Kapitel 18

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"Warte mal, was?"

Lavita schaute mich stirnrunzelnd an, als mir das Lachen in der Kehle stecken blieb und mir stattdessen dieser fassungslose Satz herauspurzelte. "Nat?"

"Du warst auch mal so wie ich?"

"J-ja, war ich. Kallik hatte mich aufgesammelt, als ich neun Jahre alt war", sagte sie. An den Teil mit Kallik konnte ich mich nicht erinnern, aber das war nicht der springende Punkt und ich verwarf die Info erst einmal. "Und du hattest gesagt, dass du die Schule vermisst. Und Achterbahnen."

Lavita stutzte kurz, dann nickte sie: "Ja, das hatte ich gesagt. Was ist damit?"

Ich konnte nicht sofort antworten. Warum war mir das nicht gleich aufgefallen? Das veränderte möglicherweise alles! Vor Aufregung stolperte ich beinahe über meine eigenen Wörter, als ich schließlich zusammenbringen konnte: "Also war dein Fluctus nett zu dir?"

Das Mädchen wurde rot, blickte zur Seite und verknotete ihre Finger. "Hm, naja... Er... Er war nicht böse. Nicht so sehr jedenfalls."

Alec war nicht der Einzige gewesen...! Vielleicht verstand Lavita mich tatsächlich wenn ich ihr von ihm erzählte! Aber sie brauchte mich nur einmal anzuschauen um sofort zurückzurudern: "Wow wow wow! Stopp mal, er war kein Held. Er hat mich in ein Internat geschafft weil er sich nicht jeden Tag um mich kümmern wollte. Ich glaube es war ihm sogar egal, ob ich eine Ignis bin oder nicht, er wollte nur möglichst lange in der Menschenwelt faulenzen, damit er nicht zurück nach Noatun musste. Kein Traumpapa."

Mein Elan verpuffte. "Tut mir leid für dich", konnte ich noch murmeln, während ich gegen leichte Schwindelgefühle ankämpfte. In meinem Kopf hatte es sich schon alles zu einem tollen Gesamtbild zusammengepuzzelt. Nach ihrer Richtigstellung fühlte ich mich wieder seltsam ausgehöhlt und leer. Mist...

"Dein Ziehvater war wohl nett?", fragte Lavita aufmerksam. Doppelt Mist! Jetzt hatte ich sie doch noch auf diese Fährte gebracht. Sollte ich sie anlügen und mir etwas ausdenken, wie Alec mich in falscher Sicherheit gewogen hatte, bis er mich vor den Augen aller Ignis umbringen konnte und nur der Angriff der anderen Fluctus das verhindert hatte? Etwas zog sich mit eiskalten Krallen in mir zusammen bei dem bloßen Gedanken daran. Na los Nat, entscheide dich und zwar schnell!

"Ja...", flüsterte ich nur. Lavita holte leise zischend Luft und ich machte mich schon auf ein neues Donnerwetter gefasst, als sie mich an den Schultern nahm und zwang, sie anzusehen. "Hör zu Nat, das darfst du niemandem einfach so leichtfertig erzählen, okay? Ich weiß dass es auch freundlichere Fluctus gibt, aber ein paar Ignis von hier würden dir die Pest an den Hals wünschen, wenn du die Möglichkeit auch nur erwähnst!" Sie hielt kurz inne und ihre Augen weiteten sich. "Ach du scheiße, du hast Lydia und Owen davon erzählt, oder?"

"Angedeutet", nuschelte ich beschämt. Das Mädchen hatte mich durchschaut wie eine Scheibe aus frisch geputztem Plexiglas. Sie wurde aber nicht wütend auf mich, stattdessen lächelte sie süßlich-bitter: "Es gibt hier Kinder, die wurden aus ganz schlimmen Situationen gerettet. Gefängnissen könnte man beinahe sagen. Sie wurden ihr ganzes Leben von Fluctus misshandelt, damit sie möglichst früh ihre Kräfte zeigten. Lydia und Owen wurde ihr Kind gestohlen und sie konnten nichts tun, um das zu verhindern. Freundliche Fluctus sind halt einfach extrem selten und ich freue mich für dich, wenn du dieses Glück hattest."

Ich nickte stumm. Meine Gedanken waren jetzt wieder voll und ganz bei Alec angekommen und ich hätte heulen mögen. Einer von den extrem seltenen und er war tot. Dass ich mit Lavita theoretisch über ihn erzählen durfte, aber wir mit niemandem sonst so offen sein konnten, fühlte sich nahezu genauso einsam an, wie es ganz allein für mich zu behalten.

"Willst du jetzt wieder etwas wissen Nat? Oder...?"

"Ja, ja. Lydia und Owen, der ihr Kind, das-?" Der Impuls war mir urplötzlich gekommen und durch die Realisation dieser Möglichkeit wurde mir kurz schlecht. Selbst wenn das hieß, meine echten Eltern gefunden zu haben, wollte ich mit den beiden nichts mehr zutun haben. Lavita schüttelte beruhigend den Kopf: "Das denken alle Neuen wenn sie das erste Mal von den beiden hören. Aber nein, sie vermissen eine Tochter namens Nina und die wäre jetzt acht Jahre alt."

Ich nickte wie maschinengesteuert während alles aus dem Lot geratene in meinem Körper wieder zurecht rutschte. Puh. Die beiden sahen mir zum Glück auch nicht besonders ähnlich. Das wäre ein unfassbar mieser Zufall gewesen, wenn es gestimmt hätte.

"Der Junge der mich bei der Schmiede abholen sollte, lebt der noch?", fragte ich als nächstes. Ich erinnerte mich nicht mehr an seinen Namen, nur noch an seine karottenroten Haare und daran, als Alec ihm aus Reflex eine Wasserbeschwörung in die Schulter gejagt hatte. Genau wie Uruks vernarbtes Gesicht war der Anblick, wie dieser Junge sich unter Schmerzen im Gras wälzte, vielleicht für immer in mein Gehirn gebrannt. Aber auch hier konnte Lavita mich beruhigen. "Levi lebt. Er konnte sich heilen, nachdem Kallik ihn hierher zurückgebracht hatte. Aber ich glaube, er wird sich nicht so sehr freuen, dich wiederzusehen. Kallik auch nicht, Uruk hatte fürchterlich mit ihm geschimpft, dass er einen Kampf in deiner Gegenwart angezettelt hatte. Weißt du, Uruk kann die Auren von Fluctus spüren, wenn sie ihre Kräfte einsetzen. Die sind zu hunderten zur Schmiede teleportiert, er meinte, du könntest das unmöglich überlebt haben! Bei uns bist du also schon eine kleine Berühmtheit, mehr oder weniger." Sie lachte beim letzten Satz auf mit dieser Art Lachen, die das Eis nach einer langen Anspannung brach oder mit der sich alte Freunde an ein gemeinsames, großartiges Erlebnis erinnerten. Auch ich begann zu lächeln, selbst wenn das Lachen noch ausblieb. Ich, eine Berühmtheit? Sicher nicht, vielleicht hatten sie ein- oder zweimal meinen Namen erwähnt. Aber Lavitas Plan hatte funktioniert. Vor wenigen Minuten hatte ich sie noch wegscheuchen und loswerden mögen, jetzt spielte ich tatsächlich mit dem Gedanken, mit ihr zu kommen. Und sei es nur, um mir erst einmal einen Eindruck von allen machen zu können. Der Rachezug gegen die Fluctus war vergessen - vorerst.

"Aber das Beste wäre, du würdest unsere Truppe persönlich kennenlernen", meinte Lavita im nächsten Moment, als hätte sie meine Gedanken gelesen. Nervös kratzte ich mich am Arm und zuckte zusammen, als ich einen Zentimeter erwischte, der von diesem schwarzen Zeug betroffen war. "Bin ich denn soweit?", fragte ich sicherheitshalber, doch auch um Zeit zu schinden und in mich hinein zu horchen, ob es sich richtig anfühlte. Das Mädchen neben mir nickte mit einem vorsichtigen Blick auf meine Hände. "Ich denke schon. Du wirkst nicht mehr so sauer wie vorhin und so langsam müssen wir uns um die Schwärzung kümmern, bevor es sich ausbreitet. Dabei kann dir Uruk von allen Ignis am besten helfen! Kommst du mit?"

Ich lauschte unterdessen weiter in mich. Lavita hatte es wirklich geschafft, meine Stimmung zu heben und neugierig war ich auch, auf Atana und die anderen Waisenkinder zwar eher als auf Uruk und Kallik, aber das musste Lavita ja nicht unbedingt wissen.

Ich legte meinen Kopf in den Nacken und schaute in den Himmel. Hätte Alec das so gewollt? Die Antwort war glasklar. Er hatte mich hierher gebracht in der Hoffnung, dass ich mein Leben mit den Ignis weiterführen konnte ohne ständig Angst um mein Leben haben zu müssen. Also war es beschlossen: "Okay, ich komme mit."

Die Geschichte von Feuer und WasserWo Geschichten leben. Entdecke jetzt