Kapitel 4

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Als ich am Montagmorgen das Klassenzimmer betrat, saßen meine Mitschüler in kleinen Grüppchen beisammen und tuschelten miteinander. Normalerweise herrschte ein solcher Lärm, dass man sich nur umso mehr wünschte einfach wieder ins Bett kriechen zu dürfen, doch heute schien es, als würde jeder versuchen so zu sprechen, dass nur bestimmte Personen es hörten.
Etwas irritiert lief ich durch die Reihen und lies mich auf meinen Platz gleiten.
„Hast du mitbekommen, was hier los ist?“
Cleo saß bereits an unserem Stammtisch und ordnete gerade ihre Bücher, ihr Tablet und ihre Federtasche auf dem Tisch.
„Dir auch einen schönen Morgen.“, sagte sie und sah mich gespielt beleidigt an, „So weit ich weiß, gibt es zwei neue Schüler.“
„Neue Schüler?“, fragte ich erstaunt, „So kurz vor den Sommerferien?“
Cleo zuckte bloß mit den Schultern, „Ach, was weiß ich, vielleicht haben die Eltern ja spontan beschlossen her zu ziehen?“
„Hhm“, ich drehte mich ein wenig auf meinem Stuhl, um den Klassenraum genauer betrachten zu können. Es dauerte einige Augenblicke, bis ich die beiden neuen Gesichter ausmachte.
Als ich das Mädchen, dass ganz hinten in der letzten Reihe saß, schließlich entdeckte, fragte ich mich unwillkürlich, wie ich sie zuvor hatte übersehen können. Ihre Haare waren türkis-blau gefärbt. Sie trug Jeans Shorts und dazu irgendein T-Shirt mit einem Spruch darauf. Ihre Arme wurden von einem dieser merkwürdigen Netzpullover bedeckt und die Sohlen ihrer Stiefel waren mindestens vier oder fünf Zentimeter dick.
Es wunderte mich, dass sie keine Piercings zu haben schien, zum Rest ihres Aussehens passen würde es definitiv.
Es schien so, als würde sie Musik hören, denn sie wippte mit dem Fuß auf und ab.
Der Junge, der ein paar Reihen vor ihr saß, schien so ziemlich das Gegenteil von ihr zu sein. Er hatte braune lockige Haare, trug eine schwarze Jeans und dazu das T-Shirt irgendeiner Band, deren Name etwas in meinem Hinterkopf klingeln ließ.
Im Vergleich zu ihr wirkte er so durchschnittlich, wie nur irgendwie möglich. Er war unscheinbar und schien sich hinter den Locken, die ihm in die Stirn fielen verstecken zu wollen.
„Hatten wir Hausaufgaben auf?“, fragte Cleo. Schnell drehte ich mich wieder nach vorne,„Nicht, dass ich wüsste.“
Mr Blue, unser Mathelehrer stand auf ging hinüber zur Tür. Gerade, als er sie schließen wollte, schlüpfte Alicia in den Raum und eilte zu ihrem Platz. In der Sekunde, in der ihr Hintern den Stuhl berührte, klingelte die Glocke zum Stundenbeginn.
Ihr Platz war der direkt neben dem des neuen Mädchens. Mr Blue begann seinen Unterricht, doch Alicia schien ihre neue Banknachbarin mehr zu interessieren. Das Mädchen hatte nicht sonderlich gesprächig gewirkt, doch bereits nach wenigen Minuten sah es so aus, als seinen die Beiden in eine Unterhaltung vertieft.
Die Tafel füllte sich so rasch mit Zahlen und Buchstaben, dass es keine Viertelstunde dauerte, bis ich kein Wort von dem, was Mr Blue uns zu erklären versuchte, mehr verstand.

Der Vormittag zog sich ewig in die Länge. Nach Mathe quälte ich mich durch Kunst und Geschichte und als Charlie und ich in der Mittagspause auf der Dachterrasse ankamen, erzählten Bea und Cleo, dass Alicia geschrieben habe, sie würde heute mit Madison, dem neuen Mädchen, neben dem sie in Mathe gesessen hatte, zu Mittag essen.
So weit ich mich erinnern konnte, war das das erste Mal, dass eine von uns einfach nicht kam und stattdessen mit jemand anderem essen ging. Eigentlich dürfte es mir nichts ausmachen, es sollte sogar normal sein, dass so was vorkam, schließlich hatte jede von uns auch ihre eigenen Freunde, aber irgendwie versetzte es mir einen leichten Stich ins Herzen.
Nachdem wir in Fotografie dieses mal tatsächlich fotografierten, schwang ich mich auf mein Fahrrad und radelte zu meinen Großeltern.
Ihr Haus lag nur wenige Straßen von unserem entfernt, aber dennoch fuhr ich immer, wenn ich sie besuchen ging, einen anderen Weg, als sonst. Er führte am Fuße der Berge entlang und am Wegrand standen hier und da ein paar Bäume. Vielleicht konnte man es sogar schon als einen kleinen Wald bezeichnen.
Grandpa saß wie immer in seinem Schaukelstuhl im Garten und beobachtete die Vögel, die um das Futter, das er regelmäßig auslegte, ringen.
Als ich mein Fahrrad ein paar Meter von ihm entfernt abstellte, hob er die Arme und rief: „Mia, mein Engel, schön, dass du deinen alten Grandpa mal wieder besuchen kommst.“
Ich ging zu ihm hinüber und ließ mich von ihm in den Arm nehmen.
„So lange ist es doch gar nicht her, dass ich euch das letzte Mal besucht habe.“, sagte ich.
„Nicht? Es kommt mir vor, als wäre es mindestens zwei Wochen her!“, stellte er verdutzt fest.
„Ich war am Donnerstag hier, Grandpa.“, sagte ich lachend.
„Na dann…“, murmelte er und richtete seinen Blick wieder auf die Vögel.
„Ich gehe ins Haus um Granny hallo zu sagen.“, verkündete ich.
An der Terrassentür schlüpfte ich aus meinen Turnschuhen und stellte meinen Rucksack ab, dann trat ich ins Haus.
Drinnen war es angenehm kühl. Auf Socken tappte ich durchs Wohnzimmer und lugte dann in die Küche. „Hi, Granny.“, sagte ich.
„Mia, mein Kind!“, rief sie erfreut, „Schön dich zu sehen! Komm doch rein!“
Ich nahm auch sie einmal fest in den Arm, dann setze ich mich auf einen der Küchenstühle. Während Granny sich daran machte im Kühlschrank nach einem Eis für mich zu suchen, forderte sie mich auf ihr von meinem Tag zu erzählen.
„Ich hab leider nur noch Wassereis, ist das auch okay, oder soll ich nochmal einkaufen gehen?“, fragte sie und sah ein wenig zerknirscht aus.
„Klar, Wassereis ist bei der Temperatur wahrscheinlich sogar angenehmer!“, versicherte ich, „Und selbst wenn, du weißt genau, dass ich dich jetzt nicht in den Laden schicken würde, nur weil mir die Eissorte nicht passt!“
„Na wenn du meinst…“, sagte sie und legte das Eis auf einen Teller.
„Willst du auch was trinken?“, fragte sie, „Wenn du Saft möchtest, wäre es gut, wenn du selber welchen aus dem Keller holen könntest.“
„Ein Glas Wasser reicht mir.“, versicherte ich und nahm ein Glas aus dem Schrank. Ich füllte es am Wasserhahn auf und stellte es zu dem Teller mit dem Eis auf ein Tablet.
„Wollen wir was spielen?“, fragte Granny, als wir auf dem Weg nach draußen in den Garten waren um uns ein wenig zu Grandpa zu setzen.
„Ja, klar.“, antwortete ich, „Du kannst ein Spiel aussuchen, ich warte draußen bei Grandpa, okay?“
Sie nickte und eilte davon, wahrscheinlich um die riesige Spielesammlung zu holen, die sie gekauft hatte, als ich anfing die Nachmittage überwiegend bei ihnen zu verbringen.
Grandpa beobachtete noch immer, als ich mich auf einen der hölzernen Klappstühle, die neben seinem Schaukelstuhl standen, setzte.
Bis Granny mit der Box zu uns kam, sagte keiner von uns ein Wort und ich beobachtete die Wolken, während ich mein Eis schleckte.
Granny und ich spielten eine Weile Brettspiele, dann klingelte mein Handy.
Charlies Name leuchtete auf dem Display. Rasch entschuldigte ich mich und entfernte mich dann ein paar Meter von meinen Großeltern.
„Heeey, Charls, was gibt’s?“, nahm ich den Anruf entgegen.
„Hey, Mia.“, sagte Charlie. Sie klang genervt. „Alles gut bei dir?“, erkundigte ich mich.
„Sag mal, denkst du Marlene hat was dagegen, wenn ich heute bei euch übernachte?“, fragte sie, „Ich weiß, es ist Montag, aber bei uns ist gerade echt keine schöne Stimmung und ich würde hier gerne für ein paar Stunden raus.“
„Ähm… klar. Mom arbeitet wahrscheinlich wieder recht lange, aber ich denke nicht, dass sie was dagegen hat.“, antwortete ich, „Ich bin gerade noch bei Granny und Grandpa, aber ich könnte so in einer halben Stunde zuhause sein.“
„Echt? Super!“, rief Charlie und klang dabei sehr erleichtert, „Danke, danke, danke! Dann sehen wir uns in einer haben Stunde, bis dann!“
„Bis dann.“, sagte ich und beendete den Anruf.
Ich ging zurück hinüber zu meinen Großeltern. „Charlie ist in einer halben Stunde bei mir, ich muss also ungefähr in zwanzig bis fünfundzwanzig Minuten los.“, erklärte ich.
„Na dann lass uns die Zeit mal nutzen und rasch noch eine Runde spielen!“, schlug Granny vor. Sie stellte die Spielfiguren wieder zurück an den Start und griff nach den Würfeln.
Einige Minuten später räumten wir das Spiel zurück in die Box und brachten diese zusammen mit dem Geschirr zurück ins Haus.
Während ich meine Schuhe anzog, stand Granny an den Türrahmen gelehnt neben mir und beobachtete mich. Ich griff nach meinem Rucksack und umarmte sie zum Abschied, dann ging ich hinüber zu meinem Fahrrad.
Als ich meinen Helm aufgesetzt hatte und drauf und dran war los zu fahren, rief Granny mir noch hinterher: „Grüßt Charlie und Marlene von mir! Ach, und sag ihr, dass sie nicht immer so viel arbeiten soll!“
„Mach ich.“, versprach ich und fuhr los.
Ich radelte den kurzen Weg nach Hause und als ich ankam, saß Charlie bereits auf den steinernen Stufen vor unserer Eingangstür.
„Muss wohl sehr schlimm sein zu Hause?!“, fragte ich, während ich mein Fahrrad in den Schuppen brachte.
„Und ob!“, sie stöhnte genervt, „Du glaubst nicht, was da los ist!“
Ich schloss den Schuppen wieder ab und sie stibitze mir meinen Schlüsselbund aus der Hand. Wir gingen hinüber zum Haus und sie schloss die Tür auf. Ihre Sachen ließ sie einfach neben der Treppe fallen, dann ging sie den Flur entlang und durchs Wohnzimmer, bis hin zur Terrassentür.
„Wollen wir noch ein bisschen in den Garten gehen?“, fragte sie.
„Können wir machen. Ich hole uns noch schnell ein paar Kekse.“, schlug ich vor und sie nickte. Ich verschwand in der Küche um unseren Schrank nach einer Packung von Charlies Lieblingskeksen zu durchforsten, dann ging ich hinaus in den Garten, wo sie bereits auf mich wartete. Wir machten es uns in meiner Hängematte gemütlich und eine Weile lagen wir einfach nur Kekse futternd da.
Ich sah hinüber zu unserem Haus. An manchen Stellen begann die blaue Farbe bereits von den Holzleisten abzublättern, doch irgendwie ließ es das ganze nur noch heimeliger wirken.
Ich mochte unser Haus. Es war klein aber fein und unglaublich gemütlich. Unser Garten war umrandet von Bäumen und Sträuchern und bildete so eine Art kleine Bucht hinter dem Haus in der man sich zurückziehen konnte.
„Was ist denn nun los bei euch?“, fragte ich und drehte den Kopf in Charlies Richtung. Sie schlug die Augen auf und sah mich an.
„Ach, ich weiß auch nicht…“, sagte sie, „Meine Brüder kappeln sich die ganze Zeit und Mom und Dad sind davon genervt und haben super schlechte Laune.“
„Da hast du ja Glück, dass in meine Hängematte zwei Leute passen.“, stellte ich mit einem Grinsen fest.
„Ja! Und, dass deine Mutter immer so viele Kekse kauft!“, fügte sie hinzu und grinste mich an.
„Was hältst du davon, wenn wir ein bisschen Harry Potter gucken?“, fragte ich.
„Hhm… Lass mich überlegen…“, sagte Charlie, „Natürlich! Als wenn ich zu „zusammen mit Mia Harry Potter gucken“ jemals nein sagen würde!“
Sie sprang förmlich aus der Hängematte und tanzte mit der Kekspackung in der Hand über den Rasen hinüber zum Haus.
Rasch folgte ich ihr. Wir setzten uns aufs Sofa und machten es uns trotz den hohen Temperaturen mit Kissen und Decken gemütlich.
„Warte, ich glaube, ich habe noch Bertie Botts Bohnen!“, rief ich und sprang noch einmal auf um hoch in mein Zimmer zu rennen.
Tatsächlich lag noch genau eine Packung der Harry Potter Kaubonbons in meiner Süßigkeitentruhe. Ich griff danach und rannte zurück ins Wohnzimmer, wobei ich fast die Treppe hinunter fiel.
„Tadaaa“, rief ich und hielt die Pappschachtel triumphierend in die Höhe.
Kaum, dass ich es mir wieder gemütlich gemacht hatte, griff ich nach der Fernbedienung und rief das Festplattenmenü auf.
„Wir gucken doch bestimmt den dritten Teil, oder?“, fragte Charlie und sah mich mit Hundeaugen an.
„Nein! Den siebten! Der letzte Teil ist der Beste!“, entgegnete ich.
„Nein! Du weißt genau, dass der dritte am besten ist!“, empörte sie sich.
„Charls!“, sagte ich, „Wann siehst du es endlich ein? Meinetwegen kann der dritte Teil der zweitbeste sein, aber der Letzte ist und bleibt am besten!“
„Das hättest du wohl gerne, Mia!“, sagte sie und reckte das Kinn leicht in die Luft.
Wir waren bei vielen Dingen einer Meinung, aber welcher der beste Harry Potter Teil war gehörte ganz bestimmt nicht dazu!

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