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Sie packte ihre eigene Schwester so grob im Gesicht. Sie sah den Hass in ihren Augen, als sie es tat. Hilfe. Hilfe! Ein entsetzlicher Schrei ertönte. Sie wollte ihren Augen nicht glauben. Was tat sie da? Warum tat sie das? Ein Rabe oder eine Krähe schrie und flog über sie hinweg, direkt auf die Schulter von Alenja. Ihre Schwester wich erschrocken zurück. Sie schien ihren Augen nicht trauen zu wollen und fiel zu Boden. Was hatte sie nur gemacht. Alenja schrie entsetzlich und hielt sich ihre Hände vor ihre Augen. Ihre Schwester rannte weg. Sie selber blieb noch ewig da stehen, sie war in einer Art Schockstarre. Erst als es Nacht wurde und niemand mehr da war, lief sie wieder zurück.
Wann ist Alenja denn gegangen? Wie lange stehe ich hier schon?
Sobald sie zurück war, konnte sie schon einen Aufstand hören. Sie sah Alenja. Sie war in der Mitte eines großen Menschenhaufens, der sich um sie gestellt hatte. Sie weinte, schien von den Menschen verachtet zu werden. "Wie kannst du etwas derartiges nur behaupten? Bei deiner eigenen Schwester!"
"Nein. Nein, so ist es nicht." Alenja weinte furchtbar, fiel auf die Knie und griff nach den Menschen, doch sie wurde nur hinfort gestoßen. "Ich habe Beweise, dass sie sich das nur ausdenkt. Es tut mir ja schon fast leid für sie. Aber ihr wurde wohl einfach nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt." Ihre Schwester trat vor. "Hier meine Erinnerungen." Sie hielt einen Arm zu den Menschen. Sofort ergriffen sie sie. "Hatten wir es doch gewusst. Du bist ein schrecklicher Mensch!"
"Nein. Hier meine Erinnerung. Seht sie euch an!"
"Wir glauben, wir haben schon mehr als genug gesehen. Du hast dir das selber angetan. Deine Schwester hat es gesehen. Sie wollte dich aufhalten und du hast es dennoch getan. Aber die Götter hatten scheinbar Mitleid mit dir. Sie gaben dir die Gabe mit ihnen zu kommunizieren. Obwohl du es nur getan hast, damit wir deine Schwester nicht wählen. Hast du das wirklich nur gemacht, weil deine Schwester zur neuen Priesterin ernannt wurde?"
"Nein. Nein! Sie war es! Das ist alles gelogen!"
"Weil es nicht mehr zu heilen ist, willst du das alles wirklich an ihr auslassen? Verschwinde lieber. Morgen werden wir einen Prozess mit dir abhalten."
Nein. Nein!
Ohnmächtig fiel sie zu Boden.
Alenja!

"Was ist los? Was hast du? Warum hast du geschrien?", überhäufte Johannes sie sofort mit Fragen. Sie realisierte es noch gar nicht richtig. Der Mann nickte nur unbemerkt zum Abschied und verschwand hinter der Tür. Langsam drangen seine Fragen in ihren Kopf und ihr Bewusstsein ein. Sie drehte sich zu ihm um. "Ich hatte einen Traum." Sie sprach langsam und leise, eine Träne lief unbemerkt ihre Wange hinunter. "Um was ging es in dem Traum?"
"Es war nicht direkt ein Traum. Es war viel eher eine Erinnerung."
"Eine Erinnerung?"
"Ja."
"Aber du hast geweint, geschrien, dich gewälzt, als würde dein Leben davon abhängen."
"Ich habe auch nicht behauptet, dass es gute Erinnerungen wären."
"Dann erzähl mir davon."
"Willst du das wirklich?"
"Ja."
"Ich glaube nicht, dass du je etwas so schlimmes erlebt oder gesehen hast."
"Ich habe so etwas nicht erlebt, ich war für sowas verantwortlich. Ich habe viele Leben ruiniert. Aber du hast mich geändert." Sie sah ihn verwundert an. "Ja. Ich glaube es zu wissen. Aber ich war schlimmer. So von Hass und Rache geblendet zu sein, ist nicht gut."
"Das stimmt. Ich war selbst so voller Hass gegen meinen Vater. Das hat mich überall hin begleitet." Sie nickte. "Dann fang mal zu erzählen an. "In Ordnung."

Sie wachte am nächsten Morgen in ihrem Bett auf. Wer hatte sie dort hin gelegt? Vielleicht ihre Mutter? Oder irgendwer anderes? Sie dachte daran wie sie jünger war und ihr Vater sie öfters ins Bett gebracht hatte, als er noch lebte. Er hatte den Schutzwal verlassen, mit ein paar anderen Männern, aber er war niemals zurück gekommen. So wie die anderen Männer auch nicht. Sie gingen davon aus, dass sie getötet wurden. Das hatte sie damals beinahe zerstört. Sie liebte ihren Vater. Sie hatte ihn immer geliebt und sie tat es immer noch. Er würde sie bei ihren Problemen unterstützen. Und er würde sie ebenfalls dabei unterstützen, ihrer Freundin zu helfen. Ihrer Freundin! Da fiel es ihr wieder ein. An diesem Tag wurde ein Prozess gegen Alenja gehalten. Schnell schreckte sie in ihrem Bett auf. Sie überlegte kurz.
Wie spät ist es gerade? Wann sollte der Prozess starten?
Sie sah aus dem Fenster ihres Zimmers, das offen stand. Es musste bereits seit ein paar Stunden hell sein. Sofort sprang sie aus ihrem Bett, da bemerkte sie, dass sie nur ein Nachtkleid trug. Ihre Kleidung lag auf einem Stuhl. Sie lief so schnell es ging auf ihn zu und zog sich im Gehen an.
Ich hoffe, dass ich rechtzeitig da bin.
Sie rannte die Treppen nach oben. Das Gericht war weit oben, um den Göttern möglichst nahe zu kommen. Sie sollten ebenfalls über die Menschen richten. Sie dachten, wenn sie bei ihm so weit oben wären, dann würden die Götter sie sehen und mit urteilen. Als sie oben ankam, war sie völlig außer Puste. Da standen sie, richteten gerade ihre Finger auf sie und gaben ihr Urteil bekannt. "Du sollst dafür bezahlen, solch derartige Lügen zu sagen. Wir verbannen dich aus unserer Mitte. Du sollst nie wieder zu dem Baum zurückkehren und in das Reich der anderen Menschen verbannt werden." Sie konnte nicht glauben, was sie da hörte. Tränen liefen ihr in diesem Moment genauso übe die Wangen, wie bei ihrer weinenden und schreienden Freundin ebenfalls. Alenja bemerkte sie nicht einmal, als sie da so weinte. Ein paar Männer gingen auf sie zu. Alenja versuchte zu fliehen, wurde stattdessen aber nur in die Ecke getrieben. Bevor sie sie packen konnten, schrie das Mädchen los. "Alenja!" Alle Augen wurden auf sie gerichtet, sobald sie losschrie. Aber genau in dem Moment, passierte etwas mit ihr. In ihrem Innern brach etwas wie ein wildes, loderndes, nicht mehr bändigendes Feuer aus. Ein helles, rotes Licht erstrahlte, dass alle blendete. Manche mussten sich übergeben, andere bekamen Kopfschmerzen, ein paar andere fielen einfach ohnmächtig zu Boden. "Unkontrollierte!", fing einer an zu schreien und zeigte auf sie. Schnell bemerkte sie, was passiert war und dass die ganze Aufmerksamkeit und der ganze Hass, nun ihr galt. Sie nahm ihre Beine in die Hand und versuchte so schnell es ihr gelang, nach unten, und damit auch nach draußen zu rennen. Kurz bevor sie es nach draußen schaffte, wurde sie an ihren Haaren nach draußen gezerrt. Der Schmerz der dadurch entstand, ließ sie aufschreien. Ein dumpfer Schlag auf den Boden, ließ sie aufhören und ihren Kopf benebelt hochheben. Erneut wurde sie an ihren Haaren herauf gezogen. Sie sah in das Gesicht eines ekelhaft grinsenden Mannes. Sein Gesicht war voller Schweiß und seine roten Haare klebten fettig aneinander. Die Rufe der restlichen Leute drangen in ihre Ohren, als ihre Sinne wieder klarer wurden. Viele riefen unterschiedliche Sachen, ganz durcheinander, doch verstehen, konnte sie nichts aus dem ganzen Wirrwarr, aber sie war sich sicher, dass die Bedeutungen der Worte dieser Menschen, die selben hatten: Sie wollten, dass sie verschwinden würde, für immer.

SchattenzauberWo Geschichten leben. Entdecke jetzt