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Eine Stimme brachte alle zum schweigen. "Halt!", rief die Stimme. Es war die Priesterin. Eine alte Frau, die bereits fast zweihundert Jahre alt war. Eine kräftige Stimme hatte sie dennoch. Alle sahen sie schweigend und abwartend an. Langsam sprach sie weiter, ihr Gesicht war dabei ganz ernst. "Sie muss hier weg. Sie ist eine Gefahr für uns alle. Sorgt dafür, dass sie nie wieder kommt." Dann drehte sie sich um. Später würde sie als weise Frau bekannt sein, von Alenjas Schwester von ihrem Stand abgelöst werdend, weil sie nicht mehr die nötige Kraft besitzen würde. Der Rest stürzte sich auf sie und riss sie mit sich, dabei packten sie sie nur an ihren Haaren.
Die haben sich ja schnell erholt. Dafür werden sich mich wohl jetzt am liebsten Köpfen.
Sie schrie dabei die ganze Zeit entsetzlich. Manche traten nach ihr, andere zogen an ihren Haaren und andere schlugen auf sie ein mit Stöcken. Sie wusste, wie es bei anderen Verbannten aussah. Sie wusste, was auf sie zukommen würde. Das war erst der Anfang und ihr Wunsch, lieber schnell zu sterben, als das durchmachen zu müssen, wuchs mit jeder Sekunde, um das doppelte an. Sie wurde an den Rand geschliffen, versuchte sich dabei krampfhaft zu wehren, wurde allerdings nur mit noch mehr Schmerzen dadurch geplagt. Als nächstes griffen alle nach ihr und führten ihr durch Veränderungen der Blutbahnen höllische Schmerzen zu. Die Kinder waren nicht anwesend, aber selbst sie wussten, was mit ihr gemacht wurde. Zum Anschluss, nachdem sie voller Blauerflecken und Blutergüsse war, vergriffen sich die Männer nacheinander an ihr. Im Anschluss wurde sie aus dem Schutzwall geworfen. Ein Junge kam hinter ihr her, als die Männer verschwunden waren. Er hatte die ganze Zeit zugesehen. Er war gerade mal ein Jahr älter als sie. Sie zog sich ihre zerrissenen Sachen um sich und stand langsam auf. Auf wackeligen Beinen wollte sie los laufen, leise Tränen liefen ihre Wangen runter, aber da stand plötzlich der Junge vor ihr. "Hallo", sagte er grinsen. Sie zuckte zusammen und lief einen Schritt zurück. Ihre Haare waren ganz zerzaust. Sie drehte sich um und fing an zu rennen. "Halt! Warte! Ich will dir nichts tun." Schnell hatte er sie angefasst. Er packte sie am Arm und drehte sie um. Schockiert und mit Tränen in ihren Augen, sah sie ihn an. Er sah freundlich aus. Seine Augen waren so hell, leuchtend. Aber als sie beginnen wollte zu vertrauen, zu glauben, dass er anders war und wirklich nett war, sah sie etwas in seinen Augen funken. Sie versuchte aus seinem Griff zu entkommen, doch sie schaffte es nicht. Laut fing sie zu schreien an, wissend, dass es nutzlos war. Dennoch hatte sie dann wenigstens das Gefühl gehabt, etwas dagegen versucht zu haben und es nicht einfach so geschehen zu lassen. Sie wusste, dass sie sich sonst nur Vorwürfe machen würde. Er warf ihre Hände über ihren Kopf, da wollte er schon loslegen, da schrie sie erneut und ein Schatten tauchte dazu noch auf. Sie sah ihn im Augenwinkel, dachte sich jedoch nichts weiter. Sie sah nur, wie dem Jungen bei ihrem Schrei plötzlich Blut aus all seinen Körperöffnungen kam. Seine Augen drehten sich nach oben und leblos fiel er um. Schnell wich sie von ihm zurück. Erst da fing sie an den Schatten zu beachten. Schockiert sah sie ihn an. Er hatte ein so schreckliches Grinsen. "Komm mit", sagte er nach einer Weile in einer dämonischen Stimme. Sie wusste nicht, warum sie dem Wesen folgte, vor dem sie solch eine große Angst hatte, aber sie wusste, dass sie eh nichts mehr zu verlieren hatte. Also folgte sie ihm einfach. Wäre sie in einer anderen Situation, würde sie ihm nur wegen ihrer Neugier folgen. Egal, was auf sie zukommen würde.

Alenja bekam erneut die Aufmerksamkeit aller. "Nun, da solch ein Chaos entstanden ist, wegen dieses Mädchens, wird dir die Strafe erlassen. Du darfst hier in unserer Linie bleiben. Es scheint mir so, als wurdest du von diesem Mädchen erblindet und hattest irrtümlicher Weise deine Schwester vor Augen." Eine Träne lief ihre Wange hinunter. "Nein", sagte sie mit fester Stimme. "Nein?" Verwundert sah die Priesterin sie an. "Ich werde hier nicht länger bleiben. Ich hasse euch alle. Ihr seid furchtbar. Mögen die Götter bei mir bleiben und euch verlassen."
"Die Götter?"
"Ja. Sie kommunizieren mit mir, aber euch werden sie bestimmt verdammen." Wortlos starrten sie ihr hinterher, wie sie raus lief, als sich ein schwarzer Vogel auf ihre Schulter absetzte. Sie würde sich von ihnen abwenden, soviel war klar.

Der Schatten führte sie zu einer Höhle. Die Sonne ging bereits unter. Sie folgte ihm unsicher, nicht wissend, wo er sie da hinführte. Sie musste ihre Augen anstrengen, um überhaupt etwas in dieser Finsternis erkennen zu können. "Hallo", hörte sie eine Stimme sagen. Erschrocken drehte sie sich um. "Hallo?", kam gab sie verunsichert zurück. Langsam lief sie weiter nach vorne, während sie ihren Kopf verunsichert hin und her drehte, so langsam, als könnte sie etwas verpassen oder übersehen -wenn sie denn überhaupt etwas sehen könnte, so dunkel wie es war. Mit vorsichtigen Schritten, lief sie voran. Ihr Herz raste so wild, als würde es ihr jeden Augenblick aus der Brust springen. "Hier bin ich", sagte die fremde Stimme wieder. Sie versuchte etwas zu erkennen, konnte allerdings nicht mehr als einen schemenhaften Umriss erkennen. Ein buschiger Kopf und eine zierliche Gestalt war zu erkennen. "Wer bist du? Und was willst du von mir?" Sie versuchte ernst zu klingen und mit einer festen Stimme. Doch sie war nur ein zittriger Klang, der durch die Höhle hallte. "Wer ich bin?" Die Stimme lachte. "Ich bin der Schatten, der dich verfolgt. Ich bin die Dunkelheit, die jede Nacht haust. Ich bin die Finsternis, die in jedem schlummert. Du wirst schon noch sehen, wer ich alles bin." Sie verstand nicht recht, was diese Person meinte. "Und ich werde es dir zeigen, wie du selber auch so sein wirst. Die Schatten werden dich lehren. Sie haben dich aufgenommen."
"Die Schatten?"
"Ja, sie kommen von weit her. Sie haben uns einst unseren Zauber gelehrt."
"Euren Zauber? Welchen Zauber? Gibt es denn noch mehr?"
"Es gibt um genau zu sein vier: Den Schatten-, den Licht-, den Hexen- und den Blutzauber. Du bist eine Blutzauberin. Eine Unkontrollierte, wie dein Stamm solche wie dich nennt. Ich bin eine Schattenzauberin. Hier sind überall Schattenzauberer."
"Könnt ihr überhaupt etwas sehen?" Bei ihrer Frage ertönte wieder dieses Lachen. "Natürlich, wir können über die Schatten und die Dunkelheit sehen."
"Und diese Schatten?"
"Was soll mit ihnen sein?"
"Woher kommen sie?"
"Aus dem Schattenland." Sie musste sich ein Lachen verkneifen, aber sie konnte sich nicht verkneifen ihre Lippe kurz hochzuziehen. "Wie passend."
"Könnte man so sagen. Allerdings sind nicht nur Schatten dort. Es gibt viele seltsame Kreaturen und Geister dort. Aber auch Menschen. Das Reich der Menschen und das Land der Schatten wurden miteinander vermischt. So sind sie zu uns gekommen. Aber vorher mussten sie eine lange Reise antreten."
"Ich habe noch nie von diesem Land gehört."
"Das kann ich mir gut vorstellen. Es ist immerhin so weit entfernt, dass man es nur durch Zufall finden würde. Du bräuchtest schon Jahre, um dort hin zu gelangen." Erstaunt starrte sie in die Dunkelheit. Sie hatte zuvor nicht einmal ihren Stamm verlassen. Aber soweit zu verschwinden? Das konnte sie sich ja noch nicht einmal vorstellen. "Was soll ich hier? Dieser Schatten, er hat mich hier hergeführt, aber ich verstehe nicht, warum und wozu das gut sein soll." Ihre Stimme klang nur noch ein wenig verunsichert, aber sie zitterte bereits nicht mehr. "Das sagte ich doch schon. Der Schatten hat dich aufgenommen. Er hat etwas in dir gesehen. Was genau das ist, das werden wir noch sehen. Aber lass uns anfangen. Dir wird eine neue Macht zu Teil gegeben."
"Und die wäre?"
"Da fragst du noch? Natürlich der Schattenzauber."
"Und wer bist du jetzt? Hast du einen Namen?"
"Natürlich. Alles und jeder hat einen Namen, selbst wenn er nicht ausgesprochen wurde und es auch niemals der Fall sein wird." Sie verstand die Worte dieser Person einfach nicht. Sie verstand nicht ein Wort. Nicht auch nur ein einziges. "Aber ich bin eine Blutzauberin. Wie soll das denn möglich sein?"
"Gib mir deine Hand." Vor ihr stand plötzlich dieses Mädchen mit den buschigen Haaren. Sie hob langsam ihre Hand, da griff das Mädchen bereits nach ihrer Hand und zog sie an sich. "Ah, jetzt verstehe ich." Das Mädchen mit den buschigen Haaren hörte sich so an, als würde sie ein belustigtes Lächeln auf ihren Lippen haben. "Was? Was ist denn?"
"Dein Vater, wie es aussieht, ist er nicht das, was du dachtest, was er ist."
"Ich verstehe nicht ganz."
"Dein Vater war ein Schattenzauberer."

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