Ein neues Leben

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Als Julia aus ihrer Ohnmacht erwachte und ihre Augen aufschlug, konnte sie erst sehr verschwommen erkennen, dass sie nicht mehr an diesem Ort war, an den sie sich erinnerte, zuletzt gewesen zu sein... Im Wald hinter einem Busch. Es dauerte einige Zeit, bis ihr bewusst wurde, wo sie sich in diesem Moment befand. Als ihr Augenlicht nach einer Weile klarer wurde, bestätigte sich sogleich ihre Vermutung, dass sie sich offenbar in dieser Hütte befand, die sie gesichtet hatte. Während ihre Augen die ihr unbekannte Umgebung absuchten, öffnete sich die Holztür auf der gegenüberliegenden Seite, Sonnenstrahlen schossen in den dunklen Raum aus denen eine große Gestalt in die Hütte trat. Julia konnte im ersten Augenblick nicht sofort erkennen, wer oder was dort in der Tür stand. Erst als die Gestalt sich näherte, sah man deutlich einen sehr kräftig gebauten Mann. Er hatte eine schwarze Hautfarbe und war mit Rentierfell bekleidet. An den Füssen trug er Sandalen, die aus Leder gebunden waren. In der linken Hand hielt er ein Beil. Julia zog ihre Beine ganz nah an sich und verkroch sich in die Ecke zur Wand.

„Wer bist du?", fragte der überaus große Mann mit rauher aber ruhiger Stimme, „was machst du hier?".

Julia antwortete nicht, sondern es löste sich gemächlich ihre Anspannung und sie begann zu weinen. Es war die Erleichterung, welche die Tränen in ihre Augen trieb. Angst verspürte sie nun nicht mehr so sehr, dennoch wusste sie, dass sie vorsichtig sein musste. Dieser Mann war ihr völlig unbekannt, und sich wusste gar nichts über ihn. Woher er kam, warum er in ganz allein in den Bergen lebte, ... Sie schluchzte noch eine Weile, wusch sich mit dem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht, bis sie dann endlich ihr Schweigen brach:

„Ich kam hierher, weil ich von meiner Familie fort lief ....", sagte sie mit noch leicht zitternder Stimme. „Wie ist dein Name?", fragte der Fremde. „Julia", antwortete sie und begann, ihre ganze Geschichte zu erzählen.

Sie erzählte alles, auch das mit dem Ungeheuer, wovor sich die Menschen im Tal so fürchteten. „Hahaha!", lachte der stämmige Mann, „soso, ein Ungeheuer bin ich also. Hat das der Sheriff gesagt?".

-„Nein, alle im Tal glauben das." Verwundert schaute Julia dem Fremden in die Augen. „Oh doch", sagte er, und er wurde wieder ernster, „glaub mir, Kleines, er hat das Gerücht verbreitet.". Und er ergänzte noch ausführlicher:

„Vor vielen Jahren kam ich als kleiner Junge mit meiner Familie in die Stadt. Wir wollten dort friedlich leben, doch weil wir schwarz sind, hat man uns niemals akzeptiert. Mein Dad, so erzählte man mir, sei bei einem Unfall ums Leben gekommen. Doch ich bin sicher, dass er ermordet wurde. Meine Mom hat die Stadt kurz darauf verlassen. Ich war damals zwölf, als sie mich allein zurückließ. Ich lebte dann bei einer alten Frau am Rande der Stadt. Als ich sechzehn war, starb sie, und man hängte mir den Mord an sie an. Die ganze Stadt stellte sich gegen mich. Als dann zwei Jahre später ein Kind spurlos verschwand, blieb mir nichts anderes übrig, als mich zu verstecken. Ich wurde seitdem gejagt, wie ein wildes Tier. Man verfolgte mich, wohin ich auch ging. Der Sheriff hatte damals sogar eine Belohnung auf meinen Kopf ausgesetzt. Also habe ich mich in den Bergen versteckt. Es ist hier kein einziger Mensch hingekommen, ...bis heute."

Julia starrte ihn an, „du bist das Ungeheuer, man wollte verhindern, dass man Kontakt zu dir hat!".

Mason, so hieß der fremde Mann, bot Julia Unterkunft an. Julia zögerte nicht lange und nahm sein Angebot an.

Wochen und Monate gingen ins Land. Julia lernte Mason von Tag zu Tag immer näher kennen und stellte bald fest, dass er ein sehr freundlicher und einfühlsamer Mensch war. Er war hilfsbereit in allen Situationen. Er war sehr fleißig und immer mit etwas Anderem beschäftigt. Er ging in den Bergen zur Jagd oder am See fischen. Er schlug Brennholz für den Winter und baute sogar Möbel für die Hütte. Jeder Tag mit ihm war für Julia ein neuer besonderer Tag, an dem sie Mason von einer neuen Seite kennenlernen durfte. Er war stets liebevoll zu ihr, verlor niemals ein böses Wort ihr gegenüber. Ja, auch schlechte Tage gab es sicherlich, besonders dann, wenn Mason bei der Jagd keinen Erfolg hatte, oder irgendetwas nicht so funktionierte, wie er sich das vorgestellt hat. Aber bevor er seinen Frust an Julia auslassen würde, verzog er sich entweder in dem Schuppen hinter der Hütte, wo er seine Möbel baute oder er beschäftigte sich mit den Tieren. Besonders häufig ging er mit Terry fort und kam erst spät zurück. Terry war der Wolf, den Julia zuvor gesehen hatte. Mason hatte das Jungtier in einer seiner Wildfallen gefunden. Er pflegte das Tier, und bis die Wunde vollständig verheilt war, wurde das Tier immer zahmer und schließlich für Mason ein treuer Gefährte.

Julia und Mason kamen sich Tag für Tag näher, bis sie schon sehr bald mehr füreinander empfanden als nur reine Freundschaft. Sie lernten, sich zu lieben. Sie waren inzwischen so glücklich miteinander geworden, dass sie schon bald alles um sie herum vergessen hatten.


Der AußenseiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt