4. 𝑲𝒂𝒑𝒊𝒕𝒆𝒍

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Die Stille, die sich nun erneut am Tisch ausbreitet, lässt mir eine Gänsehaut über den Rücken laufen. Ich höre keinen einzigen Atemzug, niemand macht eine Bewegung. Die Luft um uns herum ist zum Zerschneiden dick. Wie versteinert starre ich auf meinen Teller. Ich zwinge meine Augen die feinen Risse im Porzellan genaustens zu studieren, nur, um nicht aufsehen zu müssen. Ich wüsste nicht, wo ich hinschauen soll.

So wie es aussieht, haben auch die anderen nicht mit dieser Antwort gerechnet. Was nicht daran liegt, dass wir Adam nicht zutrauen ein Mädchen zu finden. Nein, Adam sieht mit seinen vollen Lippen, den hohen Wangenknochen und seinen wuscheligen braunen Haaren wirklich gut aus. Aber in all den Jahren, in denen ich ihn jetzt kenne - und das sind immerhin schon 16 - hat Adam kein einziges Mädchen mit nach Hause gebracht. Er ist in dieser Hinsicht ziemlich wählerisch und lässt sich auch nicht von den vielen Mädchen beeindrucken, die ihm hinterherrennen.

Seine Worte sind wie ein Stich ins Herz. Ich bin seine beste Freundin. Er erzählt mir eigentlich immer alles. Eigentlich. Nicht mehr seit dem Beginn seines Auslandsjahres. Anfangs haben wir jeden Tag telefoniert, doch der Kontakt zwischen uns ist immer weiter eingebrochen, bis wir uns nur noch ein paar Mal in der Woche geschrieben haben. Aber ein Mädchen hat er nie erwähnt. In keiner einzigen Nachricht.

Ein anderes Mädchen. Ich freue mich sehr für Adam. Den einzigen Kontakt, den er mit Mädchen hatte, war beim Rummachen auf Partys oder in Clubs. Er hat mir oft genug von erbärmlichen Kusskünsten erzählt. Jetzt allerdings klingt er ernst. Als wäre es etwas Festeres. Er ersetzt dich, flüstert auf einmal eine Stimme, tief in meinem Hirn. Ich schüttele den Kopf. Nein tut er nicht. Er verdient es glücklich zu sein. Ich gönne es ihm von ganzem Herzen. Tust du nicht. Du hast Angst, dass du nicht mehr seine erste Wahl bist, provoziert die Stimme mich weiter. Ich atme tief durch.

Ganz ruhig, Nayla. Alles ist gut, versuche ich mir selbst einzureden.

Nein. Nichts ist gut. Die Stimme hat recht. Ich habe Angst. Angst davor, niemanden mehr zu haben, wenn Sam auch jemanden finden sollte. Denn ich wüsste nicht, wen ich anrufen sollte, wenn sie eine Beziehung haben. Eine beste Freundin habe ich nicht. Ich habe Angst davor, dass sich etwas zwischen uns verändert. Ich will nicht, dass sich etwas verändert. Und ich hasse mich dafür, dass ich so denke und mich nicht uneingeschränkt für ihn freuen kann. 

Du bist selbstsüchtig und gierig, triezt mich die verräterische Stimme erneut. Ich balle meine Hand zur Faust. Ein Schaudern durchläuft meine Muskeln. Zittrig versuche ich Luft in meine Lungen zu pumpen und die Stimme zu ignorieren. Sie hat unrecht. So bin ich nicht. Ich freue mich für Adam. Mit aller Mühe schlucke ich und zwinge mich vorsichtig den Kopf zu heben.

Vor Schreck zucke ich zusammen. Alle Blicke am Tisch sind auf mich gerichtet. Ihnen scheint nicht entgangen zu sein, dass etwas in mir vorgeht. Sams graue Augen bohren sich in meine und mir ist mehr als bewusst, dass er mich lesen kann wie ein offenes Buch. Aber ich will nicht, dass er mich liest. Ich hasse es, wenn andere mich verletzlich sehen. Schnell senke ich den Blick wieder und räuspere mich verunsichert in dem Versuch, meine Stimme so normal klingen zu lassen, wie möglich.

„Das, ähm, ist sehr schön für dich. Wie heißt sie?" Verdammt. Meine Stimme klingt überhaupt nicht normal, sie zittert unkontrolliert. Und das habe ich nur dieser verdammten Stimme in meinem Kopf zu verdanken. Hoffentlich hat keiner der Jungen es bemerkt. Ich spüre, wie sich die Blicke von mir abwenden und Adam fixiert wird. Ich stoße die angehaltene Luft aus und löse meine verkrampften Finger aus der Faust.

Adams belegt klingende Worte ziehen meine Aufmerksamkeit auf sich. „Ihr Name ist Lydia und sie wohnt in der Schweiz. Sie ist die Tochter meiner Gasteltern dort." Erneut fühlt es sich an wie ein Schlag in die Magengrube. Adam war schon im zweiten Monat in der Schweiz gewesen, zu dieser Zeit hatten wir noch regelmäßig telefoniert. Und trotzdem hatte er mir nichts von ihr erzählt.

My Bad PassionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt