"Ich habe wieder von dem Brand geträumt. Aber etwas war anders als sonst. Da war dieses Mal nicht nur das eine Haus, sondern eine ganze brennende Stadt! Und sie war völlig leer, außer mir war niemand dort."
Alec nickte langsam. Er nahm meinen immer wiederkehrenden Traum außerordentlich ernst und hatte mich gebeten, ihm davon zu erzählen, wenn ich es nochmal sah und sich vielleicht etwas verändert hatte. Ich wusste, worauf er insgeheim hoffte. Er wollte wissen, ob meine Eltern jemals in meinem Traum vorkamen. Was mit ihnen in dieser einen schicksalsverhangenen Nacht genau passiert war.
Seit ich das erste Mal von dem brennenden Haus geträumt hatte, war mir die Vermutung gekommen, dass es sich um eine unterdrückte Erinnerung handeln konnte, die mit steigendem Alter langsam wieder kam. Aber ich hatte nie eine Menschenseele in der lodernden Ruine gesehen. Einmal glaubte ich, den Schrei einer Frau dazu gehört zu haben. Sie hatten mich wahrscheinlich zuerst aus dem Haus geschafft, bevor sie noch einmal zurück gegangen und nie wieder heraus gekommen waren. Das war meine Erklärung. Alec wusste über die Nacht nicht mehr als ich und verließ sich deshalb auf mein Gedächtnis, damit wir dieses Mysterium eines Tages doch noch vollständig lösen konnten. Aber eine brennende Stadt...? Die passte so ganz und gar nicht in die Geschichte, die wir bisher rekonstruiert hatten!
"Hmmm...", grübelte mein Begleiter derweil neben mir, "Erinnerst du dich noch an Details aus der Stadt? Ein markantes Gebäude, ein bestimmter Baustil, vielleicht Zahlen oder Straßennamen?"
Ich kratzte mir den Nacken. Etwas war mir tatsächlich aufgefallen, aber das ergab keinen wirklichen Sinn. "Die Häuser waren alle furchtbar alt! Da waren Säulen gewesen, viele Säulen und kleine Fenster und, ähm, sehr viel Stein? Aber Stein brennt nicht, das kann nicht stimmen... Wenn ich es nicht besser wüsste, hätte ich gesagt, ich habe das antike Rom gesehen, da hatte es doch irgendwann mal diesen riesigen Brand gegeben. Aber... was hatten denn meine Eltern damit zu tun?"
Darauf konnte mir Alec auch keine sofortige Antwort geben. Doch er machte sich weiterhin Gedanken darüber, das sah ich ihm eindeutig an. Er sprach heute auf dem Heimweg viel weniger als sonst. Als er dann auf den letzten hundert Metern wieder etwas sagte, hatte er noch keinen möglichen Grund gefunden: "Es war nur das eine Haus gewesen, keine Stadt... Tut mir leid Nat, das scheint ein falscher Anhaltspunkt zu sein. Aber wenn du es nochmal träumst-"
"Dann geb ich dir Bescheid. Versprochen!", vervollständigte ich sein kleines Mantra zu diesem Thema und lächelte schief. Es war beruhigend zu wissen, dass damals keine ganze Stadt abgebrannt war, aber gleichzeitig war es wie ein Schlag, mich nicht mehr vollständig auf das verlassen zu können, was ich so lange Zeit für meine unterdrückten Erinnerungen gehalten hatte.
Alec runzelte seine Stirn. "Heißt das, du hast wieder Ärger mit deinen Lehrern bekommen?"
"Ja...", brummte ich. "Die Kramer hat mit mir geredet. Das selbe wie immer. Ich brauche gute Noten, um durch meine Prüfungen zu kommen und später einen Job zu finden." Unzufrieden pustete ich mir eine schwarze, gewellte Haarsträhne aus der Stirn und wartete, bis Alec die Haustür aufgeschlossen hatte. "Aber für deinen Job brauche ich keine guten Noten, richtig? Ich kann bei dir anfangen, wenn ich mit der Schule fertig bin!"
Mein Kumpel zögerte kurz, doch dann nickte er langsam: "Ja... ja, ich werde schauen, was sich machen lässt!"
Vater und Mutter waren ums Leben gekommen, als ich gerade einmal drei Jahre alt gewesen war, bei einem Wohnungsbrand. Sehr viel mehr Anhaltspunkte hatten wir gar nicht, ich wusste nicht einmal, wo wir damals gewohnt hatten. "Du würdest eh nichts mehr sehen können, alles was nach dem Feuer noch stand, wurde kurz darauf abgerissen", erklärte man mir dann immer. Aber wenigstens hatten meine Eltern einen Grabstein bekommen, den Alec und ich ab und zu besuchten. Immerhin ein Hinweis darauf, dass sie je wirklich existiert hatten.
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Die Geschichte von Feuer und Wasser
FantasyNat's Leben ist okay und beinahe sogar normal, bis zu dem Tag, als ihn ein Wildfremder auf der Straße anspricht und alles anzweifelt, woran Nat jemals geglaubt hat: Seine Herkunft, das Schicksal seiner Eltern und die wahren Absichten seines Ziehvate...