5 ~ Cyrian

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Am Rand der Lichtung tauchte ein dunkler Wolf auf, der durch einen schmalen, gut getarnten Hintereingang ins Lager gelangt war. Er hatte eine erfolgreiche Jagd hinter sich, was mir der leicht süßliche Geruch nach Kaninchenfleisch verriet, der ihn begleitete. Ein Ruck ging durch seinen Körper und aus dem würdevoll anzusehenden Rüden wurde der junge Mann, der mich hierher gebracht hatte. In seinem schwarzen Hemd verschmolz er beinahe mit der ihn umgebenen Finsternis, als er sich durch die halblangen, dunklen Haare fuhr.

Unwillkürlich fragte ich mich, ob Kilian dem silbernen Streuner Einhalt gebieten hätte können. Der Alpha hob den Kopf und nickte mir zu, offenbar hatte er bemerkt, dass ich außerhalb meiner Hütte stand und ihn beobachtete.

Grüßend neigte ich den Kopf, als ich bei ich ankam. „Wie geht es dir?", fragte er ruhig. „Schon um einiges besser, danke. Meine Selbstheilungskräfte funktionieren gut und morgen bin ich stark genug, um Leslie beim Training zu begleiten." Er setzte sich in Bewegung und ich folgte ihm. „Das freut mich. Ich war eben unterwegs um Ausschau nach dem Rudel zu halten, das euch angegriffen hat, konnte aber niemanden innerhalb unserer Grenzen bemerken. Sie halten sich demnach fern.", erkläre er.

„Wie kommt es, dass du sie kennst?", rätselte ich. „Wir hatten in der Vergangenheit einige Male mit diesen Werwölfen zu tun, keine Begegnung mit ihnen war ein Vergnügen. Du solltest erfahren, was mein Rudel über sie weiß, dann verstehst du vermutlich die Ereignisse deiner eigenen Vergangenheit besser."

Wir kamen ans hintere Ende des Lagers, in dem ich bis jetzt noch nicht war. Zwei dicht beieinanderstehende Bäume, die vor den Steinwänden auf der Lichtung wuchsen, ragten empor. Ich legte meinen Kopf in den Nacken und erkannte eine große, aus massivem Holz erbaute Hütte, die sich in circa acht Metern Höhe in den Kronen der beiden Bäume befand.

„Von dort oben hat man bestimmt einen tollen Überblick.", meinte ich bewundernd. Die Idee, seine Hütte an den höchsten Punkt des Lagers zu setzen war taktisch klug, denn so genügte ein einziger Blick aus dem Fenster, um den Eingang des Lagers und die umliegende Umgebung bewachen zu können. Kilian legte die Hand an die hölzerne Wendeltreppe, die sich um einen der Bäume herum schlängelte und bis zur Hütte führte. „Du darfst eintreten, Alexa. Und du hast Recht - man hat einen tollen Ausblick." Er lächelte und stieg die Treppe nach oben.

Für gewöhnlich war es jemanden, der nicht der Gemeinschaft des Rudels angehörte, untersagt, den privaten Wohnraum eines fremden Alphas ohne einen triftigen Grund zu betreten, doch da er mir eben mit der geläufigen Einladung den Eintritt gewährt hatte, ging ich nach ihm die Stufen hoch.

Je höher ich kam desto mehr erblickte ich von der Landschaft und mir wurde bewusst, wie riesig der Wald war. Das nördliche Ende ließ sich nur schwer erkennen, die Bäume schienen ewig weiter zu reichen. In Richtung Süden machte ich eine kleine Stadt aus, deren Lichter bis hierher schienen. „Clarefield.", murmelte ich und Kilian nickte. „Es ist die nächstgelegene Stadt am Rand unseres Territoriums."

Die schmalen Silhouette eines Rehkitzes zeichnete sich im Sternenlicht ab, das nicht weit vom Lager spielend im hohen Gras herumsprang, stets unter dem wachsamen Blick seiner Mutter, eine betagten Rehkuh, die immer wieder den Kopf senkte, um an einigen Gräsern zu knabbern. Über uns stieß sich eine braun-weiß gefiederte Eule lautlos vom Geäst ab, zog ihre Bahn durch die Nacht, streckte lautlos ihre Krallen vor und bevor die träge Waldmaus wusste wie ihr geschah, landete sie bereits in den Fängen des anmutigen Greifvogels.

Kilian stieß die Tür der Hütte auf und ließ mich eintreten. Hier verstärkte sich der dominante Geruch des Alphas und ließ mich schaudern. Nicht vor Angst, sondern vor der Frage, was ich wohl über die Streuner erfahren würde, die wie unheilvolle Schatten in mein Leben gekommen waren.

Wolves - SilberblutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt