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Sie lebte zwei Jahre bereits in diesem Dunkel. Ein Junge des Schattenzauberstamms, hatte sich in sie verliebt. Sie mochte ihn, aber sie liebte ihn nicht. Sie wurde stark. Sie war eine der stärksten. Aber sie wollte auch an etwas, an einen Brief, an den sie diese ganze Zeit über nicht konnte. Mit ihrem Schattenzauber saß sie in einer der dunkelsten Ecken der Höhle. Sie schloss ihre Augen, niemand war in ihrer Nähe, sie hörte nur das Tropfen des Wassers, das von der Decke auf den kalten Stein fiel. Sie wollte wissen, was in dem Brief stand. Sie konnte sich nicht mehr erinnern, aber sie wollte es wissen. Lumiel hatte ihr immer weiß machen wollen, dass sie die Gute war und die Blutzauberer die Bösen. Was, wenn sie es nicht war? Sie wusste genau, dass etwas nicht stimmte, das hatte sie schon immer gespürt. Und dann benutzte sie ihren Schatten. Sie konnte so viele Dinge sehen. Diesmal würden ihre Kräfte sicher reichen, um so weit zu kommen. Sie hatte immer Probleme gehabt, eine gewisse Entfernung mit ihrem Schatten zu erreichen. Und wirklich, sie schaffte es. Ihr Zuhause sah immer noch so aus, wie damals. Und sie sah ihre Mutter. Sie sah nicht normal aus. Ihre Haare waren zerzaust, ihr Blick war leer, sie schwang sich nur hin und her. Sie wirkte, als wäre sie nur ein Körper ohne Seele. Sie war gar nicht mehr sie selbst. Wie lange das wohl schon so war? Und warum? Sie ging weiter. Sie hatte den Brief immer versteckt gehalten. Und er war auch immer noch, wo sie ihn versteckt hatte. Und sie las ihn, las die Worte die dort standen. Immer und immer wieder. Verinnerlichte diese schweren Worte, die so zerstörerisch waren.

Hier ist dein Vater, Liebes.
Ich weiß, dass es schwer für dich ist, genauso, wie für mich. Sie wissen, was du bist und sie fürchten sich davor. Sie haben Angst vor dir und halten sich lieber fern von dir. Aber denk daran, dass ich dich immer liebe. Du wirst irgendwann sicher verbannt werden, doch denke daran, dass du dich vor den grünen Augen in Acht nehmen musst. Sie hat nichts Gutes im Schilde. Du darfst ihr nicht vertrauen. Niemals. Ihr Name ist Lumiel. Sie ist meine Schwester. Aber sie ist das pure Böse. Sie wird für viel Zerstörung sorgen und die Auserwählten, sie werden sie vernichten müssen, denn sie wird einen neuen Krieg heraufbeschwören. Sie wird dich suchen und zu sich holen wollen, doch geh ihr nicht nach, versteck dich am besten vor ihr und bete, dass sie dich niemals finden wird. Ich liebe dich. Wenn du das liest, bin ich bereits tot. Denk immer an mich, wenn du dich alleine fühlst. Ich liebe dich so sehr. Und ich würde auch ein zweites Mal für dich sterben, immer und überall.

Tränen liefen ihre Wangen hinunter. Sie wurde belogen, all die Jahre. Warum hatte sie sich nur nicht mehr an diesen Brief erinnern können? Das war egal, wichtig war, dass sie so schnell wie möglich dort weg musste. Ihre Kräfte waren fast vollkommen ausgeprägt. Sie musste weg, sofort. Sie sprang auf und tat so, als wäre alles normal.
Nur ruhig bleiben. Nur ruhig bleiben. Einfach so tun, als wäre alles in Ordnung und dann ganz schnell weg.
