II

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»Du meinst wohl gegen deine übertriebene Beharrlichkeit. Ich könnte dich wegen Stalkings anzeigen.«

»Dazu bräuchtest du handfeste Beweise«, stößt er prustend aus. Lediglich einen Wimpernschlag später runzelt er die Stirn, plötzlich alles andere als amüsiert. »Habe ich dir aufgelauert? Dir Briefe oder anderweitige belästigende Nachrichten zukommen lassen?«

Hastig rudere ich zurück. »Nein, aber-«

»A-bab-bab!«, kommt er mir zuvor und ich verstumme mit sperrangelweit geöffnetem Mund. »Uuund seien wir mal ehrlich: Ich zwinge dich zu nichts. Du hast mich selbst reingelassen. Ich bin mit deiner Erlaubnis hier, schon vergessen?«

Grummelnd beiße ich mir auf die Unterlippe. »Schon gut! Ich habe keine Beweise. Es ist nur ...«

Tom hebt eine seiner dunklen Augenbrauen. »Ja ...?«

»D-du ... Du gehst mir gehörig auf den-«

»Ja, sag es. Denn das tust du mir tatsächlich.« Er schnurrt unverhohlen und entfacht ein loderndes Feuer meinen Eingeweiden.

Fassungslos über meine eigene Reaktion auf diese ... saudumme Anmache ziehe ich scharf die Luft ein. »Igitt! Ich sagte keine Details. Und hör auf, mir ständig ins Wort zu fallen.« Mit zusammengekniffenen Lidern mache ich deutlich: »Ich wollte sagen, dass du mir gehörig auf den Keks gehst. Wie kann man bloß so zweideutig denken?«

Nun streckt er gespielt entrüstet die Hände hoch. »Hey, Moment mal! Ich hab doch gar nichts gesagt. Du hast in dem Fall zweideutig gedacht.«

Ich will etwas darauf erwidern. Reflexartig teilen sich meine Lippen. Dann schlucke ich es hinunter und beschließe, ihn lieber mit Schweigen zu strafen. Eine Weile funkeln wir uns gegenseitig an. Tom scheint allerdings nicht abgeneigt zu sein, das für längere Zeit fortzusetzen. Tatsächlich geht sein Blick schon bald auf Wanderschaft. Er bleibt an meinem Mund hängen, bevor er an meiner Kehle verweilt. Von dort aus sinken seine Augen und Lider immer weiter nach unten, sodass die dichten Wimpern Schatten auf seiner leicht gebräunten Haut werfen. Wie ein Lauffeuer dehnt sich das Lodern in meinem Inneren aus. Es schießt mir in die Wangen und das Herz pocht mir bis zum Hals.

»Jedenfalls wollte ich meine letzten Sommerferien an der High School nicht damit verschwenden, mich mit einem Plagegeist wie dir herumzuschlagen«, ergreife ich das Wort, als er mein Dekolleté ein bisschen zu lang für meinen Geschmack in Augenschein genommen hat. Demonstrativ schließe ich den Knopf, dessen Fehlen Tom wohl den Kopf verdreht hat.

Blinzelnd sieht er mir wieder ins Gesicht. »Was wolltest du denn dann?«

Schadenfroh stelle ich fest, dass seine Stimme einen Hauch belegt klingt. Ich lehne mich ein winziges Stück nach vorn. »Das sagte ich bereits: Meine Ruhe.«

»Und lesen. Am Pool rumlungern. In der Sonne brutzeln. Dich zu Tode langweilen ...«, zählt Tom monoton an seinen Fingern auf. Keine Spur mehr von seinem offen zur Schau gestellten Verlangen. »Öde. Weißt du, was du bist?«

Ich verschränke die Arme vor der Brust. »Ein Mauerblümchen?«

Eine Bezeichnung, die Presley Greene stets verächtlich zu niesen pflegt, wenn sie mal wieder zum Nachsitzen in die Schulbibliothek zitiert wird. Ihre verkniffene Miene, die gleichzeitig Herablassung und Mitleid ausstrahlt, gilt dabei jenen Wesen, die ihre Nasen lieber und sogar freiwillig zwischen Buchseiten stecken als, wie sie, zwischen die Beine ihrer wöchentlich wechselnden (*hust*) Kavaliere und Angelegenheiten, die sie im Grunde genommen nichts angehen.

Toms Brauen ziehen sich zusammen. »Zu klischeebehaftet.«

»Sagt gerade der Richtige ...«, nuschele ich in meinen nicht vorhandenen Bart. Wie Presley ist er ein wandelndes Klischee. Die beiden würden das perfekte Paar abgeben: Atemberaubend schön anzusehen – aber nichts hinter der betörenden Fassade vorzuweisen.

»Was?«

»Eine verklemmte Jungfer?«, hake ich in normaler Lautstärke nach, während ich mir ein Kichern verkneife, weil ihm offenbar die Ironie hinter den eigenen Worten entgangen ist.

Eine wegwerfende Handbewegung seinerseits. »O Gott, das ist ja noch schlimmer. Auch wenn du ein wenig verklemmt bist, das muss ich zugeben.«

Ich kann nichts dafür, möchte ich ihm an den Kopf werfen. Ich schmeiße mich dir nur nicht sofort an den Hals, wie Presley – wenn sie dich zu Gesicht bekommt –, und alle anderen. Würde ich zwar gern, aber ich weiß ganz genau, dass du nicht der Typ für etwas Tiefgehendes bist. Sobald du das bekommen hast, was du von mir willst, bin ich für dich uninteressant. Das behalte ich jedoch für mich, stattdessen frage ich: »Was bin ich denn dann? Deiner Meinung nach?«

»Du lebst schon lange nicht mehr.«

Verdutzt gerate ich ins Stocken. »W-wie soll ich das jetzt verstehen?«

»Schau dich doch nur mal an!« Tom fuchtelt mit seinem Zeigefinger vor mir herum.

Mir liegt schon etwas wie ›Mit dem nackten Finger zeigt man nicht auf angezogene Leute.‹ auf der Zunge, aber diesen Kommentar verbeiße ich mir wortwörtlich im letzten Moment, um ihm nicht noch mehr Material zuzuspielen. Ein metallischer Geschmack breitet sich in meinem Mund aus. Er verschafft mir ein wenig Klarheit, und erst jetzt begreife ich, was Tom da von sich gegeben hat. »Wie kann man nur so oberflächlich sein? Was stimmt denn nicht mit meinem Aussehen?«, entfährt es mir lauter und schärfer als beabsichtigt.

Perplex reckt er das Kinn vor und seine Brauen schießen in die Höhe. »D-das meine ich doch gar nicht. An deinem Aussehen ist weiß Gott nichts auszusetzen.« Wie um mir zu beweisen, dass ich falschliege, mustert er mich von Kopf bis Fuß. Gründlicher als mir lieb ist. Dabei weiten sich seine Pupillen, obendrein weisen sie einen seltsamen Glanz auf. Er schluckt deutlich hörbar und befeuchtet sich räuspernd die Lippen, rückt dann den Kragen seiner Lederjacke zurecht, bevor er wieder eine – für seine Verhältnisse – neutrale Miene aufsetzt. Wobei ich mir immer unsicherer werde, was er wirklich ernst meint und was bloß vorgetäuscht ist. Pupillen beispielsweise weiten sich meines Wissens nicht, weil man es so will ... »Wann hast du dich zuletzt wie eine normale Siebzehnjährige verhalten?«

Mir entgleisen die Gesichtszüge. Ich will mich verteidigen, ihm entgegenschleudern, was er bloß glaubt, sich herausnehmen zu können, doch Tom hebt eine Hand und gibt mir zu verstehen, dass er noch nicht fertig ist.

»Wann hast du zuletzt etwas wirklich Aufregendes gemacht? Oder etwas Dummes? Etwas, was Leute in deinem – unserem – Alter eben machen. Bei dem du dich wirklich ... lebendig fühlst? Du kannst mir nicht erzählen, dass den lieben langen Tag die Füße hochlegen, dich ... beflügelt.« Ruckartig springt er auf, umfasst mit der linken Hand die rechte, die er zur Faust geballt hat. »Du kannst mir nicht erzählen, dass es dein Blut in Wallung bringt und du dieses Kribbeln im Bauch verspürst, das man hat, wenn man etwas wagt. Damit meine ich etwas wagen, was du schon immer mal machen wolltest, – das meine ich mit ›Sieh dich doch nur mal an.‹ und ›Du lebst schon lange nicht mehr.‹« Jetzt beugt er sich so dicht über mich, dass sich unsere Nasen beinahe berühren. Sein warmer Atem streift meine Wangen und meinen Hals. Und zu meinem Erstaunen sehe ich mein Gesicht in seinen Iriden, das mich aufgeschreckt anstarrt, kurz davor, wie ein scheues Reh vor dem Leben zu flüchten. »Sag mir also: Was wolltest du schon immer mal tun?«

Vergiss esWo Geschichten leben. Entdecke jetzt