Der Werwolf

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Die Jahre sind vergangen. Ich vermisse dich immer noch. Immer noch ziehe ich von Wald zu Wald. Kleidung habe ich keine mehr, aber für die Zeit in menschlicher Gestalt reicht mir deine Decke. Sie ist mir Mantel, Kleidung und Schlafsack und mittlerweile schon ziemlich abgetragen und voller Risse. Ihr größter Vorteil jedoch ist die schnelle Flucht und Verwandlung, ohne dabei Kleidung zerreißen zu müssen oder schlimmer noch sich darin zu verfangen. Ich lebe mein Leben auch ohne dich weiter, doch die Fragen werden bleiben, die ich dir schon damals gestellt hatte. Wohin gehen wir wirklich oder ich jetzt alleine? Warum soll ich Wölfe meiden? Nur wegen ihm? Mittlerweile kommen immer mehr Fragen dazu. Mum, warum verfolgt er uns, was will er von dir und vor allem, Mum was ist damals wirklich passiert?

Es hat viele Jahre gebraucht, bis die beiden Rudel zu einem zusammen gewachsen sind. Wenigstens haben sich die Streitereien um den Stand ein wenig.... Aufgelöst? Nein, verschoben! Mein Großvater hatte Sorge, mein Vater würde nicht gut genug mit seiner Tochter umgehen. Ich glaube diese Sorge hatte er viele Jahre noch. Mein Vater hat viel auf sich genommen um ihn zu beschwichtigen.  Er hatte ihm sogar angeboten, ihn zeitweise in den Kerker sperren zu können, sollte seine Tochter ihm sagen, er hätte sie nicht glücklich genug gemacht. Ein Alpha, der sich brav von seinem Schwiegervater wegen einem Streit mit seiner Luna in den Kerker sperren ließe, ja wie sähe das denn aus? Zum Glück war meine Mutter ein richtiger Sonnenschein. Das andere Alpha Pärchen wollte leider noch gar nicht zurück treten und da wollte das dann der Vater meiner Mutter auch nicht. Als der Streit schon wieder zu eskalieren drohte, verkündete meine Mutter, dass sie mit meinem Vater zusammen wegziehen wolle, weil sie das ewige Gezanke nicht mehr aushielt, und das schien zumindest etwas zu helfen. Wenigstens die ehemaligen Alphas erkannten da, dass ihre Kinder wohl klüger waren.

Tief durchatmen. Immer noch starre ich die leeren Seiten an. Warum schaffe ich es nicht, von meiner Flucht zu erzählen? Ich dachte ich sei stark genug...tja falsch gedacht. Fliehen ist wohl das einzige, was ich wirklich kann. Aber ich muss mich erinnern auch wenn es weh tut. Muss festhalten, in welcher Gefahr ich stecke, mir dessen bewusst machen...und wieder fliehen. Was war das eigentlich für ein Kerl? Er roch widerlich nach nassem Hund, Tabak und Alkohol. Er wollte mir etwas antun, aber eigentlich wollte er meine Mutter. Er hatte den Sohn der Familie, die mich aufgenommen hatte, quer du den ganzen Raum geschleudert, nur weil der mich beschützen wollte. Das war für den Mistkerl eine Leichtigkeit, sodass ich nicht wissen will, wie stark der wirklich ist. Normalerweise fand ich diesen Jungen unglaublich nervig, der mir auf Schritt und Tritt folgte, doch ich glaube an diesem Tag hatte er mir das Leben gerettet, auf jeden Fall hat es mir geholfen rechtzeitig zu fliehen. Sein Fall hatte mich aus meiner Angststarre gelöst. Oh Göttin, ich hoffe er hat es nicht mit seinem Leben bezahlt! Wie er durch die Luft flog, der dumpfe Aufprall, da sah ich ihn zum letzten Mal. Keine Ahnung, wie dieser Wolf eigentlich rein kam. Hatte er geklingelt? Ich weiß es nicht mehr. Plötzlich stand er vor mir, sein widerlicher Atem in meinem Gesicht und ich konnte mich im Schockzustand keinen Millimeter bewegen oder auch nur etwas sagen. "Hab ich dich Kleine! Wo ist deine Mutter? Sie gehört mir! Bring mich zu ihr." Stumm schaffte ich es noch irgendwelche den Kopf zu schütteln. "Nicht? Sollen wir sie lieber herkommen lassen? Wenn ich dich mitnehme, wird sie ganz von alleine zu mir zurück kommen. Und wenn sie zögert, werden deine Schmerzensschreie sie sicherlich überzeugen. Das wird ein Spaß! Was machen wir 2 als erstes? Ich glaube zuerst fessel ich dich und dann schneide ich dir die Kleidung vom Leib und dann..." - "Du führst meine Schwester nicht an!", Würde der ekelhafte Hund unterbrochen. Ich sah ihn an, meine Augen schreien "Lauf!", Doch der Junge stürzte sich mutig auf meinen Angreifer und wurde mit einer halben Armbewegungen gegen die Gegenüberliegende Wand geschleudert. Ein 10-jähriger Menschenjunge hatte gegen einen Erwachsenen Werwolf keine Chance. Dass wusste dieser Mistkerl genau und ging langsam, drohend und tief grinsend auf den armen Jungen zu. Mehr brauchte es nicht. Eine winzige Unachtsamkeit! Ich rannte zum Fenster , riss es mit einer Hand auf und mit der anderen mein Kleid vom Körper. Ein Sprung und ich war auf dem Fensterbrett. Das muss er gehört haben, denn der Mistkerl drehte sich um und rannte auf mich zu. Trotz seiner unmenschlichen Geschwindigkeit war ich schneller. Mein Kleid schmiss ich ihm ins Gesicht, schrie ihn an: "Meine Mum bekommst du niemals!" Und ließ mich nach hinten fallen. Noch im Sturz verwandelte ich mich, blickte zurück und sah, wie er mir hinterhersprang. Mit seinem gewaltigen Satz hatte er mich knapp verfehlt. Sein Wolf landete auf dem Boden und starrte wütend zu mir rauf. So sehr er auch sprang, er konnte mich nicht erreichen. Doch er gab nicht auf, leider. Er rannte mir hinterher, als ich in den Wald flog, wartete nur darauf, dass ich irgendwo landen würde. In den Brennnesseln stand ein Hohler Baumstumpf.Jetzt war mein Geheimversteck nicht mehr geheim. Ich wartete bis er sich vor Wut uns Schmerz schnaubend (es klang mehr wie ein Knurren) bis fast zu mir vorgearbeitet hatte, dann ergriffen meine Krallen die Tasche und ich flog auf und davon der Freiheit entgegen und einem Leben auf der Flucht.

RotRundRudelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt