Kapitel 10. Überfall

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Am nächsten Tag schliefen die Drachen lange.
Valka war längst aufgestanden und hatte für das Frühstück gesorgt, als sie aufwachten.
"Ihr lebt wohl sehr luxuriös, wenn ihr euch drei Mahlzeiten am Tag leisten könnt!", sagte Nachtstern, "Aber gut, mir soll's recht sein, solange ich was davon abbekomme!"
"Würdest du es ihnen bringen?", bat die Frau, "Du brauchst es ja nur hinzustellen!"
"Ich denke, es ist an der Zeit, mal mit ihnen zu reden!", sagte der Drache, "Vielleicht lässt sich ja ein Kompromiss schließen!"
"Ich kann gerne noch eine Portion in den Korb tun!", sagte die Wikingerin erfreut, "Ein gemeinsames Frühstück ist doch ein guter Anfang, um Vertrauen aufzubauen!"
"Hmm... vielleicht hast du recht!", sagte die Echse, "Denkst du, sie sind jetzt sehr sauer auf mich, nach dem was ich gestern gesagt habe?"
"Ich... kann es dir nicht sagen!", sagte die Erwachsene, während sie noch etwas in den Korb räumte, "Ich würde gerne sagen, ich bin mir sicher, dass es nicht so ist, aber ich kann es nicht! Ich habe es noch nicht oft miterlebt, doch ich weiß, dass mein Sohn sehr wütend werden kann! Also bitte sei vorsichtig!"
Die Drachin schluckte.
"I... ich... das wird schon!", sagte sie und schnappte sich den Korb.
Ohne ein weiteres Wort flog sie davon.

Auf der kleinen Insel angekommen, war noch niemand zu sehen.
Der Nachtschatten landete leise und schlich zu der Höhle, in der die Reiter sein mussten.
Schon von Weitem hörte sie Stimmen, die nicht gerade freundlich klangen.
Sie versteckte sich neben dem Eingang und lauschte.
"Wieso überfallen wir sie nicht einfach?", fragte Rotzbakke, "Und dann zwingen wir sie, uns auf die andere Insel zu bringen!"
"Nein, das werden wir nicht!", sagte Hicks, "Ohne sie können wir den Kampf gegen Dagur nicht gewinnen! Dafür weiß er zu viel über uns!"
"Und was willst du machen, um sie dazu zu bringen, uns zu helfen?", fragte Astrid, "Sie bitten, dass sie mit uns Frühstückt? Sie wird uns nicht freiwillig zuhören!"
"Doch, wird sie!", sagte der Junge und lief nach draußen, "Wartet nur ab!"

Nachtstern zögerte.
Sollte sie nun zu ihnen gehen oder nicht?
Sie verwandelte sich in ihre Menschengestalt, doch wartete noch ab.
Sie wollte ganz sicher gehen, dass sie sich nicht in Gefahr begab.
Sie beobachtete, wie Astrid sich zu ihrem Freund setzte, welcher einen Arm um ihre Schultern legte.
Einen Moment lang verharrten sie so.
Dann sahen sie sich gegenseitig an und kamen immer näher, bis ihre Lippen sich berührten.
Die Drachin wurde neugierig.
"Ich habe ja schon oft mit Menschen zu tun gehabt, aber so etwas habe ich noch nie gesehen!", sagte sie interessiert, "Was macht ihr da?"
Die Menschen erschraken.
"Am... ähh... Nachtstern?!", fragte Hicks verwirrt, "Du hier?!"
"Jaaa, ich hier!", sagte das Mädchen, "Und ich habe alles gehört! Ich bin hierher gekommen, weil ich mit euch reden wollte, aber vielleicht sollte ich euch noch ein wenig hier schmoren lassen, was meint ihr?"
Sie verschränkte die Arme.
"Mit uns reden?", fragte Astrid verärgert, "Worüber?"
Der Drache seufzte.
"Ich will euch doch nicht ewig hier lassen!", sagte sie, "Ich dachte... vielleicht könnten wir uns zusammen tun...? Ihr wollt es ja scheinbar auch!"
"Uns zusammen tun?!", fragte die Wikingerin, "Erst setzt du uns hier aus und dann willst du auch noch, dass wir dir helfen?"
"Das habe ich nie gesagt!", sagte der Nachtschatten, "Ihr wollt doch auch euer Zuhause zurück, oder nicht?"
"Und was hast du dann davon?", fragte Hicks etwas misstrauisch.
"Wenn wir Dagur aus den Weg räumen, habe ich endlich wieder meine Ruhe!", sagte Nachtstern, "Mehr will ich doch garnicht!"
Während dem Gespräch bemerkte sie nicht einmal, dass die anderen aus der Höhle von hinten auf sie zu kamen.
Der Anführer sah sie immer wieder vorwurfsvoll an, um ihnen zu sagen, dass sie stehen bleiben sollten, doch sie hörten nicht.
Als er immer unruhiger wurde, fing der Drache an, aufmerksam zu werden, und drehte sich um.
Doch es war schon zu spät.
Sie spürte einen starken Schmerz an ihrem Hinterkopf und schließlich wurde vor ihren Augen alles schwarz.

Als sie aufwachte, saß sie in der Höhle.
Sie konnte ihre Hände nicht bewegen und um ihre Beine waren Lianen gewickelt.
Sie sah sich um.
Ihr Kopf schmerzte und sie konnte kaum klare Gedanken fassen.
Alles war verschwommen.
"Was ist...?", keuchte sie leise.
"Sei still!", sagte Taffnuss, der direkt vor ihr stand, und holte sie so zurück in die Realität.
Das Mädchen kicherte leise.
"Ihr seid noch dämlicher als ihr ausseht!", sagte sie, "Ihr glaubt doch nicht im Ernst, dass diese Schnüre mich lange hier festhalten können, oder?"
Sie ruckelte ein bisschen, schon waren ihre Hände wieder frei.
"Wo ist Hicks?", fragte sie und sah die Wikinger mit einem einschüchternden Blick an.
Rotzbakke zeigte zitternd nach draußen.
Die Drachin ging einfach an ihnen vorbei.
Sie holte auf dem Weg den Korb mit Essen, den sie hinter ein paar Bäumen liegen lassen hatte und schlenderte zur Klippe.
Dort saß Hicks und sah in die Ferne.
"Hallo, Kleiner!", sagte Nachtstern und setzte sich mit etwas Abstand neben ihn.
"Du?!", fragte der Junge erstaunt und lächelte, "Die anderen haben wohl keine gute Arbeit geleistet!"
Er verkrampfte sich ein wenig und rückte ein Stück weg.
"Och, die Knoten waren eigentlich ganz gut!", sagte das Mädchen, "Nur die Seile haben nicht gehalten!"
Sie grinste ungewohnt freundlich.
"Hast du Hunger?", fragte sie und gab ihm etwas aus dem Korb.
"Ähh... danke...", sagte der Wikinger etwas verwirrt, "Wieso so fröhlich?"
"Ich... ich will doch nur nett sein!", sagte der Drache, "Anscheinend bin ich ja bei allen bis auf dich unbeliebt! Ich will nur, dass du mich nicht auch zu hassen beginnst!"
"Das stimmt nicht!", sagte der junge Erwachsene, "Meine Mutter hat dich doch auch gern!"
"Und was ist mit den anderen?", fragte der Nachtschatten, "War ich zu streng mit euch? Oder wieso mögen sie mich nicht?"
"Sie brauchen vielleicht noch etwas Zeit!", sagte der Häuptling.
"Und du?", fragte die Drachin, "Wenn du möchtest, kannst du mit mir kommen! Zu Valka und deinem Freund!"
"Nein, danke!", sagte Hicks, "Ich lasse meine Freunde nicht alleine! Geh zurück zu deinem Artgenossen und richte ihm einfach meinen Gruß aus!"
"Ist gut!", sagte Nachtstern und stand auf, "Wir sehen uns zum Mittagessen!"
Sie breitete ihre Flügel aus und flog davon.

Zurück auf ihrer Insel angekommen, legte sie sich neben Schattensturm in den Sand.
"Und, wie war es?", fragte dieser.
"Nicht sehr aufschlussreich!", sagte das Mädchen, "Ich soll dir einen schönen Gruß von Hicks ausrichten!"
"Hat Fischbein auch etwas gesagt?", fragte Fleischklops und machte große Augen.
Hinter ihr standen auch die restlichen drei.
"Die anderen wollten nicht mit sich reden lassen!", sagte der Nachtschatten, "Fischbein war..."
Sie stockte.
"E... er war nicht da!", sagte sie und sprang auf, "Hat einer von euch..."
Die Drachen schüttelten sofort die Köpfe, bevor sie fertig gesprochen hatte.
"Bist du sicher, dass er nicht da war?", fragte Sturmpfeil.
Die Drachin nickte.
"Ich werde noch einmal hinfliegen!", sagte sie und hob sofort wieder ab.
"Darf ich mitkommen?", fragte der Gronkel und begann, zu flattern.
"Solange du mich nicht ausbremst!", sagte die Nachtschattin und flog voran.
Da Hicks noch immer an der Klippe saß, bemerkte er sie als erstes.
Die Drachen landeten einige Meter vor ihm.
"Ist etwas?", fragte der Junge.
"Wo ist Fischbein?", fragte Nachtstern und zauberte ihre Flügel wieder weg, "Er war nicht da, als ich mit euch reden wollte! Fleischklops macht sich Sorgen um ihn!"
"Ähh... gute Frage!", sagte der Wikinger und stand auf, "Wartet kurz, ich sehe nach!"
Dann ging er.

Nach ein paar Minuten kam er zurück.
"In der Höhle war er nicht!", sagte er, "Aber auch die anderen waren nicht da!"
"Was?!", fragte das Mädchen, "Aber sie können doch nicht einfach verschwunden sein! Gehen wir sie suchen!"
"Das wird nicht nötig sein!", sagte plötzlich jemand.
Aus dem Wald trat ein Mann hervor.
"Dagur!", sagte Nachtstern erschrocken, als sie den rothaarigen Mann sah.
"Kennen wir uns?", fragte dieser.
"Ähh... d... das ist Amaya!", sagte Hicks, "Sie ist neu bei uns!"
"Hmm... schön!", sagte der Mann und packte sie am Arm, "Eine Gefangene mehr!"
"Vergiss es!", sagte der Drache und riss sich von ihm los, "Lieber stürze ich mich von dieser Klippe, als mit dir zu kommen!"
Sie lief auf den Abgrund zu und sprang.
Schnell breitete sie ihre Flügel aus und flog geradewegs ins Wasser.
"Wie schade!", sagte der Erwachsene und sah nach unten, "Dabei war sie doch so hübsch, nicht wahr, Bruder?"
Er packte den jungen Häuptling und nahm ihn mit auf das kleine Beiboot, das auf der anderen Seite versteckt war.
Fleischklops konnte entkommen, doch wurde schwer verletzt.
Währenddessen tauchte Nachtstern wieder auf, verwandelte sich zurück und schnappte sich den Gronkel, bevor sie abstürzte.
"Du bist ganz schön schwer!", ächzte die Nachtschattin, als sie zurück auf der anderen Insel waren.
Doch die andere Drachin antwortete nicht mehr.
"Was ist passiert?", fragte Sturmpfeil besorgt.
"Dagur ist passiert!", sagte der Nachtschatten, "Wo ist Valka?"
"Ich bin hier!", sagte die Frau, "Ich werde sofort das Gegengift machen! Die nötigen Kräuter gibt es hier!"
"Du hast das verstanden?", fragte der Drache erfreut, "Siehst du, ich sagte ja, du verstehst uns!"
Dann samnelte sie sich wieder.
"Die Berserker haben die anderen!", sagte sie, "Ich schätze, wir müssen uns kampfbereit machen! Bereite so viel wie möglich von dem Zeug vor! Dann stärken wir uns und suchen sie! Weit können sie noch nicht sein!"

Sobald Fleischklops aufgewacht war und wieder fliegen konnte, flogen die Drachen zusammen auf die kleinere Insel, um nach Spuren zu suchen.
Schnell fanden sie den Ort, an dem das Boot angelegt hatte.
Von dort flogen sie einfach über das Meer.
Nach einiger Zeit konnten sie in der Ferne ein Schiff erkennen.
"Das müssen sie sein!", sagte Valka, "Sie segeln auf Berk zu!"
"Was wollen sie dort?", fragte Nachtstern, "Da gibt es doch nichts, was für sie von Interesse wäre!"
"Ich denke, sie warten auf uns!", sagte die Frau, "Er rechnet wohl damit, dass einer von euch Alarm geschlagen hat!"
"Wohl eher, dass Fleischklops das getan hat!", sagte der Drache, "Er denkt, ich bin tot!"
"Was hast du jetzt vor?", fragte die Wikingerin.
"Hmm... weißt du zufällig, ob er abergläubisch ist?", fragte das Mädchen.
"Ähh... das sind wir Menschen eigentlich fast alle!", sagte die Erwachsene, "Wieso?"
"Na ja... möglicherweise bekommt der Gute bald Besuch von einem Geist!", sagte der Nachtschatten.
"Du meinst...", fragte die Reiterin.
"O ja!", sagte die Drachin, "Wir brauchen nur etwas Farbe! Und ich weiß auch, wo wir die herbekommen!"
Sie machte kehrt und flog geradewegs in die andere Richtung.
Die anderen folgten ihr.
Bald war das Schiff wieder im Nebel verschwunden.

Der Drache, der den Reiter zähmte (Httyd ff)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt