Kapitel 8

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Eine halbe Stunde später befanden wir uns, genau wie Holmes es angeordnet hatte, auf der Bühne und warteten auf ihn. Holmes hatte die etwas nervtötende Angewohnheit, bei von ihm vereinbarten Treffen mindestens zehn Minuten zu spät zu erscheinen. Diesmal dauerte es fast zwanzig Minuten, bis er, zusammen mit Mr. Clark, im Freien erschien. „Da sind Sie ja endlich", murrte Lestrade, mittlerweile etwas schlecht gelaunt, was ihm allerdings nicht zu verübeln war, auch meine Stimmung war nicht mehr die Beste. Holmes ignorierte dies und ging, ohne ein Wort zu sagen, auf die Bühne. Erst dann drehte er sich zu uns um und begann: „Sie werden sicherlich wissen, warum ich Sie hierhergebeten habe. Ich werde gleich bekannt geben, wer der Mörder ist und er befindet sich unter uns." Wir tauschten Blicke untereinander aus, von uns schien nämlich niemand auch nur die geringste Ahnung zu haben, wer das sein könnte. Ich persönlich hatte irgendwo zwischen dem Tod vom Miss Carter und dem Anschlag auf Mr. Robinson den Faden verloren. „Na endlich!", rief Mr. Evans erleichtert. „Also, wer war es?" „Alles zu seiner Zeit", beschwichtigte Holmes ihn. „Um diesen Fall aufzuklären, muss ich etwas weiter in die Vergangenheit zurückgehen, nämlich an den Tag, an dem der Mörder der Schauspielgruppe beitrat. Vermutlich hatte er oder sie schon damals ein Motiv, allerdings könnte sich dieses auch erst später entwickelt haben. Wie Mr. Evans uns bereits erzählte, erfuhren Neuzugänge früher oder später von dem Mythos des Harlekins. Unser Täter sah darin wohl eine perfekte Gelegenheit, seine Rache auszuüben. Da auch viele Schauspieler abergläubisch sind, wäre es ihm überaus ein leichtes gewesen, nicht nur Rache an seinen Opfern zu nehmen, sondern auch den Rest der Gruppe in Angst und Schrecken zu versetzten. Dafür benötigte er allerdings die Harlekin Puppe. Während einer Probe, ich vermute, es war die Probe vor zwei Tagen, nahm er heimlich den Schlüssel von Mr. Clark an sich, mit dem er die Vitrine, in der sich die Puppe befand, aufschließend konnte. Mr. Clark sah an diesem Tag nicht mehr nach den Dingen in der Vitrine und das geheimnisvolle Verschwinden des Harlekins blieb unbemerkt. An den nächsten Tagen hätte er ihn nur neben seine Opfer setzten müssen, um seine oder ihre Kollegen zu verängstigen, was der Täter auch tat." „Schön und gut, Holmes", unterbrach der Inspektor ihn. „Aber wie Sie sich vielleicht erinnern, starb das erste Opfer an einem natürlichen Tod." Holmes nickte. „Der Mörder hatte riesiges Glück, er musste sich nicht die Finger schmutzig machen. Ob es für das eigentliche Opfer Glück war, ist Ansichtssache. Allerdings muss man auch einsehen, dass Mr. Hill so oder so verstorben wäre. Der Täter nutzte seine Chance und ließ den Harlekin am Tatort zurück, um seine nächsten Opfer zu warnen. Doch die Person, die als nächste sterben sollte, Miss Carter, fehlte. Ich ging naiverweise davon aus, dass sie den Mörder kannte und deshalb nicht kam, doch dies war nicht der Fall. Sie war verhindert gewesen. Als Miss Carter heute ahnungslos hierherkam, musste sie sterben und wieder wurde der Harlekin zurückgelassen." „Aber befand sich die Puppe nicht bei den Beweisstücken unter dem Gewahrsam des Scotland Yards?", warf ich ein. Mein Freund schien bereits etwas genervt von den Unterbrechungen. „Wir befinden uns hier in einem Theater. Jeder weiß, wie man in die Rolle einer anderen Person schlüpft. Der Täter überwältigte einen Polizisten und benutze seine Uniform, um sich den Harlekin zurückzuholen." „Und wie brachte der Mörder den Harlekin zum Singen?", fragte nun wieder Lestrade, der wohl seinen Spaß daran gefunden hatte, den Detektiv zu ärgern. „Ich gehe davon aus, dass er die moderne Technik benutzt hat, mit der man, weiß Gott alles anstellen kann. Allerdings hatte ich noch keine Zeit, mir das Ganze näher anzuschauen, da der Mörder die Puppe wieder an sich genommen hat..." Langsam ging er die Bühne hinunter und blieb genau zwischen uns allen stehen. „Emilia hatte es wirklich am wenigsten verdient zu sterben. Sie hatten Recht, Logan." Verwirrt sah ich mich um. Logan war in ein Krankenhaus eingeliefert worden... oder etwa doch nicht? Holmes ging nun auf einen der Polizisten zu. „Legen Sie ihre Maskerade ab. Ich habe sie durchschaut." Das Gesicht des Polizisten war nicht wirklich zu erkennen, er hatte sich seine Dienstmütze tief ins Gesicht gezogen. Einige Sekunden lang passierte nichts, dann zog er plötzlich seine Waffe und richtete sie auf Holmes. „Keiner bewegt sich oder er hier stirbt!", brüllte er dann. Es war tatsächlich Logan Robinson. Aber wie war das möglich? „Eine nette kleine Vorführung, die sie da mit einem vermeintlichen Anschlag gehalten haben. Das war aber auch nicht schwer, wenn man Kunstblut, Requisiten und das Talent besitzt." „Oh vielen Dank, Mr. Holmes, Sie schmeicheln mir. Aber Sie scheinen mir auch ein klarer Kopf zu sein... Sie hatten mit allem Recht." Trotz des hämischen Lächelns in seinem Gesicht, konnte man Logan seine Nervosität ansehen, die Hand, in der er die Pistole hielt, zitterte. „Die Morde waren durchaus...kreativ und gut geplant. Was ich aber nicht verstehe, ist ihr Motiv." „Hill war ein Dreckskerl! Er hat meiner Familie verdammt viel Geld geschuldet und es nie gezahlt! Ich hätte ihm am liebsten das Genick gebrochen, aber wie Sie schon sagten, ich hatte Glück, verdammt viel Glück, Mr. Holmes." „Und was ist mit Miss Carter?" „Emilia hat mich und Hill bei einem Streit belauscht. Sie hätte sofort gewusst, dass ich es war, also musste ich sie aus dem Weg schaffen. Also bin ich in das Theater gefahren, habe sie aufgelauert und sie überrascht. Danach bin ich wieder gegangen und habe später, bei Mr. Evans, für mein Alibi gesorgt. Und wenn Sie mich nun entschuldigen würden..." Langsam ging Logan rückwärts, die Pistole weiterhin auf Holmes gerichtet, den das absolut nicht zu stören schien. „Warten Sie noch einen Augenblick, ich würde gerne wissen, wo sie das Harlekin Kostüm gefunden haben." „Harlekin Kostüm?" Er sah uns entgeistert an. „Das befand sich nie in meinem Besitz. Ich habe es zwar gesucht, aber nicht gefunden." Holmes drehte sich zu mir um und wir wechselten einen fassungslosen Blick. Wenn Robinson nie der Harlekin gewesen war... Wer war es dann? In diesem Augenblick sah ich, dass sich in der Loge, direkt über Logan, jemand befand. Ich sah nur die Silhouette, da die Loge im Schatten lag. Gebannt beobachtete ich, wie die Gestalt hinter sich griff und scheinbar etwas aufhob. Dann trat sie ein Stückchen näher an das Geländer und hielt den Gegenstand, aller Anschein nach ein Sandsack oder ähnliches, direkt über Logan. Im Licht waren nun die Arme zu erkennen, sie waren in zwei verschiedene Stoffe gehüllt. Der linke Ärmel war übersät mit einem Muster aus schwarz-weißen Karos, der rechte Ärmel war einfach nur weiß. Die Hände waren in weiße Handschuhe gekleidet. Auch Holmes hatte den Schatten über Logan bemerkt und auch, was er vorhatte. Doch bevor er ihn warnen konnte, ließ die Gestalt den Sack fallen...und traf einwandfrei. Logan sackte ohnmächtig auf dem Boden zusammen. „Lestrade, sorgen Sie dafür, dass er festgenommen wird, bevor er wieder aufwacht!", beauftragte Sherlock den Inspektor. „Kommen Sie, Watson! Ich will endlich wissen, wer hinter der Maske des Harlekins steckt!" 

Sherlock Homes und der singende HarlekinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt