An einem nebeligen Morgen als Julia zur naheliegenden Quelle ging, um Wasser zu holen, hörte sie laute Rufe durch die Wälder klingen. Erst nach einiger Zeit wurden die Rufe lauter und man konnte deutlich hören, dass jemand ihren Namen rief. Es schienen mehrere Stimmen zu sein, und Julia wurde klar, dass man sie nach so langer Zeit suchte. Sie lief zur Hütte und ließ dabei ihren Wassereimer fallen. „Mason! Mason!", rief sie aufgeregt, „ sie kommen!" Mason trat aus der Hütte heraus und sagte gelassen: „Lass sie kommen, sie wollen nur mich". „ Nein, sie suchen mich, die wissen nicht, dass du hier bist", sagte Julia, „ich muss sie aufhalten, sie dürfen dich nicht finden. Ich werde es nicht zulassen, dass sie dir etwas antun". Und bevor Julia ihnen entgegenlaufen konnte, traten drei Männer bereits aus dem Nebel hervor.
„Julia... Gott sei Dank!", rief einer. Julia erkannte die Männer, es waren ihr Vater, ihr Bruder und Pete Layson, dessen Ehefrau sie werden sollte.
Julia erschrak etwas und suchte Schutz in Masons Arme. McBreed rief dem fremden zu: „Lassen sie sofort meine Tochter los, sonst passiert ihnen was...!" „Geh", sagte Mason mit ruhiger Stimme zu Julia, „es ist vorbei". Julias Vater zog seine Tochter an den Arm zu sich und gleichzeitig sagte er forsch: „Komm, wir gehen nach Hause !" Julia wehrte sich und versuchte, sich loszureißen. „Nein, nicht ohne Mason." Entgegnete sie ihm. „Ist der Wilde da Mason? fragte empört McBreed, „das kommt gar nicht infrage!", ergänzte er. „Dad !", rief Julias Bruder dazwischen, „siehst du nicht, dass sie ihn liebt?" McBreed wurde noch verärgerter: „diesen Nigger?", „Du wirst Pete heiraten, und keine Widerrede!"
Pete stand etwas im Abseits und verhielt sich ruhig. Schließlich mischte er sich ein: „Mr. McBreed...."
„...Sie wird niemals meine Frau werden. Selbst, wenn sie es würde, würde sie mich niemals so lieben, wie diesen Mann dort." McBreed schaute zu Pete hinüber und ließ von Julia ab. Jeder konnte spüren, dass McBreed aufgab und wie seine Enttäuschung ihn quälte. Wortlos wandte er sich ab und ging ins Tal zurück. Pete und Fred zögerten noch eine Weile um ihn dann schließlich zu folgen.
Das war der richtige Zeitpunkt, um das ewige Versteckspiel zu beenden, so bat Julia: „Komm, wir gehen in die Stadt. Wir werden heiraten und Kinder haben. Wir werden endlich ein normales Leben führen können." Die Entscheidung fiel Mason sehr schwer, nach so langer Zeit, sich wieder bei den Menschen sehen zu lassen. Aber seine Liebe zu Julia überzeugte ihn. So machten sich Mason und Julia wenige Tage später auf den Weg und ließen das wilde Leben in den Bergen hinter sich.
In der Stadt angekommen sahen sie, wie einige Leute auf der Strasse standen als würde man sie bereits erwarten. Erstaunte, aber auch verwunderte Gesichter folgten ihnen, und aus der Stille hörte man, wie jemand begann, in die Hände zu klatschen. Eine zweite Person klatsche und eine dritte. Es kamen mehr und mehr Leute aus ihren Häusern, und es waren immer mehr Klatschlaute zu hören, bis die gesamte Stadt in einem lauten und heftigen Jubel ausbrach.
Julia und Mason gingen während dessen zielgenau auf die kleine Kirche zu.
Der laute Jubel der Bürger lockte den Sheriff und den Bürgermeister hinaus auf die Straße, und nach einigen suchenden Blicken entdeckten sie das so verschiedene Paar die Straße hinauf gehen. Der Sheriff wusste nicht, was er unternehmen sollte, es war ihm unmöglich, dieses Paar auseinander zu bringen. Auch der Bürgermeister war sichtlich ratlos, als er die Menschenmenge sah, die ihre Blicke mittlerweile ihm entgegenbrachten.
Aus den Jubelgeräuschen brachen jetzt erste Beschimpfungen hervor, die sich gegen den Bürgermeister und dem Sheriff richteten. Die Beschimpfungen wurden immer heftiger und es begannen einige Bürger, Steine nach ihnen zu werfen. Mason und Julia, die mittlerweile die Kirche erreicht hatten blieben stehen, drehten sich um und sahen, wie sich einige Bürger begannen zu prügelten.
Aus der aufgebrachten Menschenmenge verließen plötzlich einige Männer auf Pferden die Stadt. Es waren ohne Zweifel der Bürgermeister und Sheriff Kenning unter ihnen. Kaum waren sie fortgeritten, wurde es ruhiger im Ort, und hunderte von Menschen sammelten sich vor der Kirche. Julia und Mason standen noch immer vor dem Eingang und schauten auf die Menschenmenge herab. Diese hat sich mittlerweile in ein Schweigen gehüllt und starrten erwartungsvoll auf das Paar. Als die kleine Tür zur Kapelle sich öffnete und der Pastor heraustrat, wendete sich das Paar diesem zu, und sie folgten ihm entschlossen zum Altar. Nur wenige Bürger verfolgten die Eheschließung in der Kirche. Draußen aber war es ruhig, man hörte keine Geräusche hineindringen. Erst als die Hochzeit vollzogen war, und das glückliche Paar aus der Kirche herauskam, jubelten die Menschen voller Begeisterung. In diesem Augenblick trat McBreed aus der Menschenmenge vor die Kirche neben seine Tochter und hob die Arme. „Ich bin Charles McBreed", rief er aus voller Kehle der Menschenmenge entgegen. „Diese junge Frau ist meine Tochter. Sie hat uns allen, aber besonders mir klar gemacht, dass jeder Mensch gleichberechtigt ist, egal wie er aussieht, egal woher er kommt. Und jeder, ohne Ausnahme hat das Recht auf Freiheit und Anerkennung. Meine Tochter hat sich gegen meinen Willen verhalten, und zugleich hat sie es erreicht, dass sich eine ganze Stadt ändert." McBreed wusste, dass er an dem Mord an Julia's Vater unmittelbar beteiligt und damit schuldig der Mordbeihilfe war. Und er ahnte auch, dass Mason davon sicher Kenntnis hatte. Aber er verdrängte diese Tatsachen und fuhr mit seiner Rede fort, als sei niemals etwas geschehen. Mason aber wusste in dieser Situation nicht, wie er damit umgehen sollte. Sicher würde die Wahrheit eines Tages ans Tageslicht geraten, und die Verantwortlichen würden dann zur Rechenschaft gezogen werden. Aber Mason wollte nicht den Augenblick zerstören und schwieg. Währenddessen schloss McBreed seine Rede ab: „Ab sofort wird jeder hier in dieser Stadt willkommen sein. Wir werden eine offene Gemeinschaft sein. Lasst uns gemeinsam in eine friedliche Zukunft blicken und ein für alle mal Schluss machen mit Ausgrenzung und Fremdenhass." Die Begeisterung der Menschen wurde noch heftiger. „Und glaubt mir, liebe Mitbürger: Es gibt keine Ungeheuer!"
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Der Außenseiter
Short StoryEine Kurzgeschichte zum Thema Ausgrenzung und Rassismus. Aus Angst wird Liebe. Aus Hass wird Einsicht. Menschen ändern sich, manchmal jedoch erst dann, wenn Wahrheiten ans Licht kommen.