Sie gehen an mir vorbei

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Er geht an mir vorbei. Und sie. Und ihr.

Ich sitze und bettle und flehe. Schlucke meinen Stolz.

Er gibt mir einen Kaffee, dabei trinke ich gar keinen Kaffee.
Egal, Hauptsache ich kauf' mir keinen Alk.

Bin erwachsen und werd' doch bevormundet. Hauptsache ich kauf' mir keinen Alk. Dass er gegen den Schmerz hilft, weiß er nicht.

Sie gehen an mir vorbei,
Halten ihre Taschen fest,
Sehen auf mich herab.

Mitleid oder Hass oder Ärger.

,,Was macht der Penner hier?
Ich will den nicht vor meinem Laden!"
Er weiß nicht, dass es nur hier warm ist über Nacht. Dass mich nur hier keiner ausraubt, weil er eine Kamera überm Laden hat.

Sie gehen an mir vorbei.
Zur Arbeit,
Zur Schule,
Zum Leben.

Einst war ich wie ihr.
Bevor sie starb,
Bevor ich mir Ersatz suchte,
Bevor Kokain meine Flucht wurde.

Sie gehen an mir vorbei.
Lachendes Kind, das mir stolz 'nen
Euro gibt.
Strasenmusikerin, die neben mir anfängt zu spielen.
Gruppe junger Männer, die mir ne Brezel kaufen.

Sie gehen an mir vorbei
Und ich höre sie
Und sehe sie
Und doch fühl' ich mich, als wär' ich nicht da.
Als wär' ich nichts.

Denn ich sitze da,
Und flehe da,
Und bitte da,

Und doch bleiben sie nicht stehen, Hören nicht zu,
Fragen nicht nach.

Sie gehen an mir vorbei.
Vergessen mein Gesicht,
Dabei sag ich doch jeden Morgen Hallo,
Dabei war ich gestern schon hier und hab gefroren,
Dabei gab er mir letzte Woche doch noch 'nen Kaffee.
Auch wenn ich keinen trinke. Die Wärme tat gut. Sein Lächeln tat gut.

Bekomm ich nicht oft. Eigentlich nie.

~•~

Diesen Poetryslam hab ich für die liebe Unkn0wn048 geschrieben, sie hat sich was zum Thema Obdachlosigkeit gewünscht <3

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