Uruk machte seine Ankündigung wahr. Er kam nicht wieder um weiter mit mir zu trainieren und nachdem ich das eingesehen hatte, waren meine Selbstzweifel noch größer geworden. Vielleicht hatte er wirklich etwas tolles in mir gesehen und war jetzt genauso enttäuscht von mir wie ich selbst. Doch ich wusste auch nicht was ich tun konnte, um besser zu werden. Wie sollte ich es schaffen, meinen Kopf freier zu kriegen beim Beschwören? Ich sollte mich doch auf einen Gedanken konzentrieren, oder nicht? Und war es auf der anderen Seite nicht super gefährlich, wenn man sich nicht konzentrierte...?
Meine einzige Hoffnung auf verständlichere Antworten trainierte immer noch etwa fünfzig Meter von mir entfernt mit ihrem Partner. Sie schaffte es mittlerweile, ein Schild lange genug aufrecht zu erhalten um drei Schüsse von Kallik erfolgreich abzufangen, bevor es löchrig wurde oder sich auflöste. Trotz allem Neid war ich auch froh für sie. Sie hatte dieses Feuer, das sie mir gestern beschrieben hatte, bereits in sich und konnte es beherrschen. Ich musste es wahrscheinlich noch finden, bevor ich wirklich mit Üben loslegen konnte.
Bis dahin studierte ich Lavitas Bewegungen, wie sie ihre Hände hielt und vor jeder neuen Beschwörung mit ihrem rechten Fuß einen Ausfallschritt nach hinten machte. Mit ihrem Schmuck sah sie dabei extra grazil aus: Einen Schritt zurück, die überkreuzten Arme nach vorne stoßen bis sie ausgestreckt und gerade waren, die Handflächen dem Gegner zugewandt. Sobald sie diese auseinanderzog, als wolle sie einen unsichtbaren Vorhang beiseite streichen, flimmerte dazwischen das Schild auf und breitete sich schlagartig auf ihren Befehl zu einer dünnen Mauer aus, die eine Länge von vielleicht zwei Metern erreichte. Es wirkte so leicht und mühelos bei ihr. Als müsse sie sich gar nicht anstrengen. Doch bei einem genaueren Blick auf ihr Gesicht merkte ich, dass das nicht ganz stimmte. Auf ihrer Stirn standen Schweißperlen und sie blinzelte öfter als normalerweise. Ob Kallik ihr bisher eine Pause erlaubt hatte? Ich hatte sie dann jedenfalls nicht mitbekommen.
Für einen kurzen Moment glaubte ich eine kleine Bewegung aus meinen Augenwinkeln zu sehen, doch noch bevor ich reagieren konnte, bohrte sich ein kurzer stechender Schmerz in meine Seite, so plötzlich und unerwartet, dass ich aufschrie. Ich zuckte beiseite und verlor das Gleichgewicht auf meinem Sitzplatz, weswegen ich zur Seite kippte und mit meinen Armen rudernd noch geradeso den kleinen Sturz abfederte.
Hellwach, geschockt und verwirrt schaute ich mich um. Was war das denn gewesen?! Auf der Suche nach einer Ursache sah ich zu Lavita und dann Kallik hinüber und bemerkte ein Grinsen über sein Gesicht huschen.
"Nicht einschlafen! Du hast heute noch gar nichts gemacht, wie kannst du da schon durchhängen?"
Mein erster Impuls war, mich zu rechtfertigen. Dass ich gar nicht müde gewesen war, sondern bloß konzentriert beobachtet hatte. Doch dann schlug der zweite Satz in meinem Gehirn ein und mein Mund blieb ein wenig offen stehen, ohne dass ich sehr viel mehr als ein leises "Aber-" heraus bekam. Kallik hatte es mitbekommen. Er wusste, dass ich kläglich versagt hatte. Außerdem hatte er mich eh schon auf dem Kieker, was brachte es mir da noch, mich vor ihm zu verteidigen?
"Hast du... hast du Nat gerade mit einem Funken gepiekt?", fragte Lavita skeptisch und leicht außer Atem. Sofort war Kalliks gehässige Miene wie ausgetauscht. "Waaas? Wie kommst du denn darauf?", fragte er an das Mädchen gerichtet. Seine Stimme war seidenweich geworden, wie immer wenn er versuchte, besser bei ihr dazustehen. Heute sollte ihm das aber nicht gelingen. "Ich hab doch etwas gesehen! Lass ihn, er kann sich noch nicht verteidigen."
Meine Scham wurde noch größer. Jetzt musste Lavita mir auch noch zur Hilfe eilen. Ein Teil von mir wollte abhauen und sich im Boden vergraben, doch leider war er nicht stark genug.
Was Kallik sagte, hörte ich nicht mehr. Aber Lavita lief daraufhin zu mir und legte mir eine Hand auf die Schulter. "Das ist nicht witzig! Er ist schon verletzt, also lass ihn da raus, verstanden?"
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Die Geschichte von Feuer und Wasser
FantasyNat's Leben ist okay und beinahe sogar normal, bis zu dem Tag, als ihn ein Wildfremder auf der Straße anspricht und alles anzweifelt, woran Nat jemals geglaubt hat: Seine Herkunft, das Schicksal seiner Eltern und die wahren Absichten seines Ziehvate...