Kapitel 9

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Pock! Pock! Pock!
Das Klopfen reißt mich abrupt aus meinen Gedanken, die sich noch immer um die wunderschöne letzte Nacht drehen.
„Ja, was ist?"

Anstatt zu antworten, öffnet meine Mutter die Tür und kommt in mein Zimmer. An ihrem ernsten Blick erkenne ich, dass ich sie nicht einfach loswerden können werde.
„Wir müssen reden, Charlie."
Durch ihre feste Stimme wirkt der Satz noch kompromissloser als sowieso schon. Es würde nichts bringen, zu versuchen ihr auszuweichen. Ich sollte lieber so direkt mit ihr sprechen, wie möglich.

„Stimmt", antworte ich deswegen.
„Ich bin kein Junge und wenn, dann wäre das nicht schlimm."
Meine Mutter zieht die Augenbrauen hoch, wahrscheinlich hat sie mit allem gerechnet, nur nicht mit diesem Satz.
„Charlie- Ich wollte nie behaupten, dass du falsch wärst. Ich würde dich gerne verstehen und dir helfen, aber dazu musst du offen mit mir reden", sagt sie nun in einem sanfteren Tonfall.
Trotzdem klingt noch jener Unterton mit, dem ich nicht vertrauen mag.
„Ich brauche nichts, Mama. Ich möchte dir nur klarmachen, dass ich keine Phase bin."

Während ich den Satz ausspreche, merke ich, dass er nicht ganz der Wahrheit entspricht. Ich brauche keine Hilfe, aber ich bräuchte die Art von Unterstützung und Beistand, die meine Mutter mir einfach nicht gibt. Das, was mir mehr Offenheit zu ihr erlauben würde.

„Ich wollte dir doch nur meine Unterstützung anbieten, wo auch immer du sie brauchst. Und kannst du mir bitte sagen, welches Geschlecht du hast? Du weißt nicht, wie schwierig die ganze Ungewissheit für mich ist..."
Sie klingt deutlich verzweifelter, als ich es ihr zugetraut hätte. Nicht mehr so, als würde sie mich hintergehen wollen, sondern bloß besorgt. Vielleicht hatte Freya Recht und meine Mutter ist nur überfordert, vielleicht sollte ich ihr wirklich einfach alles erklären. Vielleicht wird alles gut.

„Mama, du musst wissen, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt, okay? Ich bin kein Junge, ich bin genderflux. Girlflux, wenn du es genau wissen willst. Es gibt außerdem übrigens auch mehr Sexualitäten als hetero und homo, keine Ahnung ob du das wusstest."
Ich klinge abweisender, als ich es vor hatte, aber das ist mir gerade egal.
Der Blick meiner Mutter ist zugleich besorgt und ablehnend. Trotzdem bemüht sie sich, freundlich zu bleiben.

„Vielleicht ist es keine Phase, vielleicht aber doch. Aber egal was von beidem, wir werden damit fertig. Du musst dich ja noch nicht festlegen, die Pubertät ist ja auch zum Ausprobieren und Entdecken da, nicht wahr?"

Obwohl sie immer noch weder mein Gender noch meine Sexualität als etwas dauerhaftes wahr haben möchte, toleriert sie mich wenigstens für den Moment - und ich habe etwas Zeit. Zeit, in der ich mich mit mir selbst beschäftigen kann, mich mit Freya treffen oder alleine Spaß haben, ohne Probleme zu Hause.

„Solange du nicht gleich mit einem anderen Mädchen intim wirst, ist ja alles gut. Außerdem kann sich ja alles noch ändern, vielleicht überlegst du dir es noch einmal."

Meint sie, ich solle länger darüber nachdenken welches Geschlecht und welche Sexualität ich habe, ob ich wirklich queer bin? Oder ich sollte doch überlegen, nicht doch lieber ganz normal hetero zu werden auf Jungs zu stehen? - Was fast so lächerlich wie unmöglich wäre. Und: zählt Küssen als intim werden? Denn dann hätte sie Pech gehabt.

„War das jetzt alles?", frage ich.
Mit einem Nicken wendet sich Mama ab und geht wortlos aus dem Raum. Ich schließe hinter ihr die Tür und lehne mich daran. Seufzend lasse ich mich auf den Boden rutschen und ziehe meine Knie an die Brust.

Ich kann einfach nicht mehr, es ist mir alles zu viel. Warum akzeptiert sie mich nicht einfach wie ich bin? Ich habe doch schon genug Druck - Vielleicht wirke ich nach außen hin so, als würde ich ohne Probleme mit der Schule klar kommen und nebenbei über 20 Freundinnen haben. Aber ich habe einfach Angst davor, zu versagen. Ich will meinen Status in der Klasse nicht verlieren. Ständig fühle ich mich, als wäre ich nicht gut genug und niemand bekommt mit, wie ich innerlich zerbreche. Nur wenn ich mit Freya zusammen bin kann ich alles andere vergessen. Und gleichzeitig ist sie die einzige, der ich meine Sorgen anvertrauen mag, weil sonst niemand zuhören würde.

It's not a Phase (girl×enby)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt