dass ich ihm in keinster Weise davon entlasten konnte und immer versuchte ich die Chancen zu minimieren, aber irgendwann ging es nicht mehr. Er hatte immer und immer wieder Panik, ohne dass ich etwas dagegen hätte tun können.

Und im Herbst des Jahres, also einige Monate seit all das begann, fand ich endlich heraus, wieso es ihm so geht. Und wieso ich es nicht ändern oder ihm auch nur ansatzweise helfen konnte. Es erklärte ebenfalls, weshalb ich mich immer ein bisschen distanziert von ihm fühlte, als würde er mir etwas grundlegendes verheimlichen.

Denn genau das tat er. Taehyung war homosexuell und das fand er in den letzten Sommerferien heraus. Er hatte nie sonderliches Interesse an Frauen gehabt, das war mir aufgefallen, aber ich bemerkte tatsächlich nicht, dass er an Männern interessiert war. Diese Tatsache fand ich allerdings heraus mit einer Anderen, die dem Ganzen die Tragik verlieh.

Seine Familie hat es, über welchen Weg auch immer, herausgefunden und war stark homophob. Sie hatten ihn runtergemacht, beleidigt und ihm immer wieder Vorträge gehalten, wie falsch und krank das doch war. Da Eltern, ob man es will oder nicht, einen sehr großen Einfluss auf ihr Kind haben und es leicht manipulieren könnten, brannten sich manche dieser Vorstellungen in Taehyungs Gehirn und er empfand sich selbst als krank. Er empfand sich selbst als abartig und ekelerregend, nur weil er eine andere Gruppe Menschen liebt und was die meisten Menschen absolut nicht stört. Somit bekam er Angst, ich würde so darauf reagieren wie seine Eltern und isolierte sich ein wenig, er hielt es für die beste Möglichkeit den Kontakt zu verringern um zu vermeiden, dass ich irgendwas herausfände.

Und als seine Eltern anfingen, ihn körperlich zu misshandeln, wurde diese Angst zur Panik. Seine Eltern schlugen ihn aus dem Nirgendwo und ohne spezifischen Grund, sie taten es einfach nur mit der Aussage, es sei krank schwul zu sein und man sollte solche Personen schlagen, bis sie wieder zur Vernunft kommen. Dieses Verhalten projektierte er auf alle Menschen und daher kam die immense Angst, sich in unserer Klasse aufzuhalten. Er hatte Angst, gemobbt und geschlagen zu werden, daher kamen die Panikanfälle.

Bei jedem Vortrag hatte er die Sorge, er würde sich "schwul verhalten" oder "schwul reden", Dinge die ihm auch seine Eltern eingeredet haben und somit bekam er jedes Mal aufs neue Panikanfälle und Flashbacks zu den Misshandlungen. Die Stimme, mit der er ständig kämpfen musste, war nicht die einer seiner Eltern, es war seine eigene, die ihm weiter einredete es sei falsch schwul zu sein. Es sei besser, wenn er zur Vernunft kommt. Oder, falls er dazu nicht in der Lage ist, es sei besser zu sterben.

Und all dies erzählte er mir unter Tränen, nachdem ich ihm das Leben gerettet habe. Das ist nicht einmal metaphorisch gemeint, ich habe ihm in der Form das Leben gerettet, dass ich ihm vor dem Verbluten bewahrt habe. Eines nachts rief er mich panisch an, er klang ein wenig schwächlich und das, was er sagte, jagte mir einen Schauer über den Rücken.

"Ich- Ich habe etwas dummes getan, du musst mir helfen. Der Ersatzschlüssel liegt unter der Blumenvase und ich bin in meinem Bad... Es tut mir Leid, aber bitte hilf mir." Immer wieder machte er Pausen um Luft zu holen und das Adrenalin in meinen Adern ließ mich bis zu ihm rennen. Ich hatte eine so unglaubliche Angst, was ich gleich sehen würde, dass ich mein Gehirn vollkommen abschaltete und einfach nur lief, als ginge es um mein eigenes Leben.

Bei ihm angekommen holte ich den Schlüssel aus seinem Versteck und schloss leise die Tür auf. Es war zwei Uhr morgens und seine Eltern schliefen, daher war ich so leise wie nur irgend möglich und da ihr Schlafzimmer auf der gegenüberliegenden Seite des Flurs lag, war es unwahrscheinlich, dass sie uns reden hören.

Zitternd wie Espenlaub öffnete ich seine Zimmertür und zuletzt seine Badezimmertür und bei dem Anblick setzte mein Herz einen Schlag aus. Er saß regungslos auf dem Boden, die Arme locker neben sich hängend. Er war wach und am Leben, das sah ich, aber wie lange dem noch so sein wird, konnte ich nicht sagen. Denn an dem mir zugewandten Arm waren zig Schnitte. Sie sahen an sich nicht lebensbedrohlich aus, abgesehen von dem einen, aus dem pausenlos viel Blut rinnt. Er muss seine Pulsader getroffen haben.

"Jungkook ich... es tut mir so-"

"Taehyung, bitte beruhige dich. Wir können später darüber reden, aber erstmal muss ich dir helfen nicht zu... verbluten." Ich stürzte zu ihm auf den Boden und drücke das erstbeste Handtuch auf seinen Arm, es war binnen Sekunden blutgetränkt und langsam kam der Gedanke auf, ihn einfach ins Krankenhaus zu bringen.

"Ich schaffe es nicht, dass es aufhört zu bluten. Tae, du musst in die Notaufnahme. Ich rufe jetzt einen Krankenwagen."

"Bitte tu das nicht! Meine Eltern dürfen das nicht herausfinden, sie werden mich dieses Mal bis zu Tode schlagen."

"Okay, wo ist euer Verbandskasten?" Daraufhin gab mir Taehyung Anweisungen wo ich alles finde und ich bastelte ihm einen Druckverband, dann machten wir uns, wohlgemerkt in blutgetränkter Kleidung, auf den Weg nach draußen. "Wenn er schon nicht in einem Krankenwagen dorthin will, dann tut es auch sein Roller." Das war mein Gedankengang und so habe ich ihn dann, fest an meinen Rücken geklammert, durch die leeren Straßen bis zu unserem naheliegenden Krankenhaus gefahren. Er hatte noch so viel Kraft, dass er sich festhalten konnte und es war nicht viel los, daher schafften wir es unfallfrei bis dorthin. Da wurde dann alles ordentlich behandelt und nach kurzem Protest durfte er sogar direkt zurück nach Hause. Und dort erzählte er mir dann das alles, es war uns egal, dass es bereits 3 Uhr morgens war und wir am nächsten Tag zur Schule mussten. Mitten in der Nacht machte ich mich dann schlussendlich auch auf den Weg nach Hause und niemand erfuhr jemals davon, abgesehen von mir, Taehyung und einem der Ärzte, zu dem er in den folgenden Tagen ein paar mal ging um die Wunden versorgen zu lassen.

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Afterdeath° ~ Jungkook & Taehyung FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt