Vor aller Augen

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Klirrende Kälte schlug mir ins Gesicht, während Schneeflocken wild umherwirbelten und mir für einen Moment die Sicht nahmen

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Klirrende Kälte schlug mir ins Gesicht, während Schneeflocken wild umherwirbelten und mir für einen Moment die Sicht nahmen. Wann hatte das Wetter derart umgeschlagen? War ich so in meinen Gedanken gewesen, dass ich den Umbruch nicht bemerkt hatte? Suchend sah ich mich nach Snowflake und Nela um, doch ich konnte sie nicht finden. Mein Blick schweifte weiter, suchte jeden Winkel ab, doch es war, als wären sie verschwunden.

"Nela?", rief ich vergeblich nach ihr, während ich bereits die Eisfläche verließ und mich meiner geliehenen Schlittschuhe entledigte.

Wo konnte sie sein, noch dazu ohne vorher etwas zu sagen, sich zu verabschieden? Nachdenklich zog ich mir meine dicken Winterstiefel an und ließ das Eis hinter mir. Vielleicht war sie am ... Nein, Nela trank keinen Glühwein. Sie trank überhaupt keinen Alkohol und auch sonst lebte sie sehr gesund. An den Fressbuden brauchte ich also auch nicht zu suchen.

Und jetzt? Heimgehen oder sie anrufen? Nachdenklich griff ich in meine Manteltasche, suchte nach meinem Handy und stellte mit Schrecken fest, dass es verschwunden war.

"Verdammt", zischte ich leise, durchwühlte hektisch das Innere meines Mantels und doch bleib mein Mobiltelefon unauffindbar. Offenbar wurde ich bestohlen und das kurz vor Weihnachten.

Wütend darüber hob ich meinen Kopf, blickte mich um und stellte mit Schrecken fest, dass ich umgeben von Menschen war, die viel zu altbacken gekleidet waren. Aber nicht nur das, der Weihnachtsmarkt war verschwunden und hinter mir stand einfach ein hölzerner Tisch, auf dem es ganze Fleischstücke zu kaufen gab. Nicht besonders hygienisch, dennoch wurde gekauft und die Menschen strömten beschäftigt an mir vorbei.

Der nächste Tisch verkaufte Äpfel und Birnen. Kleine, aber auch große und immer wieder musste sich der Verkäufer diebische Finger vom Leib halten. Wo zum Teufel war ich hier gelandet? Fragend sah ich mich um, erkannte das Schloss, die Stadtbücherei, den Brunnen, der den Marktplatz Erlangens ausmachte und doch fehlte hier und da ein Bauwerk, was mich stutzig machte. Scheinbar war das nicht meine Zeit, sehr weit von dem entfernt, was ich kannte und liebte. Neugierig war ich aber schon.

Gespannt lief ich über den Markt, bestaunte selbst geflochtene Körbe, feine Leinenstoffe, aber auch Gewürze. Dabei stellte ich fest, dass diese kaum gekauft wurden, wohl teuer waren und sich nur die gehobene Gesellschaft leisten konnte. Ich musste demnach im Mittelalter gelandet sein und um nochmals mich zu überzeugen, sah ich den Markt runter. Rechts und links gingen normal schmale Gassen ab und weiter hinten thronte die Martin Luther Kirche. Hier nicht. Ausradiert und weggefegt. Einfach leer und unschön anzusehen.

Leise seufzend setzte ich meinen Weg fort, lächelte, als ich ein paar Kinder vor meinen Augen spielen sah. Scheinbar fangen, sie rannten, lachten vergnügt und wirken unbeschwert. Bei genauerem Hinsehen stellte ich jedoch fest, dass sie allesamt recht dünn waren. Ein Mädchen fiel mir besonders auf. Ihre Kleidung sah abgenutzt aus, ihre Finger waren viel zu dünn und auch die Schuhe sahen aus, als hätten sie schon bessere Tage gesehen. Armut war also auch hier Thema. Traurig, dass Kinder am meisten darunter litten und es scheinbar keinen interessierte.

Sie wurden herumgeschubst, weggestoßen und böse angesehen, wenn sie doch nach einem Stückchen Brot fragten. Zum Fremdschämen. Mir blutete das Herz und ich hatte Mitleid mit dem kleinen Mädchen, das immer wieder auf Erwachsene zuging und diese bittend ansah. Hier kannte scheinbar niemand Mitgefühl oder das Wort Nächstenliebe! Schmerzhaft zog sich mein Inneres zusammen, als wieder jemand das Mädchen einfach verstieß und das so fest, dass sie nach hinten fiel. Kinder waren hier scheinbar nichts wert oder ein unliebsamer Klotz am Bein. Ein Störfaktor, den man nur bedingt duldete.

Mitfühlend sah ich die Kleine an, direkt in ihr verschmutztes Gesicht, in ihre traurigen Augen, die sich mit Tränen füllten. Ihr Anblick schmerzte, mein gutes Herz setzte sich durch und ich reichte ihr meine helfende Hand. Ich wollte einfach helfen, fasste nach ihrer kleinen Hand und fasste durch sie hindurch. Sie sah mich nicht, erkannte nicht, dass jemand hier war. Betroffen zog ich meine Hand zurück und lächelte, als sie sich endlich aufraffen konnte und zum Obststand taumelte. Fasziniert beobachtete ich sie, erkannte schnell, was sie vorhatte.

Das hektische Hin und Hersehen verriet es, aber auch ihre unsichere Art, wie sie hastig nach einer Birne griff und versuchte unter ihrem löchrigen Mantel zu verstecken. Unbemerkt blieb das nicht, der Verkäufer hatte sie ertappt, ihre Hand ergriffen und mit einem Ruck über den Tisch gezogen. Sein zorniger Blick jagte mir einen Schauer über den Rücken, die Art, wie er mit dem Kind umging. Er zerrte, schlug und trat zu. Mehrfach, bis sie fiel und doch kannte dieses Scheusal kein Erbarmen. Mir gefror sprichwörtlich das Blut in den Adern, als ich erkannte, dass er nicht aufhören würde auf den kleinen Körper einzutreten, als würde er einer Kakerlake den Gar ausmachen.

Ihr Schreien wurde überhört, ihr Leiden übersehen. Keiner kam zur Hilfe, niemand schritt ein und hielt den Mann davon ab, ein wehrloses Kind vor aller Augen totzuschlagen. Kein Einzelfall, wie ich hören musste, von wildem Getuschel hinter und neben mir. Tage zuvor hatte es gleich zwei Kinder getroffen, die man wohl erst recht spät irgendwo verscharrte. Traurig und bitter zugleich. Unmenschlich und grausam, ein Kind ohne Folgen einfach aus dem Leben zu reißen und wie ein Stück Vieh zu entsorgen. Heute undenkbar, sogar unter Strafe gestellt und meines Erachtens auch gut so. Niemand verging sich ungestraft an Kindern, schlug, missbrauchte und tötete sie!

Schweren Herzens trat ich schließlich auf den kleinen, leblosen Körper zu und kniete vor ihr nieder. "Armes, kleines Mädchen", wisperte ich, streckte meine Hand aus und doch griff ich wieder durch ihren Körper hindurch, griff ins Leere, während ich nur schwer meine Tränen unterdrücken konnte.

 "Armes, kleines Mädchen", wisperte ich, streckte meine Hand aus und doch griff ich wieder durch ihren Körper hindurch, griff ins Leere, während ich nur schwer meine Tränen unterdrücken konnte

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