Sie konnte gehen, ganz leicht, doch als sie zum Ausgang gehen wollte, da wurden ein paar der Schattenzauberer unruhig. Besonders der Schattenjunge, der sie so sehr mochte, hatte ein großes Interesse daran gewonnen, warum sie so plötzlich verschwinden wollte. "He, wo willst du denn hin?", fragte er, während er auf sie zu lief. Sie alle sahen im Dunkeln, wie die Landwältler am Tag; im Hellen. "Ich wollte raus gehen. Da ist etwas, was ich erledigen muss", versuchte sie ihn zu beruhigen. "Ach und was wäre das?"
"Was interessiert es dich? Es ist meine Angelegenheit, nicht deine."
"Weil wir bestimmt ein mal heiraten werden. Da werde ich ja sicher einige Sachen über dich erfahren dürfen."
"Wer behauptet denn so einen Kuhmist? Ich werde dich nicht heiraten. Nur über deine Leiche." Sie ging einfach weg und ließ ihn an Ort und Stelle stehen. Das erfreute ihn allerdings absolut nicht und daher packte er sie an ihrem Arm. Erschrocken drehte sie sich zu ihm um. "Hey! Was sollte das?"
"Du hast dich mir nicht so zu widersprechen!"
"Ach ja? Und was wenn doch?" Sie riss sich von ihm los und sah ihn düster an. "Dann zeige ich dir, was ich mit meinem Eigentum mache."
"Nur bin ich bin nicht dein Eigentum, also lass mich in Ruhe!" Ihr Streit hatte die Aufmerksamkeit der anderen erregt. Gespannt stellten sie sich um die Streiterei. Manche fingen an, Wetten abzuschließen. Die meisten setzten auf den vor Wut kochenden Jungen, doch sie kannten sie nicht. Sie wussten nicht, wie mächtig dieses Mädchen vor ihnen war, nur eine wusste es. Belustigt lief sie auf die beiden zu. Sie wollte vor ihnen allen nicht zeigen, dass sie beunruhigt war. Der Streit wurde immer größer, extremer. Er versuchte sie zu schlagen, doch dafür ließ sie ihm sein Blut aus den Fingern tropfen. "Du dreckiges Miststück!", schrie er laut auf. "Was glaubst du was du da tust?!"
"Was glaubst du denn, was du da tust? Du versuchst mich zu schlagen! Mich! Und das auch noch grundlos. Besser gesagt, nicht für dich sinnlos, weil du glaubst, dass die Welt sich einzig und alleine um dich dreht. Aber so ist es nicht. Du kannst dich ja nicht mal gegen ein Mädchen verteidigen, das erst vor wenigen Jahren ihre Kräfte entdeckt hat."
"Das stimmt nicht! Ich bin hier der Stärkste!"
"DER Stärkste! Aber nicht DIE Stärkste. Ich würde dich in Grund und Boden verwandeln, in dem ich dein Blut zu einem See und deine Knochen in neue Berge verwandeln würde."
"Du wagst es, so etwas zu behaupten?"
"Ich behaupte es nicht, ich stelle es fest." Der Junge kochte bereits über. Er ballte seine Hände so fest zu Fäusten, dass das Blut noch viel stärker aus seinen Finger floss, wie ein blutiger Wasserfall. "Du eingebildete Zicke!" Er ließ einen Schatten auf sie zu fliegen, der ihr die Eingeweide raus reißen sollte. Aber natürlich hatte sie es schon bemerkt, bevor er auch nur eine Bewegung machen konnte. Sie ließ ihren Schatten nach seiner Kehle greifen und schmiss ihn zu Boden. Sein Kopf ließ einen dumpfen Schlag auf den kalten Steinboden ertönen. Der Schatten schnürte ihm die Atemwege ab. Sein Gesicht war starr, aber voller Wut. Er versuchte sich zu lösen, sinnlos. Seine Kraft war nicht stark genug, um sich zu lösen. Sie erstickte ihn fast und niemand unternahm etwas dagegen, sie bejubelten es stattdessen einfach nur. Sie ließ mehr Schatten kommen, die sich auf ihn drückten und seinen Körper zerplatzen ließen wie ein Stein, der auf ein Ei fällt, nachdem er einen entsetzlichen Schrei von sich stieß, der voller Schmerz war. "Ich sagte ja, nur über deine Leiche", sagte sie leise zu dem zerfallenen Körper. Sie wandte sich ab und wollte zu ihrem Ziel: raus aus der Höhle. Sie hatte noch überlegt, ob sie noch auf ihn spucken sollte, doch er lebte ja nicht mehr, also hielt sie es nicht für notwendig. Erneut wurde sie von ihrem Vorhaben abgehalten. "Wo willst du denn hin?" Sie drehte sich zu ihrer Tante um. "Ich glaube mein Seelentier gefunden zu haben. Ich muss nach draußen, um es zu finden." Sie regte nicht einmal einen Muskel, als sie diese Lüge auftischte. "Nur hast du eins vergessen. Ich kann meine Schatten überall hin blicken lasse. Ich weiß, dass du bereits ein Seelentier hattest, und was mit ihm geschehen ist. Also was hast du wirklich vor?"
"Was interessiert es dich?" Sie versuchte mit einer Gegenfrage, die sie angesäuert aussprach, zu verhindern, dass sie ihr Unbehagen; ihre Angst spürte. Schweiß rann ihr Gesicht und ihren Rücken hinunter, doch sie versuchte es zu ignorieren. "Weil du unter meiner Aufsicht, meinem Stamm stehst. Du bist mir untergeordnet. Du hast mir zu folgen und meinen Befehlen Gehorsam zu leisten."
"Nein. Ich habe gar nichts. Ich gehöre nur ihr selber und ich gehorche auch nur mir selber." Sie ballte ihre Hände zu Fäusten und stampfte demonstrativ nach draußen. Gift grüne Augen starrten sie böse an und ihre Trägerin, hatte nichts Gutes im Sinn. Lumiel ging mit festen Schritten auf sie zu. Lumiel hatte ebenfalls ihre Hände zu Fäusten geballt, doch kurz hinter dem Rotschopf geht sie in Kampfposition und hebt die rechte Hand in zu ihr in die Höhe. Ein schwarzer schleierartiger Nebel kommt aus der Hand. Als sich eine dicke Wolke gebildet hatte, schoss sie direkt auf den roten Kopf zu, doch auch diesen Angriff hatte das blasse, Sommersprossen bedeckte Mädchen schon mitbekommen. Wie ein Blitz drehte sie sich um und lenkte den Angriff auf ihre Angreiferin zurück. Ein lauter Schlag entstand, als Lumiel nach hinten gegen die Wand aufkam. Ein unglaublicher Schmerz entstand an der Stelle auf ihrem Rücken und Kopf bei der sie mit der Wand in Berührung kam. Entsetzt stöhnte Lumiel auf. "Versuche erst gar nicht mich aufzuhalten. Auch wenn du es bereits getan hast. Aber jetzt merkst du wenigstens, dass du gegen mich keine Chance hast." Und dann verschwand sie aus der Höhle, direkt in den Wald und war dabei, eine Rache zu planen, gegen die Blutzauber und diese Frau, die ihr ein ganz wichtiges Detail vorenthalten hatte. Sie hatte nämlich in diesem Moment in Lumiels Gedanken sehen können. Und sie hatte etwas erfahren, was sie unglaublich wütend, aber auch traurig machte. Und sie fragte sich immer wieder: Wie konnte sie ihrem eigenen Brüder nur so etwas grausames antun? Sie verstand es einfach nicht. Ihr Vater war tot und das nur, wegen dieses Weibes. Ihr Vater, wurde von seiner eigenen Schwester umgebracht. Ihr Vater, wurde von Lumiel umgebracht.

SchattenzauberWo Geschichten leben. Entdecke jetzt