Höhle des Löwen (1)

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Der Boden, auf dem er erwachte, war kühl und nass. Feuchtigkeit rann seinen Rücken hinunter und kitzelte seine Tentakelhärchen. So hatte er es gern. Baldor streckte die Arme aus und das Wasser floss zwischen seinen Fingern hindurch. Er lag in einem Bach, aber er konnte sich nicht daran erinnern, wie er dort hingekommen war.

Er blinzelte und weit über ihm, durch die Baumkronen hindurch, lächelten ihm die blassen Umrisse des Mondes entgegen. Platschend setze er sich auf und konnte gerade noch der Sonne hinterhersehen, die hinter dem Horizont versank und den Himmel um sich herum in ihren blutroten Schein tauchte.

Moment. Die Sonne versank? Hatte er etwa den ganzen Tag verschlafen?

Neben ihm saß Ngi und malte Muster in das Bett des Baches, wie Kinder es am Strand tun. Nur war er ein fieser Killerroboter, das verlieh der Szene etwas Verstörendes. Andererseits war er auch ein fieser Killerroboter, der es nicht übers Herz brachte, auch nur einen Goldfisch umzubringen, was nicht weniger seltsam war.

"Du bist wach, Meister?"

"Nochmal, nenn mich einfach Baldor."

"Geht klar, Ba ... Boss!"

Baldors geschundenes Unterbewusstsein ignorierte diesen Satz. "Wie lange liege ich schon hier?"

"Nicht lange. Etwa seitdem die Sonne unterging."

Baldor warf den letzten Strahlen der Sonne einen Blick hinterher. Also nicht lange. "Und was habe ich davor gemacht?"

"Das weiß ich nicht. Du warst nicht da."

In diesem Moment wünschte sich Baldor einen intelligenteren Gesprächspartner, der nicht in Rätseln sprach und dem er nicht jeden Satz aus der Nase ziehen musste. Er hätte selbst Captain Koi genommen. "Was meinst du damit? Sprich mal so, dass ich dich verstehen kann!"

"Tut mir leid, um diesem Befehl nachzukommen, fehlen mir entscheidende Informationen."

Jetzt reichte es ihm. "Du blöde Blechbüchse!"

"Ich war dir gern zu Diensten, Boss."

Baldor überlegte, ob er Ngi noch eine Beleidigung an den Kopf werfen sollte, aber dem Roboter machte das ja nicht das Geringste aus. Wahrscheinlich würde er gleich noch beteuern, wie gern er sich beleidigen ließ. Baldor seufzte und gab auf. Stattdessen erhob er sich, streckte seine Glieder und ließ das kühle Wasser des Baches an sich herabtropfen. Da fiel ihm auf, dass er nackt war. Sein Surferanzug war verschwunden.

"Ngi, ich bin nackt."

"Jetzt, wo das sagst, Chef, fällt mir das auch auf."

"Warum?"

"Weil ich das für keine wichtige Information hielt."

Baldor stöhnte. Ob der Roboter ihn wirklich falsch verstanden hatte, oder wollte er ihn nur auf die Palme bringen? "Nein, ich will wissen, warum ich nackt bin!"

"Dein Anzug muss kaputt gegangen sein."

"Du hast nichts damit zu tun?"

"Nicht im Geringsten, Meister", beteuerte der Roboter mit felsenfester Stimme. Musste ja stimmen, wenn er nicht lügen konnte.

"Okay, dann hilf mir mal kurz."

Es dauerte einen Moment, dann hatte er sich mit Ngis Hilfe eine provisorische Hose aus dem gebaut, was sie im Wald gefunden hatten. Das war nicht die würdigste Bekleidung für den Sohn des Präsidenten, das war ihm klar, aber besser als nichts. Baldor bemerkte, dass er neben seinem Anzug, auch den Korallenkommunikator verloren hatte, und ärgerte sich ein weiteres Mal.

"Du weißt nicht zufällig, in welche Richtung wir müssen, um die Stadt der Menschen zu erreichen?"

Das Gesicht des Roboters zeigte einen Ausdruck der Verzückung, was dank des Metalls wirklich seltsam aussah und Baldor unter anderen Umständen zum Lachen verleitet hätte. "Ich habe die Position gespeichert, Meister, wir müssen dort lang. Es ist mir eine wahrhaftige Freude, dass ich helfen konnte."

"Klar, du bist doch nur auf das Geld scharf!"

"Das auch."

Der Roboter zeigte die Richtung an und Baldor marschierte los. Es dauerte nicht lang, da erreichten sie eine Stelle, die ihm bekannt vorkam. Das war der Waldrand, in dessen Richtung er geflüchtet war, nachdem dieser Mensch auf ihn geschossen hatte. Es war vielleicht besser sie zu umgehen.

Als er Ngi anweisen wollte, eine Ausweichroute zu berechnen, fiel ihm etwas auf. Das Haus mit den Einzäunungen, das dort hinten stehen sollte, sah im Schein des Mondes sehr seltsam aus. Seine Form hatte sich verändert.

"Ngi, sollte dort hinten nicht eigentlich das Haus dieser Wagenbauers stehen?"

"Das stand dort, Boss, da hast du recht."

"Und jetzt nicht mehr?"

"Nein."

Baldor wartete.

"Sag mal, kannst du mir einfach sagen, was passiert ist, ohne, dass ich dir jede Frage einzeln stellen muss?"

"Ja, kann ich, Boss. Einen Moment. Wechseln der Kommunikationsroutine von minimalistisch militärisch auf Standard läuft. Wechseln der Kommunikationsroutine abgeschlossen."

Der Roboter schwieg. Scheinbar musste Baldor seine Frage erneut stellen. "Okay, was ist dort passiert?"

"Das Haus wurde von einem Monster zerstört. Es hat nichts übrig gelassen. Der Kerl, der auf dich geschossen hat, ist tot. Hat kurzen Prozess mit ihm gemacht."

Das Monster, das ihn letzte Nacht verfolgt hatte? Dann hatte es wohl doch weniger Angst vor den Menschen gehabt, als er gestern noch dachte. Ein Wunder, dass er selbst überlebt hatte. Vielleicht hatte er es sogar mit angesehen und es war ein solch schrecklicher Anblick gewesen, dass er ihn verdrängt hatte. Und den ganzen restlichen Tag ebenfalls.

"Wo ist das Monster jetzt?"

"Weg."

"Und wohin?"

"Das kann ich nicht beantworten, dazu fehlen mir die nötigen Informationen."

Oh, klasse, jetzt waren sie schon wieder an diesem Punkt angekommen. Aber was machte es schon. Das Monster war weg und er konnte weitergehen, ohne dass der Mensch von letzter Nacht, noch einmal auf ihn schießen konnte. Geschah ihm recht.

Tobende TentakelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt