"Sie sind immer noch hier!"
Wie von Sinnen schrie das kleine Mädchen immer wieder diese Worte, zog damit die Aufmerksamkeit vieler Passanten auf sich und einige schüttelten verständnislos die Köpfe. Nur Eric nicht. Er stand da, beobachtete sie und fasste den Mut, sich ihr zu nähern. Vorsichtig kniete er sich herunter, sah sie an und schenkte ihr ein Lächeln.
"Verrätst du mir, wer noch immer hier ist?", fragte er behutsam und weckte das Interesse des kleinen, blondhaarigen Mädchens. "Sie sind hier, ich sehe sie", schluchzte sie, wischte sich die dicken Tränen aus den Augen und deutete auf die vor ihr stehenden Kirche.
Eric drehte sich daraufhin um, besah sich die Kirche, die im typisch gotischem Stil erbaut wurde. Wann genau wusste er nicht, nur irgendwann nach dem Brand, der die halbe Stadt Erlangen im 18. Jahrhundert vernichtet hatte. "Eine hübsche Kirche." Eric lächelte, doch das Mädchen schüttelte den Kopf. "Nicht die Kirche, es ist das, was unter der Kirche verborgen liegt. Sie sind immer noch da, sie können nicht ruhen."Er verstand sofort, was die Kleine ansprach und doch konnte er sich nicht vorstellen, dass unter der Kirche Menschen begraben waren. "Hör mal, Kleines. Ich denke, du irrst dich. Unter der Kirche liegt niemand."
"Doch!" Sie schmollte, verschränkte die Arme vor der Brust und im nächsten Moment erstarrte sie. Ängstlich klammerte sie sich an Ihre Mutter, die bereits mit den Nerven am Ende war. Ihre Tochter zeigte dieses Verhalten immer wieder, sah Dinge, die nicht da waren oder hörte Stimmen. Ein Zeichen von Schizophrenie und doch war das Kind zu jung dafür."Was hast du?" Eric versuchte einfühlsam, mit ihr zu reden, sie aus ihrem Schockzustand zurückzuholen. "Da ist einer von ihnen", murmelte sie, zitterte am ganzen Körper und streckte den Finger aus, um auf die Person zu deuten.
Ganz langsam drehte auch Eric sich um, erblickte eine Person und wandte sich dem kleinen Mädchen wieder zu. "Du musst dich irren, das ist meine beste Freundin. Sie ist etwas ..."
"Nein, nein, sie ist tot. Sie ist ein unruhiger Geist, der nicht ruhen kann", unterbrach sie ihn.
Eric versuchte höflich zu bleiben, die Kleine nicht zu verärgern. Es fiel ihm schwer, sie sprach von seiner Freundin, die er sah, die jeder sah und damit kein Geist oder Gespenst sein konnte. Leise seufzend winkte er Nela zu sich, wartete, bis sie neben ihn trat. "Siehst du, ich sehe sie auch. Sie ist kein Gespenst, was ruhelos ist."
"Doch, ihr Großvater hat sie in der alten Mühle getötet. Ich weiß das."
Eric und Nela sahen sich daraufhin an. Zwar hatten sie davon gehört, aber es war nur wenig bis nichts bekannt. Die Umstände konnte sich keiner erklären, die Beweggründe waren unklar. Man wusste um die Mühle, wo diese stand und, dass dort ein Mord geschah. "Das ist lange her, Kleines. Das Drama geschah bereits im 17. Jahrhundert", erklärte er dem Mädchen gewissenhaft und hoffte, sie würde Einsicht zeigen."Sie findet keine Ruhe", murmelte sie wieder. "Sie wird erst ruhen, wenn man sie findet und begraben hat."
Nela legte grinsend die Hand auf Erics Schulter, hatte bereits Feuer für den Fall gefangen und es sich zur Aufgabe gemacht, diesen zu lösen. "Wir finden deinen Geist und wenn wir ihn haben, dann solltest auch du, ihn nicht mehr sehen."
"Was?" Eric ruderte herum, erhob sich und blinzelte seiner Freundin entgegen. "Du willst einem Geist nachjagen, den es nicht gibt? Och komm schon, das ist Zeitverschwendung."
"Sei kein Hasenfuß, Eric. Das wird lustig."Lustig? Eric fand es keinesfalls witzig, aber er gab dem kleinen Mädchen ein Versprechen.
Das Versprechen, einen ruhelosen Geist zu fangen.
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Geschichtenerzähler ✔
Mystery / ThrillerIch hab die Pest überlebt, bin dem Scheiterhaufen entkommen und habe vieles zu erzählen, was ungeklärt blieb. Obendrauf erzähle ich gerne gruselige Kurzgeschichten, die ich euch näherbringen will.