Kapitel 8

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Heute bin ich nach dem ersten Wecker direkt hellwach und stehe ausnahmsweise glücklich und voller Elan auf. Wahrscheinlich weil ich gleich, in gerade einmal eineinhalb Stunden, ein Date habe. Und diese Zeit brauche ich zum Frühstücken, Duschen und um mich anderweitig fertig zu machen. Zugegebenermaßen ist es auch nicht mehr allzu früh am Morgen, sondern schon elf Uhr, was mir das Aufstehen womöglich ebenfalls erleichtert

In Rekordzeit sitze ich fertig angezogen am Küchentisch und esse unsere letzten zwei Brötchen auf.
Auch die kurze Fahrt zu Freya geht schneller als erwartet, sodass ich etwas zu früh da bin. Aber das ist kein Problem, weil Freya auch schneller als verabredet fertig ist und aus dem Haus kommt.

„Auch zu früh, was?"
Sie hat ein Lächeln auf den Lippen, während sie auf mich zu kommt.
Ebenfalls ein wenig lachend umarme ich sie und drücke ihr nach einem kurzen Seitenblick einen Kuss auf die Lippen. Wieder ist es so, als würde ein kleines Feuerwerk in mir explodieren und eine Welle aus Freude überrollt mich.

Die Strecke bis zum Kino ist nur wenige Kilometer lang, weshalb Freya mit ihrem Fahrrad fährt und ich auf meinem Skateboard an ihrer Seite. Da wir die Karten schon haben, müssen wir nur noch Snacks kaufen.
Der Gerechtigkeit halber und, okay, auch ein wenig meiner Liebe verschuldet, übernehme ich das.

Zusammen mit unseren Nachos gehen wir zu den Plätzen, die relativ weit hinten im Saal sind. Noch ist es so gut wie leer und die wenigen anderen Leute sitzen in weiter vorne gelegenen Reihen.

***

Gute zweieinhalb Stunden später, als auch der Abspann durchgelaufen ist, verdunkelt sich die Leinwand und langsam wird die Deckenbeleuchtung wieder eingeschaltet.
Im Kinosaal ist es so still, dass man eine Stecknadel fallen hören könnte, wenn nicht der gesamte Boden mit Teppich ausgelegt wäre.

„Sobald Endgame rauskommt, schauen wir uns den Film an, oder?", breche ich schließlich das Schweigen mit einer Frage, auf die die Antwort bereits klar ist.
„Definitiv! Die Leute, die den Film schon letztes Jahr gesehen haben tun mir leid. Wie halten die das nur so lange aus?"
Obwohl der Film echt gut gemacht war, ist unsere Stimmung weiterhin gedrückt. Es ist einfach kein Ende, was man monatelang in Gedanken mit sich herumtragen möchte.

„Naja", sage ich und erhebe mich aus dem weichen Polstersitz. „Jedenfalls habe meine Sachen gestern schon gepackt, ich müsste auf dem Weg zu dir nur noch eben meinen Rucksack mitnehmen."
„Dann warte ich einfach kurz unten, während du hoch gehst?"
„Es sei denn, Treppensteigen ist ein Hobby von dir."

Freya lacht über meinen sarkastischen Kommentar.
„Nein danke, Fahrradfahren reicht mir heute als Sport."
„Okay, okay, dann musst du aber warten."
„Beeil dich einfach etwas!"
„So ist das also, ich muss rennen, weil du zu faul bist?"
Jetzt muss ich selber lachen. „Wir könnten uns übrigens noch einmal Thor: Ragnarok angucken, den habe ich auf DVD."
„Au ja!"

***

Ich schnappe mir meinen Rucksack und bin schon wieder im Treppenhaus, als mir einfällt, dass ich ja noch den Film einstecken wollte.

Als ich endlich wieder unten bin, erwartet mich Freya mit verschränkten Armen.
„Na endlich", sagt sie mit einem gespielt genervten Tonfall. „Hast ja ganz schön lange gebraucht."
Lachend antworte ich ihr: „Ja, ich habe die DVD liegen lassen und musste dann wieder einen Stock hoch und sie holen. Ich ein bisschen verpeilt in letzter Zeit. Und daran bist übrigens du Schuld!"
Zur Antwort drückt sie mir einen kleinen Kuss auf den Mund, der mir erst einmal die Sprache verschlägt.

Dann fahren wir wieder los und kommen wenig später auch bei Freyas Zuhause an.
Nachdem ich meine Tasche in ihrem Zimmer abgestellt habe, setzen wir uns mit Chips und Cola auf das Sofa im Wohnzimmer und legen die DVD ein.
Ich lege meinen Arm um Freya und als sie ihren Kopf an meine Schulter lehnt, wird das Kribbeln in meinem Bauch immer stärker. Nach einigen Minuten lässt auch sie ihre Hand über meinen Rücken wandern und streicht mir schließlich über die kurzen Haare in meinem Nacken.

***

Der Film war von der ersten Szene an witzig und hat uns somit größtenteils von dem Cliffhanger abgelenkt, bis wir fertig geschaut haben.
Dann gehen wir in den Nachbarraum, um für die Nacht alles vorzubereiten.
„Ich denke es ist das Beste, wenn ich meine Matratze einfach auch auf den Boden lege", sagt Freya.
„Das ist eine gute Idee, dann können wir bequemer mit einander reden!"
Anstatt auf verschiedenen Höhen zu liegen, sind wir so nämlich direkt nebeneinander. Und Freyas Zimmer ist gerade eben groß genug dafür, auch wenn dann der ganze Fußboden mit Matratzen zugepflastert ist.

