IV

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Schlagartig blitzen Bilder vor meinem inneren Auge auf, in denen Tom schier unbeschreiblich anstößige Dinge mit seiner Zunge und seinen großen Händen auf meinem entblößten Körper anstellt. Ohne es zu wollen, schiele ich in Richtung seines Schrittes. Und noch mehr, ohne es zu wollen, frage ich mich, inwiefern die Größe seiner Hände und Füße Einfluss auf ein ganz bestimmtes Körperteil nimmt ... Abwehrend schüttele ich den Kopf. »Lass stecken.«

Tom lehnt sich ein Stück nach vorn und streckt seine Finger nach mir aus. Um Haaresbreite berührt er meine erhitzte Haut. »Sehe ich da etwa eine leichte Röte in deinem Gesicht?«

»Das bildest du dir ein«, stoße ich hervor, bemüht das Beben in meiner Stimme zu unterdrücken. »Muss ich dich noch mal daran erinnern, dass du mein Geheimnis kennst, ich deins aber nicht?«

Mit einem Funkeln in den Augen entfernt sich seine Hand. »Ich habe jede zum Höhepunkt gebracht«, verkündet er. Fehlt nur noch, dass er sich die wallende Mähne zurückwirft. Im übertragenen Sinn, natürlich – so lang ist sein Haar dann doch nicht. »Ich weiß ganz genau, was euch dazu bringt.«

Ungläubig starre ich ihn an. »Ach ja?« Ich kichere. »Was macht dich da so sicher?«

»Ich weiß es eben. Das nennt man Instinkt.«

»Klar«, bringe ich unter einer weiteren Lachsalve hervor, »und ich bin Batman.« Prustend halte ich mir den Bauch.

»Was gibt es da zu lachen?« Trotz seines grollenden Tonfalls bemerke ich, wie seine Mundwinkel zucken und er sich beherrschen muss, nicht auch in Gelächter auszubrechen.

»Du glaubst doch nicht allen Ernstes, dass ...« Gerade kann ich mich noch bremsen. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund möchte ich ihm die Illusion nicht nehmen, sollte er wahrhaftig der festen Überzeugung sein, er vollbringe Wunder. »Glaubst du, dass es dafür eine geheime Formel gibt?«, frage ich stattdessen, wobei ich ›Formel‹ mit den Zeige- und Mittelfingern in Anführungszeichen setze.

»Nein. Es gibt keine«, erneut ahmt er meine Geste nach, »Formel

»Was dann?«

»Das möchtest du wissen, was?« Geheimnisvoll lächelnd fährt er sich durch seine widerspenstigen Strähnen, bevor sein Blick ungeniert über meinen Körper gleitet und ich mir wünsche, ich würde wenigstens die dazugehörige Hose zum Hemd tragen, dessen Saum in der Mitte meiner Oberschenkel endet. Tom hat also freie Sicht auf meine nackten Beine und Füße. »Zum Teufel mit der Wette – ich kann es dir gleich beweisen. Lass es mich dir zeigen-«

»Zum Teufel – Nein.« Ich keuche auf, kann aber nicht verhindern, dass sich etwas in mir fast schon schmerzhaft zusammenzieht. Zu meinem Entsetzen sehnt es sich nach mehr, und Toms forsche Art stachelt es nur weiter an. »Ich meine, komm schon! Ich weiß, dass das nur ein Trick ist. Du bluffst.«

»Bist du dir da sicher?«

Nein.

»Ja, absolut. Nur leeres Gerede, damit du das bekommst, was du niemals haben wirst«, kontere ich bissig. Verärgert darüber, dass meine eigenen Empfindungen mich schwach und triebhaft werden lassen. Im Grunde bin ich nicht besser als Tom. Er weiß immerhin, was er will und verstellt sich nicht. Oder er hat eindeutig mehr Übung. Ganz im Gegensatz zu mir. Wie eine Ertrinkende klammere ich mich an meine Lüge. »Ich bin nicht wie alle anderen, die du angeblich schon rumbekommen hast. Was ich dir im Übrigen auch nicht abkaufe.«

Grübelnd tippt er sich ans Kinn. »In der Tat. Du bist wirklich eine sehr, ... sehr harte Nuss.«

»Wie war das mit den Sprüchen ...?« Demonstrativ schaue ich in Richtung Fenster. »Und jetzt raus damit: Was ist dein Geheimnis?«

Er folgt meinen Augen; sein Adamsapfel hüpft beim Schlucken auf und ab. Täuschend echt mimt er noch einmal den Jungen mit Höhenangst, und ich frage mich, wie viel Arbeit wohl in seiner Rolle steckt, wenn er mir tatsächlich von Anfang an etwas vorspielt. »Gut, also schön.« Endlich knickt er ein. »Seit ich klein bin, sammle ich getrocknete Blumen.«

»Ha!«, rufe ich. »Nicht dein Ernst!?«

»Doch, das volle Programm«, erwidert er steif und weicht meinem entgeisterten Blick aus. »Ich habe zig Bücher voll mit gepressten Blüten, Blättern, Stängeln, Knospen ...« Peinlich berührt reibt er sich den Nacken. »Auf. Jeder. Einzelnen. Verfi-« Abrupt hält er inne. »Verdammten. Seite.«

Mit offenem Mund sitze ich da. Mein Verstand weigert sich, Toms Geständnis Glauben zu schenken. »Du verarschst mich!«

»Nein. Das ist mein vollkommener Ernst.« Wie auf Knopfdruck ist der schelmische Zug um seine Lippen zurück. »Wenn du willst, zeige ich sie dir.«

»Oookay«, sage ich gedehnt und winke unwirsch ab. Die kurze Stimmungsschwankung in seinem ganzen Wesen reicht mir – fürs Erste zumindest. »Später. Für den Moment bin ich gewillt, dir zu glauben. Aber ich warne dich-«

»Schon klar. Sonst schmeißt du mich aus dem Fenster. Die Message ist angekommen.«

»Darauf kannst du wetten.«

»Apropos wetten ...« Er schließt die Augen und drückt seine gespreizten Finger übertrieben feierlich auf seine Brust. »Ich wette, dass du, Charlotte Wolf-Hill, mir noch vor dem Ende der Sommerferien nicht mehr widerstehen kannst.« Erst als mich Tom blinzelnd mustert und den Kopf schief legt, merke ich, dass ich eine Grimasse ziehe. »Na, sieh sich das einer an! Charlie hat was gegen ›Charlotte‹.« Amüsiert ringt er die Hände.

Gereizt boxe ich ihm gegen die Rippen. »Lass das!«

Sein tiefes Lachen setzt ein ungezügeltes Kribbeln in meinem Bauchraum frei. »Oh, Schätzchen, – ich hab noch nicht mal angefangen ...«

Das ekstatische Gefühl schlägt in ein verhängnisvolles Rumoren um, als ich meine Faust betrachte. »Nur, damit wir uns richtig verstehen: Wenn ich dich aus Versehen berühre – oder das gerade eben –, das zählt nicht, kapiert?«

Tom nickt ernst. »Klaro, darauf gebe ich dir mein Ehrenwort.« Und schon huscht ein verspielter Ausdruck über sein Gesicht. »Erst bei einem Kuss ... oder einer ... unsittlichen Berührung hast du verloren«, raunt er anzüglich grinsend, und ich könnte schwören, dass er ein Stück näher an mich herangerückt ist.

»Was verstehst du unter einer unsittlichen Berührung?«

»Soll ich ins Detail gehen?« Er wackelt mit den Brauen.

Augenblicklich schießt mir das Blut in die Wangen. »Nein! ... Besser nicht. War eine dumme Frage«, räume ich hastig ein. »Ich würde sagen, alles unterhalb der Gürtellinie – Vorder- und Rückseite – zählt als Tabu.«

Sein Kopf schwankt von einer Seite auf die andere. »So würde ich das jetzt nicht sagen ... Aber ja«, gibt er mir dann recht, ehe sich seine Iriden verdunkeln. »Selbstverständlich hätte ich nichts dagegen-«

»A-a-a! Vergiss es«, komme ich ihm zuvor. »Schlag dir das gleich wieder aus dem Kopf, denn ich wette-«

»Ja, sag es.«

»Wenn du mich ausreden lassen würdest, liebend ger...« Ich gerate ins Straucheln. »Oooder lieber doch nicht. Du denkst schon wieder zweideutig, stimmt's?«

»Immer.«

»Ewww ...«, mache ich angewidert, währenddessen vollführt mein verräterisches Herz Purzelbäume. Und obwohl ich weiß, dass es ein Himmelfahrtskommando auf Messers Schneide ist, das ich niemals gewinnen werde, gehe ich auf diese riskante Dummheit ein – und fühle mich lebendiger denn je. »Ich wette mit dir, Tom Hastings, – untersteh dich jetzt etwas zu sagen«, ein vernichtender Blick meinerseits und ein unschuldiges Händeheben seinerseits, »dass ich dir bis zu deinem angegebenen Zeitraum und auch danach noch trotzen werde. Definitiv.«

Vergiss esWo Geschichten leben. Entdecke jetzt