1. 𝑲𝒂𝒑𝒊𝒕𝒆𝒍

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Ganz normale braune Augen. Nein, nicht ganz normal. Leer. Leere braune Augen starren mir entgegen. Um sie herum ein durchschnittliches Gesicht. Nicht unbedingt hübsch, aber auch nicht unbedingt hässlich. Mit unreiner Haut, ein Pickel hier, ein Pickel da. Obwohl das in der Pubertät nichts Seltenes ist. Dennoch bin ich in meinen Freundeskreis die Einzige, die mit so unreiner Haut zu kämpfen hat. Das Leben ist nun mal nicht fair.

Stumpfe, ebenfalls braune Haare umrahmen dieses Gesicht. Mein Gesicht. Ein Gesicht, das ich manchmal mag und manchmal nicht.

Heute mag ich es nicht.

Genervt spritze ich mir kühles Wasser auf meine träge Haut, in der Hoffnung, ein wenig wacher zu werden. Jedoch vergeblich. Seufzend schnappe ich mir mein Make-up und bete zum Himmel, dass ich es irgendwie hinbekomme, meine dunklen Augenringe zu kaschieren. Es ist Karfreitag, ein paar Verwandte kommen heute zu Besuch. Da will ich wenigstens einigermaßen gut aussehen. Ich darf ja keinen schlechten Eindruck machen.

***

Als ich endlich zufrieden mit meinem Outfit und meinem Make-up bin, klingelt es auch schon an der Tür. „Nayla? Kommst du bitte runter und sagst hallo?", höre ich da auch schon meine Mutter von unten rufen. Genervt rolle ich mit den Augen, ehe ich ihr mit einem lauten 'Ich komme gleich' antworte.

Etwas unsicher ziehe ich meine hellblaues Crop-Top zurecht, bevor ich mich erneut im Spiegel mustere. Ich schenke meinem Spiegelbild ein verhaltenes Lächeln. „Du siehst gut aus", murmele ich und gebe mir die größte Mühe, mir diese Worte auch zu glauben. Dann hole ich tief Luft und mache mich auf den Weg nach unten.

Mit einem breiten Lächeln begrüße ich meine Cousine, ihre kleine Tochter, ihren Mann und meine Großeltern. Ich freue mich wirklich, dass sie gekommen sind. Es ist schon eine halbe Ewigkeit her, seit ich sie das letzte Mal gesehen habe. Nach der kleinen Begrüßungsrunde setzen wir uns zusammen an den Tisch um Mittag zu essen.

Ich lausche den Gesprächen meiner Familie, werfe hier und da einen Kommentar ein und hoffe inständig, dass sie auf nichts zu sprechen kommen, was mich betrifft. Doch natürlich kann auch ich mich den Standartfragen nicht entziehen. Lustlos fahre ich über den Rand meines Glases, als sich jemand an mich wendet. „Nayla, wie läuft es denn bei dir in der Schule?" Mein Kopf schnellt kurz zu meiner Cousine, die die Frage gestellt hat. Sie sitzt fröhlich schmunzelnd auf dem Stuhl mir gegenüber und füttert ihre schmatzende Tochter mit Babybrei.

Ich zucke nur mit den Schultern und antworte: „Ja, ganz gut so weit. Alles super." Ich lächele sie an, doch kann spüren, dass es meine Augen nicht erreicht. Es ist eine Lüge. Die letzten beiden Arbeiten waren die Schlechtesten, die ich jemals geschrieben habe. Doch das werde ich hier sicherlich nicht zugeben.

Sie lacht und wirft ihre langen blonden Haare zurück. „Natürlich, du musst ja nie viel lernen. Ich wüsste nicht, wann du schonmal eine schlechte Note geschrieben hast. Dir wurde dieses Privileg in die Wiege gelegt, du kannst dich wirklich glücklich schätzen."

Sie meint es nicht böse. Sie meint es nicht böse.

Ich nicke nur und verkneife mir einen bissigen Kommentar. „Ja, ich kann mich wirklich glücklich schätzen." Scheiße. Die Worte klangen schärfer, als ich beabsichtigt hatte. Kurz blitzt Unsicherheit in ihren grünen Augen auf, die sie jedoch gleich darauf mit einem nervösen Lachen überspielt.

Schnell senke ich den Blick wieder auf meinen Teller. Wenn sie nur wüsste, was für einen großen Druck es auf mich ausübt, dass alle immer nur Bestnoten von mir erwarten und denken, ich muss gar nichts dafür tun. Denn ich muss etwas dafür tun. Ich arbeite hart an mir selbst. Immer. Sie wissen nichts über mich. Gar nichts.

My Bad PassionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt