Höhle des Löwen (2)

53 13 2
                                    

Sie waren schon eine Weile unterwegs, nachdem sie das zerstörte Haus hinter sich gelassen hatten, und langsam bekam Baldor richtig Hunger. Die Frage war nur, wo er etwas herbekommen sollte. Der Wald strotzte zwar nur so vor Wildleben und eigentlich waren die Nethuf auch Allesfresser, aber er konnte sich nicht vorstellen, sich auf das Niveau seiner Urahnen hinab zu begeben und es selber zu jagen.

Das war einfach eklig, allein schon der Gedanke daran, dass er den Tieren das Fell abziehen und sie ausnehmen musste. Er hatte einmal eine Dokumentation wilderer Stämme auf Nethuf angesehen, in der der Vorgang sehr ausführlich geschildert wurde. Danach musste er sich übergeben und ernährte sich ein halbes Jahr nur noch von Pflanzen, bis sein damaliger Surftrainer meinte, dass es für ihn keine Hoffnung mehr auf einen Titel beim Surfen geben würde, wenn er sich nicht änderte.

Nun, ein Titel war ohnehin nie drin gewesen, denn aufgrund seiner Haut, die er keinem Sonnenlicht aussetzen wollte, hätte eine so lange Veranstaltung wie die Nethufischen Surfmeisterschaften in der Nacht durchgeführt werden müssen. Und die hätte er dann sehr wahrscheinlich allein bestritten.

Seine Nahrung hatte er wieder umgestellt, denn was seiner Fähigkeit zu Surfen schadete, musste einfach Quatsch sein. Was immer noch nicht bedeutete, dass er die Tiere selbst jagen konnte. Sollte er versuchen, essbare Pflanzen zu finden? Nur, was war davon genießbar? Ohne seinen Korallenkommunikator konnte er das Essen nicht mal auf seine Inhaltsstoffe überprüfen. Vielleicht konnte ihm ja Ngi helfen.

"Hey, Ngi, kannst du jagen und kochen?"

"Ich koche nur, wenn eines meiner Systeme einen Fehler hat."

Baldors Mundwinkel zuckten. Ngi hatte gerade einen Scherz gemacht, oder? Und das, obwohl er dafür angeblich nicht programmiert sein sollte. War das eine weitere Fehlfunktion neben dem Pazifismus?

"Wenn ich etwas vorschlagen darf, Boss. Dort vorne scheint es eine Stadtruine zu geben. Aus Dokumentarfilmen über diesen Planeten, die ich während unseres Anflugs von einem ihrer Satelliten heruntergeladen habe, konnte ich eine wichtige Information über Ruinen in Erfahrung bringen."

"Ja?"

"Ja. Für Zeiten der Not, wie etwa eine Eiszombieapokalypse pflegen sich die Menschen einen Vorrat an Lebensmitteln zuzulegen, die sie in Dosen verpacken. Diese Lebensmittel scheinen unbegrenzt haltbar zu sein und sind sogar ohne spezielle Zubereitung genießbar."

"Das hört sich ja klasse an. Ich hoffe nur, dass diese Nahrung auch für uns genießbar ist."

"Also ich werde sie aus Gründen der Kompatibilität zu meinem System sicher nicht anrühren."

War das noch ein Scherz? Musste Baldor sich so langsam Sorgen machen? Er neigte den Kopf. War wahrscheinlich nur eine Nebenwirkung der neuen Sprachroutine. Die Idee mit dem Essen in Dosen hörte sich aber nicht schlecht an.

"Meinst du, es ist in der Stadt gefährlich?"

"Da momentan keine Eiszombieapokalypse herrscht, schätze ich, dass es sicher ist."

Das konnte ja nur bedeuten, dass etwas Schlimmes passierte, oder? Egal, auf zum Essen, bevor er noch verhungerte. "Lass uns gehen, sonst musst du mich am Ende tragen."

*** (dieser Trenner könnte auch ein Tentakel sein ;-))

Die ersten Skelette früherer Gebäude ragten wie stumme Wächter in hell erleuchteten Nachthimmel hinauf. Der Himmel war klar und der Trabant der Erde leuchtete heute in einem vollen Rund.

Baldor ertappte sich dabei, wie er fasziniert zu ihm hinaufstarrte. Die Nacht fühlte sich plötzlich nicht mehr schlecht an, nicht mehr minderwertiger als die auf Nethufia. Sie war nur ... anders. Vielleicht war auch nur seine Wahrnehmung getrübt, nachdem er bereits zweimal dem Tod entronnen war und in Kürze erbärmlich verhungerte, wenn sie nicht bald die Stadt erreichten.

Was die Erde zweifellos besser machte als Nethufia, war die Tatsache, dass sie noch existierte. Die Vetis hatten sie am Ende verschont, auch wenn sie dazu gezwungen wurden. Was mussten das für Wesen sein, die den Vetis Einhalt gebieten konnten, wenn die doch solche Monster waren?

Baldor kletterte über einen umgestürzten Baum und seine Äste mit diesen grünen Nadeln strichen rauschend über seinen Krabbenpanzer. Das erinnerte in ans Meer. Als er jung war, noch jünger als er es jetzt war, hatte er dort die Wale seiner Heimat betrachtet und für Monster gehalten. Sie wirkten gigantisch, einige von ihnen majestätisch, andere furchterregend. Doch im Vergleich zu den schwarzen Schatten, die Nethufia verschlungen hatten, wirkte der Gedanke heute lächerlich.

Was hatten die Vetis an Nethufia gefunden, dass sie es ausgewählt hatten? Oder an der Erde? Beide Planeten waren so klein, im Vergleich zu anderen Welten, besonders denen die nicht bewohnt waren. Trachteten sie nach der Lebensenergie seiner Bewohner, so wie die Monster, die in den Schauermärchen aus dem Meer kamen, um unvorsichtige Kinder zu holen?

Wahrscheinlich würde er es nie erfahren, denn wenn er jemals wieder einem Vetis begegnete, würde ihm anderes einfallen, als ihm diese Frage zu stellen. Würde er versuchen, sich zu rächen? War das überhaupt möglich? Vielleicht nicht auf die Art, wie er es gerne täte.

Der Mond verschwand hinter einem Baum, der besonders weit in die Höhe geschossen war. So wie es aussah, hatten die Vetis bei beiden Welten versucht, ihr Handeln zu verschleiern. Die Menschen wollten sie auslöschen, indem sie eine Naturkatastrophe vorgaukelten, bei ihnen hatten sie die Kommunikation abgeschnitten. Ob jemand außerhalb des nethufischen Systems mitbekommen hatte, was dort vorgefallen war? Die Wege waren blockiert, nur nicht die in tote oder vergessene Systeme, wie es schien. Ob irgendjemand nachforschte, falls ganz Nethufia verschwunden war? Waren er und die anderen, die hier auf der Erde gestrandet waren, vielleicht die Einzigen, die davon berichten konnten?

Baldor kam der Gedanke, dass es sinnvoll sein könnte, einen Kontakt über das Tor herzustellen, um es ins Universum hinauszuschreien. Eine weitere Möglichkeit, Hilfe zu bekommen und ein erster Schritt, die Vetis zur Rechenschaft zu ziehen. Vielleicht würde der Rat handeln, wenn er davon erfuhr, oder diejenigen, die einst diesem Planeten geholfen hatten. Einen Versuch war es wert.

Vor allem aber musste er seinen Status wiederherstellen. Es war einfach unerträglich, was sich das einfache Volk herausnahm. Sie ignorierten seine Befehle und er musste sie wie Söldner bestechen, damit sie ihm halfen. Kapierten sie denn nicht, dass sie sich damit auch selbst halfen?

Hinter den Bäumen zeigten sich nun auch die Ruinen kleinerer Gebäude, überwuchert von demselben grünen Zeug, das es hier überall gab. Selbst an den Ruinen konnte er die Fremdartigkeit ihrer Kultur erkennen. Toter Stein, der erst wieder vom Leben in Besitz genommen wurde, als die Menschen lange fort waren. Auf Nethufia lebten sogar die Häuser, in Harmonie mit ihren Bewohnern.

Ah, er war erleichtert, da war sie wieder, die Gewissheit um Nethufias Überlegenheit. Armes untergegangenes Nethufia. Grummelnd stimmte ihm sein Magen zu.

Tobende TentakelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt