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Immer wieder rief er mich nachts an und bat mich, ihm zu helfen. Immer wieder konnte er all dem nicht standhalten und verletzte sich, schon bald waren seine ganzen Arme und auch Beine übersäht mit Narben. In der Schule musste er immer aufpassen, dass niemand etwas davon mitbekam, immer wieder meldete er sich in Sport krank. Zu der Zeit hatten wir zu allem Übel auch noch das Thema Volleyball, das wohl schlimmste, was passieren kann, wenn die eigenen Arme übersäht sind mit schmerzhaften Schnitten, die jederzeit aufreißen konnten.

Aber das aller schlimmste passierte erst Anfang Winter des Jahres. Einer unserer Mitschüler belauschte uns und fand heraus, dass Taehyung schwul war. Bald darauf war sich die ganze Schule dessen bewusst und das Mobbing nahm seinen Lauf.

Ich kann einfach nicht verstehen, wieso man soetwas tut, aber immer wieder bekam er Kommentare und blöde Sprüche hinterhergerufen. Egal was er tat, alles machte ihn zur "erbärmlichen Schwuchtel" und seine Depressionen wurden immer und immer schlimmer. Üblicherweise war ja die Schule ein Ort, an dem er zumindest sicher vor solchen Kommentaren war und jetzt hatte er keinen Ort mehr, an den er fliehen konnte, abgesehen von seinem Zimmer und meinem Zuhause, immer öfter besuchte er mich um seinen Eltern zu entfliehen. Er verletzte sich viel öfter, auch in der Schule, und es nahm immer gefährlichere Ausmaße an. Er begann seine Haut zu verbrennen, anstatt sich zu schneiden und las nur noch Bücher über mentale Krankheiten und Suizid, vermutlich um sich entweder von allem abzulenken, oder selbst zu triggern. Spätestens da begann ich zu ahnen, dass das alles so ausgeht, wie es letztendlich tat. Und ich konnte ihn absolut nicht mehr retten, vermutlich wollte er auch gar nicht gerettet werden.

Zu dieser Zeit schwänzte er auch immer öfter Schule und isolierte sich in seinem Zimmer, ich hatte jedes Mal Angst, dass er sein Leben in der Nacht davor beendet haben könnte. Ich erinnere mich noch sehr gut an einen Tag, er war nicht in der Schule und ignorierte seit morgens meine Nachrichten, sogar bis spät in die Nacht. Da bekam ich eine solche Angst, dass ich zu ihm fuhr, den Ersatzschlüssel durfte ich behalten, daher schlich ich mich leise hinein und klopfte an seine Zimmertür. Als ich keine Antwort erhielt, betrat ich es schlussendlich, aber er war nicht da. Nur im Bad brannte Licht, was mir einen Schauer die Wirbelsäule hinab jagte. Ich fand ihn in einer Situation vor, die ich traurigerweise schon gewöhnt war, aber eins war anders. Sonst blicke er mich jetzt mit einer Mischung aus Schuld und Erleichterung an und ich half ihm, die Wunden zu versorgen, aber dieses Mal tat er das nicht. Auch nachdem ich die Tür habe ins Schloss fallen lassen und er mich definitiv bemerkt haben müsste, rührte er sich nicht. Für einen kurzen Moment wurde mir schon schlecht, bis ich mich endlich wieder fasste und zu ihm stürzte. Als erstes maß ich seinen Puls und er war zum Glück noch normal, vielleicht ein wenig schwächer aber zumindest klang es nicht so, als würde er dem Tod nahe stehen. Und dann stellte ich mich dem Mysterium, was ihm passiert war.

Die Schnitte waren nicht besonders tief und er hatte auch nicht seine Pulsader getroffen, daher konnte das schonmal nicht die Ursache sein. Und dann fiel mein Blick auf die kleine Packung neben sich. Schlaftabletten. Zitternd hob ich sie hoch und die kleinen Blister waren alle leer. Es müssen circa zehn oder zwölf Tabletten drin gewesen sein, aber er kann sie nicht alle genommen haben. Das ist nicht möglich, dann wäre er bestimmt schon längst.... Ich möchte es mir gar nicht vorstellen.

Vorsichtig rüttelte ich an seinen Schultern und nach kurzer Zeit rührte er sich tatsächlich. Kurz zuckten seine Augenlider und bereits nach wenigen Sekunden riss er sie auf und schaute mich überfordert an. Es scheint einige Sekunden zu dauern, bis sich die Informationen in seinem Gehirn zusammensetzten und er realisiert, was hier passierte.

"Jungkook ich.... es tut mir Leid." Er blickte einfach nur mit einem schuldbewussten Blick zwischen mir und der Packung hin und her.

"Es ist okay Taehyung, ich kann dich verstehen. Es tut vielmehr mir Leid, dass ich dir nicht helfen kann." Einige Minute herrschte betretene Stille, während ich ihm half die Schnitte zu verarzten, doch irgendwann konnte ich meine Stimmbänder dann doch wieder in Gang bringen.

"Wie viele hast du davon eigentlich genommen?"

"Nur zwei, das war alles, was davon noch übrig war. Es war mir eigentlich klar, dass ich davon nicht sterben würde, aber irgendwie hatte ich dennoch die Hoffnung..." Zum Ende hin wurde seine Stimme brüchig und er begann zu schluchzen, sodass ich ihn vorsichtig in den Arm nahm. Er hasst es, wenn ihn jemand beim Weinen sieht, daher mache ich es so, so fühlt er sich nicht beobachtet.

Und als ich ihn so verzweifelt, so gebrochen sah, wurde mir klar, dass ich ihn verlieren werde. Ein Mensch, der so am Ende war wie er, konnte nur durch ein Wunder wieder glücklich sein. Aber dennoch würde ich nie aufgeben, dennoch würde ich ihn nicht sterben lassen, wenn es sich nicht irgendwie verhindern ließe. Davon war ich fest überzeugt, aber letztendlich konnte ich es doch nie einhalten...

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Afterdeath° ~ Jungkook & Taehyung FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt