CHAPTER EIGHT: Redebedarf

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»Megan?«

»Scheiße Nancy, mach doch irgendwas!«

»Ich weiß nicht was, Steve! Megan, kannst du mich hören?«

»Atmet sie?«

Gesprächsfetzen dringen an mein Ohr und Irgendwer fasst an meinen Hals.

»Sie hat Puls, aber ich glaube er ist ziemlich schwach.«

»Was soll das heißen „Du glaubst?"«

Direkt neben mir schnaubt eine Frau. Nancy. In der Dunkelheit taucht ein Bild von ihr auf. »Ich bin keine Ärztin, Steve«, zischt sie angespannt.

Mein Kopf tut weh und mein Mund ist staubtrocken. Ich versuche ihn zu öffnen und etwas zu sagen, aber es will mir nicht gelingen. Die Worte bleiben unausgesprochen in meinem Hals stecken.

»Wir müssen hier schleunigst weg.« Wieder Nancys Stimme.

Was ist passiert? Ich versuche mich zu erinnern, brauche aber eine ganze Weile, bis ich überhaupt einigermaßen klar denken kann und es schaffe, die Dunkelheit aus meinem Kopf zu vertreiben. Vorsichtig hebe ich einen Finger, so langsam, dass es keiner bemerkt, aber ich schaffe es, ihn leicht gegen den Arm von Nancy zu legen. Es kostet mich große Anstrengung, aber es gelingt mir schließlich die Bilder in ihren Erinnerungen abzurufen. Ich wühle mich durch ihren Kopf, vorbei an einem gedeckten Tisch und einem Jungen mit dunklen, etwas längeren Haaren, der sie zum Essen überreden will. Sie nennt ihn Mike, als sie energisch ablehnt. Der Weg zum Treffpunkt; ihrer ist wesentlich kürzer, als unserer. Ich sehe in ihren Erinnerungen wie Steve und ich aus dem Wagen steigen. Meine Locken wehen unter meiner Kapuze hervor. Dann trennen wir uns, sie geht durch eine Nebenstraße, die sich parallel von uns befinden muss. Als ich schließlich an der Stelle ankomme, als sie angegriffen wird, lasse ich meinen Finger wieder sinken.

Monster. Ich wusste es.

Meine Augen fliegen auf und ich keuche atemlos. Trotz des Schwindels der sich in meinem Kopf bemerkbar macht, springe ich auf und stoße dabei Nancy von den Füßen. Mein gesamter Körper bebt und zittert, als ich auf die Überreste sehe, von der Kreatur die ich getötet habe. Erst jetzt kommt mir der Gedanke, dass ich meine Kräfte benutzt habe und das vor Steve und Nancy. Meine Fingerspitzen kribbeln immer noch, aber ich habe keine Energie mehr. Ich muss hier weg, denke ich, doch als ich loslaufen will, schwanke ich und muss mich an dem einzigen festhalten, was ich zu greifen kriege.

Steve streckt einen Arm aus und fängt mich auf. Er wankt kurz unter meinem Gewicht, schafft es dann aber mich davor zu bewahren erneut auf dem Boden zu landen. Alles in mir möchte sich wehren, wegrennen, nicht zulassen, dass man eine Chance dazu bekommt mir wieder weh zu tun, aber ich fühle mich so schwach wie schon lange nicht mehr. Jahrelang hab ich gegen diesen Teil in mir angekämpft, habe meine Kräfte kaum benutzt, zumindest nicht auf diese Art. Mal Gedankenmanipulation hier und da, hatte sich nicht vermeiden lassen. Das hier war aber etwas anderes. Jetzt auf einmal gleich so viel von meiner Kraft zu kanalisieren, hat mich ausgelaugt. Meine Augen drohen erneut zu zu fallen und ich spüre Steve sein Kinn auf meinem Kopf, als ich noch stärker gegen ihn sinke.

»Hey, hey, hey, ganz ruhig«, haucht er und sein warmer Atem streicht durch meine Haare. Er klingt nicht bedrohlich, aber ich kann die Angst nicht abschütteln. Ich versuche mich daran zu erinnern, warum ich vorher geglaubt habe ihnen vertrauen zu können und obwohl es mir nicht gänzlich gelingen will, beruhigt sich mein Herzschlag zumindest ein wenig.

»Steve, wir müssen hier weg!«

Nancy. Wieder.

Ihre Stimme klingt jetzt energischer und duldet keinen Widerstand. Ich kann spüren, dass Steve nickt.

»Megan, kannst du laufen? Was meinst du?«, fragt er mich vorsichtig.

Am liebsten würde ich nicken, doch es gelingt mir nicht. Mein Kopf fühlt sich schwer an. Mit allerletzter Kraft drücke ich mich ein wenig von ihm weg.

»Steve!«, ruft Nancy erneut und ich kann sehen wie sie uns einen wütenden Blick zuwirft. »Weg hier. Sofort!«

»Okay, okay- «, stammelt er in ihre Richtung, dann wendet er sich an mich. Er dreht mich am Arm zu sich um und als er spricht, klingt seine Stimme weich. »Megan, ich weiß, dass du Angst hast und ich verstehe das. Aber du musst mir jetzt irgendwie vertrauen. Ich verspreche dir, dass wir dir alles erklären, aber jetzt müssen wir von hier verschwinden. Ja?«

Ich hebe den Kopf so an, dass ich ihm direkt in die Augen sehe. In seinem Blick kann ich sehen, dass er ebenfalls Angst hat.

»Komm, ich halte dich.« Er verstärkt den Griff an meinem Arm und aus irgendeinem Grund, ich kann es selbst nicht erklären, fühle ich mich sicherer. Ich nicke, lehne mich wieder fester gegen ihn und setzte einen Fuß vor den anderen. Irgendwo neben uns atmet Nancy erleichtert auf.

Die ersten Schritte von mir sind wackelig, doch dann finden wir gemeinsam einen guten Rhythmus. Ich sehe kaum wohin wir gehen, aber schließlich kommen wir an unseren Autos an. Mir wird schlecht, als das Adrenalin nachlässt und ich beuge mich nach vorne und würge. In meinem Kopf herrscht Chaos und noch während ich versuche meine Gedanken zu ordnen, kann ich die Stimme von Nancy hören, die zischende Worte an Steve richtet.

»Wir müssen sie zu den anderen bringen!«

»Ich weiß, aber hast du gesehen wie fertig sie ist? Lass es für heute gut sein.«

»Bist du wahnsinnig, Steve? Hast du gesehen was sie getan hat?«

Ich höre nicht wie er etwas sagt, aber er scheint ihr stumm mit Ja zu antworten, denn als nächstes höre ich wieder die Stimme von Nancy.

»Na also. Wir können das nicht unter den Teppich kehren. Wir brauchen ihre Antworten. Du weißt ganz genau, dass ich Recht habe!«

Ein weiteres Mal muss ich würgen.

»Nance, bitte. Sieh sie dir doch an. Wir können sie morgen immer noch fragen.«

»Und wenn sie abhaut?«

»Wo soll sie denn hin?«

Nancy schnaubt verächtlich. »Wir wissen doch gar nichts über sie. Was ist, wenn sie für all das mitverantwortlich ist?«

Ich zucke zusammen und sehe auf. Als ich mich umdrehe, unterbrechen sie ihr Gespräch. Ihr habt doch keine Ahnung, will ich ihnen entgegen schreien, aber ich sage nichts. Stattdessen lehne ich mich gegen die Motorhaube von Steves Wagen und schließe die Augen. Ich gehe in Gedanken meine Optionen durch, aber in meinem Kopf herrscht ein solches Durcheinander, dass ich zu keinem Entschluss komme. Ich könnte abhauen, das ist ein berechtigter Einwand, aber Steve hat ebenso Recht. Wo soll ich schon hin? Und will ich das überhaupt? Weg von hier? Ich versuche zu überlegen. Nein. Aber was dann? Mir fällt ein, dass weder Nancy noch Steve überrascht oder schockiert über das waren, was sie gesehen haben, was in mir die Frage aufwirft, was sie vorher schon wussten. Wer ist diese Gruppe von Menschen und ist es vielleicht kein Zufall gewesen, dass ich sie in Jener Nacht am Labor getroffen habe?

»Megan?«

Ich habe nicht bemerkt, dass sie zu mir gekommen sind und Nancys Stimme reißt mich so unsanft in die Realität zurück, dass ich zusammen zucke.

»Hm?«

»Wir ... Du -« Sie macht eine Pause und runzelt die Stirn, als müsse sie noch einmal überlegen, was sie sagen will. »Das was du getan hast eben. Ich weiß, dass du vielleicht nicht darüber reden willst, aber-«

Mein Blick verfinstert sich. Ich kann nichts dazu, aber ich bin müde und ohne dass ich es wirklich will, kocht Wut in mir hoch. Ich bin wütend darüber, dass sie mir nicht die Wahrheit gesagt haben, auch wenn ich selbst nicht besser bin. Ich bin wütend, weil sie mich mit hergenommen haben und mich dem ausgesetzt haben, auch wenn ich weiß, dass es meine Entscheidung gewesen ist. Und ich bin so so wütend auf mich, weil ich mich in diese Situation gebracht habe. Unwillkürlich frage ich mich ob ich die selbe Wahl getroffen hätte, wenn ich gewusst hätte, was mich erwarten würde? Ich weiß es nicht und in meinem Kopf ist auch kaum Platz für noch mehr Fragen. Wahrscheinlich aber, da bin ich mir tief in meinem Innern bewusst drüber, hätte es absolut nichts geändert. Genau deshalb bist du doch hier, raunt mir mein Unterbewusstsein zu und ich muss einsehen, dass das die Wahrheit ist. Ich möchte Antworten, aber ich bin nicht bereit über mich zu sprechen. Noch nicht.

Nancy weicht einen Schritt zurück als mein zorniger Blick den ihren trifft und verstummt.

»Ich bin euch keine Erklärung schuldig«, fahre ich sie bissig an. Mein Puls beschleunigt sich und ich muss mir auf die Zunge beißen um nicht erneut die Kontrolle zu verlieren. Ich möchte niemanden verletzen, bin mir aber nicht sicher, wie viel Selbstbeherrschung nach diesem Tag noch übrig ist.

Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie Steve beschwichtigend die Hände hebt. Er schiebt Nancy ein Stück zurück und stellt sich zwischen uns.

»Das wissen wir. Und wir möchten dich nicht zwingen«, schaltet er sich vorsichtig ein. Er wirft mir einen beruhigenden Blick zu, aber meine Miene wird nicht weicher.

»Aber?«, fauche ich.

»Aber es gibt jede Menge Dinge, die hier in dieser Stadt passiert sind und deine -« Er ringt für einen Moment mit den richtigen Worten. »- Fähigkeiten. Das was du da eben getan hast ... Wir müssen mit dir darüber sprechen.«

Nancy nickt zustimmend. Sie sieht mich über Steves Schultern, mit einer Mischung aus Mitleid und Unbehagen an, dann stellt sie eine Frage, mit der ich weder gerechnet habe, noch weiß ich in diesem Moment eine Antwort darauf. »Wer bist du, Megan?«

Vier, schreit mir eine Innere Stimme gehässig zu. Du bist immer noch Vier.

Das letzte KapitelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt