Ich spreche zwei Tage kein einziges Wort. Es sind zwei ziemlich lange Tage, an denen ich stillschweigend auf meinem Bett in dem kleinen Motelzimmer sitze. Ich esse kaum und auch an Schlaf ist nicht wirklich zu denken. Meine Haare habe ich zu einem Zopf gebunden, aber die meisten Strähnen haben sich schon gelöst und hängen mir nun strohig in mein Gesicht. Einige Male übermannt mich die Müdigkeit für einige Zeit, dann werde ich von Alpträumen und Bildern von Erinnerungen so unsanft geweckt, dass ich wieder nur blind vor mich in die Luft starre. Es ist immer jemand bei mir; das nehme ich am Rande meines Bewusstseins schwach wahr, aber wenn man mich fragen würde, dann würde ich keinen Namen zu dem Gesicht wissen, welches mich aus kleiner Entfernung mustert, mir hier und da etwas zu trinken oder essen anbietet und sich dann wieder zurück zieht. Ich fühle mich, als wäre ich eingesperrt und würde bewacht werden, aber mir fehlt jegliche Kraft um mich darüber aufzuregen. Was bringt das auch? Mein halbes Leben habe ich in Gefangenschaft verbracht, bis es mir schließlich gelungen ist zu fliehen und nachdem ich all die Jahre versucht habe mein Leben hinter den Mauern vom Hawkins Lab zu vergessen, bin ich nun zurück gekommen und bin so knallhart damit konfrontiert worden, wie ich es mir in meinem schlimmsten Alptraum nicht habe ausmalen können. Der Wunsch an den Tag zurück zu kehren, an dem ich noch in meiner Wohnung in Los Angeles gesessen und in den Fernseher gestarrt habe, ist übermächtig groß geworden, doch ich weiß, dass das nicht möglich ist. Ich versuche ihn weit weg, in die hinterste Ecke meines Kopfes zu sperren und die meiste Zeit gelingt es mir auch ganz gut. Zu einnehmend sind die Bilder von dem, was nun ziemlich genau zwei Tage her ist.
Ich seufze lautstark, rutsche mit meinem Oberkörper an der Wand hinunter und drücke mein Gesicht in das Kopfkissen. Es riecht nicht mehr nach meinem Shampoo, sondern beinahe muffig. Naserümpfend drücke ich mich hoch und setze mich wieder hin.
Aus der Ecke, wo auch die letzten Tage rund um die Uhr jemand sitzt, höre ich ein unterdrücktes Kichern und fahre herum. Es ist Robin. Sie hat lässig die Beine übereinander geschlagen und grinst mich belustigt an.
»Was?«, blaffe ich sie an. Meine Stimme klingt rau und meine Kehle ist so staubtrocken, dass ich mich unwillkürlich räuspern muss.
Robins Grinsen bleibt unverändert. »Wohnt auf deinem Kopf eigentlich mittlerweile ein Vogel oder ist das einfach nur modern?«
Ich unterdrücke den Drang mir an den Kopf zu fassen. »Sehr witzig«, gebe ich murrend von mir. Mit einer Hand greife ich nach einer Wasserflasche die auf meinem Nachtschrank steht. Ich nehme einen großen Schluck. »Was willst du, Robin?«
»Eigentlich hatte ich vor mir die nächsten quälenden drei Stunden die hier -« Sie hebt einen Stapel Zeitschriften von ihrem Schoß und hält sie in die Höhe. »- durch zu lesen, aber wenn du dich tatsächlich dazu entschieden hast wieder zu sprechen, dann könnten wir uns auch unterhalten. Natürlich nur, wenn du möchtest und vielleicht nachdem du die Dusche benutzt hast. Du weißt schon, Dusche. Wasserhahn, entspannendes, warmes Wasser, Seife ...«
»Ich habe nichts zu sagen«, presse ich hervor, aber mein Widerstand bröckelt, als ich merke, wie verspannt mein Körper ist. Beim Gedanken an warmes Wasser fühle ich mich zumindest ein kleines bisschen besser. Stur versuche ich es mir nicht anmerken zu lassen, aber kann einen sehnsuchtsvollen Blick in Richtung Badezimmer nicht verhindern.
Robin zieht die Schultern hoch. »Das ist zwar absoluter Schwachsinn, aber wie du meinst. Trotzdem könntest du dir zumindest die Haare kämmen, ansonsten kannst du sie dir wohl bald abrasieren.«
Bei ihren Worten zucke ich zusammen, auch wenn keine böse Absicht dahinter steckt. Sofort flammt ein Bild vor meinem Inneren auf, wie ich zusammen gekauert auf dem Boden liege; die Schmerzen der Elektroschocks kann ich selbst in diesem Moment noch spüren, so tief hat sich die Erinnerung in meinem Kopf eingebrannt. Ich schüttle den Kopf um sie zu vertreiben.
Robin scheint zu bemerken, dass sich etwas verändert, denn ihr Grinsen verschwindet. »Tut mir leid«, säuselt sie und schmeißt die Zeitschriften vor sich auf den Boden. Als sie aufsteht und auf mich zukommt, weiche ich ein kleines Stück zurück und sie bleibt stehen. »Ich werde dich nicht zwingen mit mir zu reden, Megan. Ich verspreche es dir, aber auch wenn du es mir vielleicht nicht glauben willst; wir machen uns Sorgen und wir sind auf deiner Seite.«
»Ach ja?«, frage ich mit einem ironischen Unterton in der Stimme. »Ihr kennt mich doch überhaupt nicht.«
»Das mag sein.«
»Ihr wisst gar nichts.«
»Schon möglich, Megan, aber - « Robin lässt sich etwa einen Meter von mir entfernt auf den Boden sinken. Sie verschränkt die Beine. »- ist dir vielleicht schon mal in den Sinn gekommen, dass wir vielleicht doch mehr wissen als du glaubst? Du hast Recht, wenn du sagst, dass wir dich nicht kennen, aber wir wollen dir nichts böses. Wir sind keine Feinde.«
Mir fällt wieder ein, dass Nancy und auch Steve nie wirklich überrascht gewesen sind. Nicht wegen dem Monster, nicht wegen meinen Fähigkeiten. Absolut nichts an dem Moment, vor zwei Tagen, scheint sich merkwürdig für sie angefühlt zu haben. Ich sehe Robin an. »Das Ding ...«, fange ich an. Meine Stimme zittert. »was Nancy angegriffen hat. Ich hab so etwas schon gesehen. Und ihr auch.«
Es ist keine Frage, sondern eine Feststellung. Robin nickt. »Ein Demogorgon.«
Ich runzle die Stirn. »Ein was?«
»Demogorgon«, sagt sie noch einmal. »So nennen wir sie.«
Einen Moment liegen mir die Worte für eine weitere Frage schon auf der Zunge, dann schlucke ich sie herunter und konzentriere mich wieder auf das Wesentliche.
»Wo?«
»Wo wir sie gesehen haben?«, hakt Robin nach und ich gebe ein leises »Ja« zurück.
»Das ist eine lange Geschichte, die dir die anderen besser erklären können. Sagen wir fürs erste, dass diese Stadt in den letzten Jahren eine Menge durchmachen musste.«
Ich nicke wissend. »Das Erdbeben.«
Robin nickt ebenfalls.
»Welches aber kein wirkliches Erdbeben war, oder?«, frage ich und spreche damit das aus, was ich eigentlich schon die ganze Zeit geahnt habe.
»Nein, nicht wirklich«, gibt sie zu. Sie verzieht das Gesicht, als würde sie die Erinnerung an das was wirklich passiert ist, übermannen. Ich sehe wie sie sich an den Hals fasst. Die blauen Striemen färben sich bereits gelb, aber ich kann mich noch lebhaft daran erinnern wie sie noch vor ein paar Tagen ausgesehen haben.
»Du wurdest verletzt«, spreche ich meine Gedanken laut aus. »Von wem?«
Das Bild von Papa taucht in meinem Kopf auf. Ich höre das Surren von Strom und schüttle so heftig den Kopf, dass mir kurz schwindelig wird. Schnell nehme ich noch einen großen Schluck Wasser und sehe dabei unentwegt zu Robin. Sie scheint mit sich zu hadern, ob sie mir etwas sagen soll, dann seufzt sie schließlich.
»Ich weiß nicht einmal wo ich anfangen soll«, mault sie und sieht dabei so verzweifelt aus, dass ich beinahe lachen muss.
»Wie wäre es mit dem Anfang?«, schlage ich vor.
Sie nickt. »Sehr hilfreich, danke«, sagt sie sarkastisch. »Ich bin wirklich nicht die richtige um dir das zu erzählen, Megan. Ich bin gar nicht von Anfang an dabei und die anderen haben gesagt, dass ich nicht alleine mit dir sprechen soll. Schon gar nicht bevor wir wissen ob du ...« Sie unterbricht sich selbst.
Prüfend ziehe ich meine Augenbrauen zusammen und mustere sie. »Ob ich was?«
»Du hast selbst gesagt, dass wir dich nicht kennen und wir wollen einfach nur vorsichtig sein. Nach allem was hier passiert ist und nach allem was wir wissen und nicht wissen ... Es ist so kompliziert, weißt du und wir wollen dir wirklich vertrauen, aber du hast überhaupt nicht mit uns gesprochen und das was du getan hast ... Nancy und Steve sagen, dass du stark bist und du hast diese Kräfte und ...«
Ich hebe eine Hand um sie zum schweigen zu bringen. Sofort hält sie inne.
»Ob ich was?«, will ich erneut wissen und ich kann nicht verhindern, dass meine Stimme eine Oktave höher schießt.
Robin zieht eine Grimasse. »Ob du gefährlich bist«, flüstert sie entschuldigend.
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Das letzte Kapitel
Fanfiction»Ich kann euch helfen«, sage ich leise, doch niemand von ihnen scheint mich zu hören. Anstatt mich anzusehen diskutieren und planen sie weiter, als hätte ich gar nichts gesagt. Nicht einmal Steve, der so dicht neben mir steht, dass wir uns beinahe b...