BIANCA
Am nächsten Tag war es soweit - Pepas und Julietas Geburtstag stand an. Wir waren alle erst abends zu ihnen eingeladen, aber ich konnte es kaum abwarten, zu meinen Freundinnen zu gehen. Hernando hatte ich nicht mehr gesehen, seitdem er sich nachts in mein Zimmer geschlichen hatte und obwohl ich nach ihm gesucht hatte, hatte ich ihn nirgends gefunden. Ich hätte ihn gerne mit auf den Geburtstag genommen, aber wenn ich ihn nicht finden konnte, dann konnte ich ihn auch nicht fragen. Ich hatte meinen Freundinnen als Geschenk zwei Ketten in ihren Lieblingsfarben gemacht, die ich ihnen schenken wollte. Hoffentlich gefielen sie ihnen! Ich war gerade am Brunnen und las den kleinen Kindern vor, die sich neugierig um mich gesammelt hatten, als ich einen Schatten aus den Augenwinkeln bemerkte. Ich sah kurz auf und bemerkte Hernando. Er war wieder da! Wo war er nur gewesen? Er hatte sich wie immer seine Kapuze übergezogen und lächelte mich an. Damit die Kinder nicht bemerkten, dass ich von dem plötzlichen Auftauchen meines Freundes verwirrt war, las ich schnell weiter. Zum Glück schienen die Kinder das gar nicht zu bemerken, denn sie hingen immer noch an meinen Lippen. Immerhin das!
Nachdem ich das Buch beendet hatte, rannten die Kinder davon, um sich für die große Feier heute Abend fertig zu machen. Hernando kam zu mir, sobald sich der Platz geleert hatte, worauf ich vom Brunnen aufstand.
"Wo warst du gestern? Ich hab im Gasthaus nachgefragt und die meinten, dass du dort nicht übernachtest! Wo schläfst du, wenn du auf der Durchreise bist?", fragte ich fassungslos nach, er lachte.
"Beruhige dich, querida. Ich bin kein Gasthausfreund, ich schlafe lieber unter den Sternen. Deswegen bin ich nicht im Dorf, ja? Ich mag das einfach nicht, außerdem habe ich nicht wirklich Geld", wandte er entspannt ein und zuckte die Schultern.
"Dann übernachte doch bei uns! Meine Familie hat sicher nichts dagegen, aber du kannst nachts nicht draußen bleiben! Was ist, wenn die Jaguare dich angreifen?", schlug ich vor, aber er schüttelte den Kopf.
"Nein, danke, ich mag keine Häuser. Der freie Himmel ist mir lieber", lehnte er ab. "Aber danke für das Angebot, amor." Er gab mir einen Kuss auf die Wange und wollte sich zum Gehen wenden, aber ich hielt ihn fest.
"Warte! Heute Abend ist der Geburtstag meiner Freundinnen bei dem großen Haus dort oben, Casita. Möchtest du mitkommen?", fragte ich neugierig nach, er grinste.
"Gerne, ja. Wann soll ich dich abholen?", stimmte er schnell zu.
"Um sechs? Dann kommen wir genau rechtzeitig", antwortete ich, er nickte.
"Sehr gut, dann hole ich dich später ab", sagte er. "Ich freue mich darauf."Gegen sechs holte Hernando mich tatsächlich ab. Ich hatte mir mein bestes Kleid angezogen und freute mich, dass mein Freund mich nun so sehen konnte. Er lächelte mich an, als er mich sah.
"Du sahst nie schöner aus, querida", sagte er, was mich zum Lächeln brachte. Ich strich mir verlegen eine Strähne meiner schwarzen Haare zurück.
"Danke", erwiderte ich. "Wollen wir losgehen? Julieta und Pepa erwarten mich schon, wir sind seit jüngster Kindheit befreundet!"
"Ja, sie werden sicherlich froh sein, dich zu sehen", stimmte er zu. "Erzähl mir doch ein bisschen was von ihnen, damit ich vorbereitet bin."
"Oh, ja, natürlich!", beeilte ich mich zu sagen. "Also, Julieta ist die älteste und sie hat die magische Gabe, mit ihrem Essen alle möglichen physischen Verletzungen zu heilen! Und Pepa kann mit ihren Emotionen das Wetter verändern! Wenn sie sich aufregt, fegt hier so ein heftiger Wind durch das Dorf, dass man sich nicht mal mehr auf die Straße traut! Eigentlich haben die beiden noch einen kleinen Bruder, Bruno, aber der ist seitdem er sieben ist verschwunden. Die Leute waren nicht nett zu ihm, weil er die Gabe hatte, die Zukunft vorherzusagen. Die Leute haben ihn verteufelt, weil er nur schlechtes gesehen hat und das hat ihn so traurig gemacht, dass er nicht mehr aus seinem Zimmer gekommen und irgendwann einfach verschwunden ist. Das... finde ich wirklich schade. Weißt du, ich glaube, wir hätten gute Freunde werden können." Hernando sah mich verwirrt an.
"Ach ja? Und wieso?", fragte er beinahe schon überrascht nach.
"Na ja, er war zwar immer sehr für sich, aber ich mag das eigentlich sehr. Und die Jungs, die schüchtern sind, sind häufig auch die klügsten und liebenswertesten. Zumindest habe ich diese Erfahrung gemacht", erklärte ich und seufzte. "Manchmal wünschte ich, ich wäre früher auf ihn zugegangen. Wir wären mit Sicherheit Freunde geworden und hätten zusammen etwas bewegen können. Manchmal wünschte ich mir, Bruno könnte das hören." Hernando wandte den Blick ab.
"Oh, ich bin mir sicher, dass er das gehört hat, wo auch immer er sein mag", sagte er leise und beinahe etwas heiser. Ich sah ihn an, doch er lief einfach schneller.
"Aber wie?", fragte ich verwirrt nach.
"Gute Nachrichten verbreiten sich schnell. Wenn er das hört, kommt er sicherlich im Handumdrehen zurück zu seiner Familie", antwortete er ausweichend und blieb vor Casita stehen. "Nach dir, querida. Ich würde die anderen gerne überraschen."
"In Ordnung, ok", willigte ich ein und betrat zuerst das Haus. Meine Freundinnen drehten sich sofort zu mir um und umarmten mich, während ich ihnen zum Geburtstag gratulierte und meinen Besuch ankündigte. Ich drehte mich zur Tür um und rief nach Hernando. Er kam zur Tür rein, doch alle schnappten erschrocken nach Luft, als er zum ersten Mal die Kapuze abnahm. Ich schloss mich dieser Reaktion an. Julieta hatte recht gehabt!
"Habt ihr mich vermisst, hermanas?" Bruno! Oh Gott, warum war ich nur so blöd gewesen, ihn hierher zu bringen?! Wieso hatte ich ihn nicht schon früher erkannt?! Alma kam zu uns und schob uns beschützend hinter sich. "Mamá, mach keinen Aufstand! Ich kriege sowieso, was ich will! Es ist ja schließlich auch mein Geburtstag, nicht wahr?"
"Bruno, du bist hier nicht mehr willkommen! Verlass Casita auf der Stelle!", schrie Alma ihn an.
"Erst, wenn ich habe, was ich will", widersprach er ihr und griff in die Tasche seines Ponchos. Er holte eine grüne Steintafel hervor und sah mich an, bevor er sie mir hinwarf. "Meine Vision für dich, Bianca. Noch merkst du nichts davon, aber warte mal einige Wochen ab." Ich sah auf die Tafel. Dort saß ich, mit einem Baby auf dem Arm. Hatte er etwa...? Ich sah ihn fassungslos an, er lachte.
"Wie süß du aussiehst, wenn du überrascht bist! Ich sollte mir ein Bild davon machen! Aber keine Sorge, ich habe dich nicht gezwungen. Wir haben getrunken und du wolltest es. Komm damit klar, dass du ein Baby erwartest. Und ich hole mir in der Zeit mein Geschenk."
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The evil within
FanfictionBianca ist sechzehn Jahre alt und lebt seit sie denken kann in Encanto. Es ist das friedlichste Dorf der Welt und nichts kann dies erschüttern - auch nicht die mysteriöse Legende über Bruno, den jüngsten der Madrigal-Drillinge. Die Madrigals sind di...