„In einer halben Stunde gibt es Abendbrot, danach könnten wir noch etwas spielen, wenn du möchtest."
„Gerne! Weißt du, was es heute bei euch gibt?", frage ich.
„Ich glaube Reis und eine Gemüsepfanne, ich bin mir aber nicht sicher."
„Na, das klingt doch gut!"

Ein leckeres Essen und eine definitiv zu lange Partie Monopoly später gehen wir wieder in Freyas Zimmer.
Wir legen uns so nebeneinander, dass wir uns gegenseitig in die Augen schauen können. Ich lächle und kuschle mich in mein Kissen. Beinahe spüre ich Freyas Atem in meinem Gesicht, so nah sind wir einander. Es kommt mir surreal vor, dass wir seit fast einer Woche zusammen sind. Es sind zwar nur sechs Tage, aber es kommt mir viel länger vor.

„Ich liebe dich", flüstere ich ihr zu, obwohl wir das eigentlich beide schon wissen.
„Wusstest du, dass du ganz leichte Sommersprossen hast? Die machen dich irgendwie noch schöner."
Obwohl ich dachte, dass das nicht möglich wäre, füge ich in Gedanken hinzu.

„Danke", sagt Freya. „So wie dein kleines Muttermal am linken äußeren Augenwinkel."
„Ich wusste gar nicht, dass ich das habe", sage ich überrascht und lächle ebenfalls.
„Doch, schon immer, und du siehst total süß damit aus."
„Ich will aber gar nicht süß sein", kichere ich.
„Tja, dein Pech. Du bist nämlich der süßeste Mensch den ich kenne!", neckt Freya mich weiter.
„Ich dachte immer, du wärst so lieb wie ein Engel, aber das gerade... Das bekommst du zurück!"

Ich ziehe mein Kissen unter meinem Kopf hervor und schlage Freya spielerisch damit. Wir müssen beide laut lachen, als sie es zurückschleudert und wir uns kurz darauf in einer ausgewachsenen Kissenschlacht wiederfinden.

„Stopp, ich kann nicht mehr", keucht Freya schließlich und auch ich bin etwas außer Atem.
„Ergibst du dich also?"
„Du bist kindisch"
„Das sind wir doch beide. Also?"
„Jaja, ich ergebe mich, bitte hab Gnade", sagt sie schmunzelnd.
„Na schön, aber nur weil du es bist", antworte ich grinsend. „Nicht weil ich auch erschöpft bin oder so."
Ich lasse mich zurück auf meine Matratze fallen.

„Ich finde es cool, dass du auch sowas mitmachst, Charlie."
„Was war daran denn bitte cool?"
Wieder müssen wir beide lachen.
„Wenn ich jetzt sage du, wäre das sehr kitschig?"
„Irgendwie schon, aber mach ruhig, wenn du willst."
„Was ich eigentlich sagen wollte, ich finde es schön, dass du auch Quatsch mitmachst, in der Schule wirkst irgendwie du oft so ernst. Ich dachte ehrlich, wir hätten uns auseinander gelebt."
„Auseinandergelebt ist vielleicht nicht der beste Ausdruck. Unser Kontakt ist ja hauptsächlich wegen mir abgebrochen..."

„Wieso wegen dir?"
„Naja, ich war immer nur bei den ganzen nervigen Leuten aus meiner Klasse, anstatt mal was mit dir zu machen."
„Aber ich habe mich auch ziemlich zurückgezogen, von mir aus."
„Ich wollte mich eigentlich oft zu dir stellen und nicht zu meinen Klassenkameraden, aber ich dachte, wenn ich einfach so weglaufe, würden die mich nicht mehr mögen oder so. Ziemlich dumm im Nachhinein, oder?"
„Aber verständlich."
„Ich fühle mich trotzdem schlecht, ich hätte sich nicht allein lassen sollen."
„Ach Quatsch. Und wir haben doch jetzt sowieso wieder zusammengefunden, also ist alles gut, oder?"
„Wenn du meinst."
„Ja, meine ich. Es ist wirklich alles in Ordnung, du musst dir keine Schuld einreden!"
„Okay. Danke. Aber wenn ich doch etwas falsch mache ohne es zu merken, sag mir bitte Bescheid!"
„Versprochen."

Wir unterhalten uns noch lange und vergessen die Zeit, während wir lachen, in Erinnerungen schwelgen und immer mehr über einander erfahren, obwohl wir uns seit Jahren schon in- und auswendig kannten.
Irgendwann ist das einzige, was ich von Freya noch höre ihr ruhiger Atem und auch meiner verlangsamt sich immer weiter, bis mir die Augen zufallen.

Einmal wache ich in der Nacht auf, draußen ist es noch stockdunkel. Anscheinend habe ich mich im Schlaf gedreht, denn ich liege mit dem Rücken zu Freya. Sie hat sich an mich gekuschelt; ihre Arme um meine Taille geschlungen und den Kopf in meinen Nacken geschmiegt.
Mit einem Lächeln im Gesicht dämmere ich langsam wieder weg.

It's not a Phase (girl×enby)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt