Kapitel 9

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[Alte Feinde]

~Rückschläge~

||Gegenwart||

Casmiel hatte den geheimen Raum schnell verlassen, ließ den dunklen Vorraum zurück und verließ das Gebäude. Er fühlte sofort die kühle Luft, die seine inzwischen wirklich langen Haare verwehte. Es war trotz des Windes und der untergehenden Sonne immer noch warm. Typische Sommernächte eben. Dennoch fröstelte Casmiel leicht und legte sich seine Arme um den Körper.

Er hatte die Augen geschlossen, atmete tief ein und aus, genauso wie Gordon es ihm beigebracht hatte, sollte er sich in eine Panikattacke hineinsteigern. Er beruhigte sich selbst und normalerweise funktionierte es wirklich gut, doch dieses Mal verlangsamte sich sein Herzschlag nicht wieder und der Kloß in seinem Rachen verschwand nicht ein Stück.

„Cas?" fragte da eine Stimme hinter ihm und er öffnete seine Augen. Noch drehte er sich nicht um. Er wagte es nicht. Nicht vor ihr.

Immer war Casmiel stark gewesen. Stark und aufmerksam. Er war immer jemand gewesen, den andere gebraucht haben. Jemand, den er gebraucht hätte. Doch diese Rolle hatte er nicht mehr gebraucht. Nicht seitdem er verschwunden war.

„Hey, es ist okay. Ich weiß das es schwer ist hier zu sei-" fing Aspen an zu sprechen, doch Casmiel schnaubte nur abfällig aus und schüttelte vehement den Kopf.

„Du weißt es nicht. Dein Leben ist ein ständiger Sturm und du stehst mitten drin. Du genießt das Chaos um dich herum, da du noch in der Lage bist es zu kontrollieren. Ich habe die Kontrolle darüber schon vor Jahren verloren. Ich habe mich verloren. Irgendein Wind hat mich hochgehoben und in diesen Orkan aus Problemen gestoßen, dem ich nicht wieder entkommen konnte. Ich hatte wieder Kontrolle, als ich weg war. Ich hatte alles wieder unter Kontrolle. Doch dann kamst du und hast mich wieder in diesen Sturm gerissen," er drehte sich um und versuchte nicht einmal den Schmerz in seinen Augen zu verstecken.

„Ich habe mich gebessert, Aspen. Ich konnte heilen. Du verlangst von mir, dass ich zurück in dieses Umfeld gehe. Zurück zu jenen, die mich gezwungen haben, mir Hilfe zu suchen. Ich habe all das, all den Schmerz, all die Fehler, nie verdient. Ich war nur ein Kind und ich habe es nicht verdient allein für meine Existenz bestraft zu werden. Es hat mich 26 Jahre gekostet, das zu lernen" erklärte er ihr nur kühler als beabsichtigt.

Es war eine alte Rolle. Die Rolle eines Arschloches. Die Rolle eines Mannes, der seine Emotionen nicht mit seiner Intelligenz verbinden konnte und aus diesem Grund nur seine Intelligenz zeigte, während er seine Gefühle in sich aufstaute. Ein Mann, der andere von sich stieß, wenn sie versuchten ihm zu helfen.

„Du verstehst das nicht, Asperia, nicht wahr? Du verstehst nicht, wieso ich gegangen bin. Du verstehst nicht, wie ich allen das antun konnte. Du verstehst gar nichts, denn du bist zu blind um die Zerstörung um dich herum zu sehen. Die Zerstörung, die du verursachst. Du gehst durch die Welt, brennst alles hinter dir ab und wunderst dich dann, wieso dir heiß wird. Du bist der Meinung, dass alles nach deiner Nase geht und wenn dem nicht so ist, zerstörst du es eben. Du bemerkst gar nicht, dass deine Taten Konsequenzen haben, da dich jeder vor diesen Konsequenzen beschützen will. Dich. Das perfekte kleine Mädchen, dass absolut nichts tun muss, um als perfekt angesehen zu werden. "

Casmiel war immer lauter geworden, bis er seine Worte beinahe schrie.

Als er seine Worte realisierte, trat er einen Schritt zurück und sah Aspen an.

Ihre Augen waren leicht glasig, ihre Lippe zitterte leicht und der Schmerz war klar erkennbar. Sie erinnerte Casmiel an sein altes Ich, als er noch ein Kind gewesen war. Als jemand anderes diese Worte geäußert hatte.

||Vor 17 Jahren||

Casmiel wurde auf den Boden geworfen und blieb weinend im Dreck liegen. Ängstlich sah er auf zu seinem Bruder, der bedrohlich über ihm thronte und wütend auf ihn herabstarrte, purer Hass in seinen Augen und die Fäuste geballt, bereit, benutzt zu werden.

„Caspia-" doch Casmiel konnte nicht sprechen. Eine Faust sauste auf ihn nieder und warf seinen Kopf zur Seite. Blut tropfte aus seiner Nase und Tränen flossen aus seinen Augen. Er versuchte sich selbst mit seinen Armen zu beschützen, doch diese zitterten wie Espenlaub im Wind und zuckten immer wieder unkontrolliert, als würde sein Körper ohne eine vorherige Aktion reagieren.

„Wieso!?" schrie Caspian wütend und Casmiel zuckte weg. Sein Bruder war so laut, so laut. So wütend. Casmiel wusste nicht einmal wieso er so wütend war. Er wollte es verstehen, doch Caspian erklärte es ihm nie.

„Wieso bist du perfekt, ohne irgendetwas zu tun?! Wieso bekommst du immer alles vor deine polierten Schuhe gespuckt?! Wieso ich nicht!" schrie Caspian weiter und kam noch näher, sodass Casmiel versuchte weiter zurückzuweichen, jedoch von einer Wand gestoppt wurde.

Nun sammelten sich auch in Caspians Augen Tränen, doch seine Miene blieb wütend. Er schien die Tränen nicht einmal zu bemerken, ebenso wenig wie das Zittern seiner Stimme oder die Verzweiflung darin, als er seine nächsten Worte aussprach: „Wieso hat jemand wie du Perfektion verdient, während andere Tag für Tag dafür kämpfen müssen, aber dennoch niemals genug sind!?"

||Zurück in der Gegenwart||

„Es- ich-" Casmiel versuchte einen Satz auszusprechen, doch seine Lippen öffneten sich nur ohne etwas über seine Gedanken preis zu geben. Er wollte sich entschuldigen. Er war so egoistisch. Doch er konnte nicht. Er konnte nichts. Absolut nichts.

Deshalb drehte er sich hastig um und ging mit schnellen Schritten weg.

In der Ferne erklang Donner. Die dichten Wolken kündigten Regen an. Doch selbst als die ersten Tropfen vom Himmel fielen und immer heftiger wurden, stand Aspen nur im Regen und sah Casmiel nach. Die Tropfen prasselten stark auf den Asphalt, durchnässten ihre Kleidung und ließ ihre Haare hinabhängen, als wären es tote Blätter.

Doch es interessierte sie nicht. Sie stand nur da, den Blick in die Ferne gerichtet. Casmiel folgend. 

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