Kapitel 3. Zerbrochene Freundschaft

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Am nächsten Tag waren die beiden noch immer nicht aufgetaucht.
Hicks saß lange an der großen Klippe und sah in die weite Ferne, in der Hoffnung, Ohnezahn würde sich melden.
"Ist er noch nicht zurück?", fragte Astrid mitfühlend.
"Er hat eine neue Freundin gefunden!", sagte Valka, "Ohne sie wird er nicht zurückkehren!"
"Aber Hicks ist doch sein bester Freund!", sagte das Mädchen, "Er sollte mit einem wildfremden Menschen nicht einfach abhauen!"
"Er hat entschieden, dass er mit ihr gehen will!", sagte die Frau, "Und wenn er das so möchte, dann können wir es ihm nicht verbieten! Er ist noch immer ein wildes Tier, Astrid, und er wird im Herzen immer eines bleiben!"
Die junge Reiterin sah sie fassungslos an.
"Wie kannst du nur so etwas sagen?", fragte sie wütend.
Dann rannte sie zu ihrem Freund, um ihn zu trösten.
"Eines Tages wirst du die beiden auch verstehen!", sagte die Wikingerin zu sich selbst und ging zurück ins Haus.

"Du hast das falsch verstanden!", sagte Ohnezahn und lief um seine neue Bekannte herum, "Dagur WAR mal ein Freund von ihnen, bevor sie begriffen haben, dass wir keine bösen Kreaturen sind!"
"Dein Menschenfreund hat klar und deutlich gesagt, dass er ein alter Freund IST!", sagte diese und drehte sich immer wieder weg.
"Er hat gesagt, er ist ein ALTER Freund!", sagte der Drache, "Das heißt so viel wie er ist es nicht mehr! Und wenn doch, dann versichere ich dir, dass er nicht so schlimm ist, wie du denkst! Er ist nur ein wenig... verrückt!"
"Dann geh' doch zurück!", sagte die Echse, "Geh doch zu deinen Freunden! Ich verstehe garnicht, wieso du noch hier bist, wenn es dir bei ihnen so fabelhaft gut gefällt! Wieso bist du mir nachgelaufen?"
"Na ja weil...", sagte Ohnezahn, "Ich habe noch nie einen anderen Nachtschatten getroffen! Ich will nicht für immer alleine sein!"
"Denkst du etwa, mir geht es anders?", fragte Amaya wütend, "Seit 16 Jahren streife ich nun schon alleine umher! Bisher habe ich nur völlig fremde Drachen, oder Drachenjäger getroffen! Jetzt sehe ich endlich einmal jemanden, der zu meiner Art gehört, und der ist das Kuscheltier eines Menschen!"
Der schwarze Drache stockte.
"Ich bin doch kein Kuscheltier!", sagte er, "Hicks ist mein Freund!"
"Pfah!", schnaubte die Echse, "Schöner Freund, den du da hast! Er ist ja nichtmal in der Lage, dir eine richtige Schwanzflosse zu basteln! Es wäre bestimmt irgendwie möglich, eine zu machen, die du selbst steuern kannst!"
"Er hat mir schon einmal eine solche gemacht!", sagte ihr Artgenosse, "Ich habe sie abgelehnt! Vielleicht war das ein Fehler, aber ich stehe dazu!"
"Ist ja egal, ich werde jetzt gehen!", sagte das Mädchen und stieg in die Luft, "Auf Wiedersehen!"
"Warte doch!", sagte der Junge und flog halbwegs auf einen Baum, um näher zu ihr zu kommen, "Lass mich mitkommen!"
"Mitkommen?!", fragte der graue Drache, "Ich werde dich nicht den ganzen Weg schleppen!"
"Und wenn ich mir von Hicks die andere Flosse anlegen lasse?", fragte Ohnezahn bettelnd, "Lass es mich wenigstens versuchen!"
"Na, das will ich sehen, wie du das machst!", sagte Amaya und flog zurück auf den Boden, "Überrasche mich!"
"Das werde ich!", sagte der Drache selbstsicher, "Und ich bringe dir gleich was zu essen mit! Du hast doch sicher Hunger!"
"Da bin ich ja gespannt!", sagte die Echse und leckte sich über die für ihre Art ungewöhnlich langen Echzähne.
Sie sah ihrem schwarzen Freund nach, bis er im Dunkel des Waldes verschwunden war.
Dann zog sie sich zurück in die versteckte Höhle, in der sie die vergangene Nacht verbracht hatten.

Bei den Menschen schien die Zeit noch immer stillzustehen.
Die Freunde saßen nun zusammen an einem Tisch in der großen Halle.
Alle, bis auf Hicks.
Dieser saß noch immer auf der Klippe und starrte auf das offene Meer hinaus.
"Wir müssen doch irgendetwas tun können!", sagte Astrid.
"Der Arme!", sagte Fischbein, "Erst verliert er den Vater und nun auch noch seinen liebsten Drachen!"
"Und der verlässt ihn auch noch wegen einer völlig fremden Frau!", fügte Raffnuss hinzu, "Und sowas nennt sich Freund!"
"Nun mal nicht so voreilig!", mischte Valka sich ein, "Ihr könnt ihn doch nicht gleich völlig abschreiben! Möglicherweise braucht er nur mal ein wenig seine Ruhe!"
In diesem Moment hörten sie ein leises Kratzen an der Tür, bevor sie aufgeschoben wurde.
"Ohnezahn!", rief Astrid erfreut, als sie die Echse sah, und sprang auf, "Du bist zurück!"
Der Drache sah sich nach seinem Freund um, doch konnte ihn nicht finden.
Er legte seinen Kopf schief und sah die anderen Reiter fragend an.
"Hicks ist draußen!", sagte Valka, "Komm mit!"

"Du wirst nicht hierbleiben, habe ich recht?", fragte sie auf dem Weg zur Küste, "Du bist hier, um dich zu verabschieden!"
Ohnezahn brummte und senkte den Kopf.
"Wirst du wiederkommen?", fragte die Frau.
Der Drache verdrehte den Kopf wieder.
"Du weißt es also nicht!", seufzte die Wikingerin, "Du lässt dich vollkommen auf sie ein?"
Die Echse nickte.
"Er wird das nicht gut verkraften!", sagte die Menschenfrau, "Er wird dich nicht einfach so gehen lassen!"
Der Nachtschatten brummte wieder und hopste ein Stück zur Seite.

Kurz darauf kamen sie zur Klippe.
"Mein Freund, du bist zurück!", rief Hicks erleichtert, als er seinen Drachen erblickte.
Er lief auf ihn zu und umarmte ihn, doch Ohnezahn riss sich von ihm los und setzte sich einige Meter entfernt hin.
Die anderen Reiter waren schockiert, als sie das sahen.
Die Mutter des jungen Häuptlings wollte gar nicht hinsehen.
"Was ist...?", fragte der Wikinger fassungslos, "I... ist alles in Ordnung?"
Der Drache sah zu dem großen Berg auf der Insel.
Er spürte, dass der Blick seiner Artgenossin auf ihm ruhte.
Ohne einen weiteren Blick zu seinem Freund rannte er zu ihrem Haus und kletterte durch das Fenster.
"Was hat er vor?", fragte Taffnuss, der garnicht richtig mitbekommen hatte, was passierte.
Der junge Mann lief seinem Drachen sofort nach und verschwand ebenfalls im Haus.
"Ohnezahn?", fragte er, "Was machst du?"
Er fand ihn in seinem Zimmer, als er in einer Kiste herumwühlte.
Schließlich zog er ein Stück schwarzen Stoff heraus, das bei näherem Hinsehen um einige Metallstangen herumgenäht war.
Die Echse legte es auf den Boden und schob es seinem Reiter hin.
Dann schlug er seinen Schweif ein paar mal auf den Boden, sodass die falsche Schwanzflosse sich löste und schließlich abfiel.
Auch den Sattel riss er sich gewaltsam vom Rücken und schleuderte ihn weg.
"Was hat sie mit dir gemacht?", fragte der Wikinger wütend, "Hat sie dir irgendetwas versprochen? Wieso magst du mich nicht mehr?"
Ohnezahn schüttelte sich einmal, als er das hörte und sprang auf seinen alten Freund zu.
Er warf ihn zu Boden und leckte ihm das Gesicht ab, sodass er lachen musste.

"Ok ok, lass das!", sagte der Junge und schob ihn sanft weg, "Was genau willst du von mir?"
Der Drache schob die schwarze Flosse näher zu ihm und legte seinen Schwanz daneben.
Hicks seufzte und befestigte sie an der richtigen Stelle.
Die Echse testete kurz, ob sie funktionierte, und hüpfte dann fröhlich.
"Du verlässt mich also?", fragte der Wikinger traurig.
Die Echse brummte und senkte den Kopf ein kleines bisschen.
"Na, wenigstens bist du nochmal wiedergekommen, um auf Wiedersehen zu sagen!", sagte der junge Häuptling und legte seine Hand auf Ohnezahn's schuppige Schnauze.
In seinen Augen sammelten sich Tränen und innerlich platzte er vor Wut.
Der junge Drache brummte und verschwand schließlich wieder durchs Fenster.
Seinen Freund lies er auf dem Boden kniend zurück.
Die anderen Reiter stürmten sofort zu ihm, als sie den Nachtschatten alleine wegfliegen sahen.
"Was ist passiert?", fragte Astrid.
"Ich war ihm wohl nicht gut genug!", sagte Hicks wütend, "Dieses Mädchen ist ihm wohl deutlich lieber, als ich!"
Er hatte seine Hände zu Fäusten geballt und unterdrückte einige Tränen.
"Wir holen ihn zurück!", sagte das Mädchen und hob ihre Axt, "Egal, was es kostet!"

Ohnezahn flog zur Vorratskammer auf der Insel und schnappte sich einige Fische, bevor er zurück zu seiner Freundin kam.
"Du hast es also geschafft!", sagte diese, "Gut gemacht!"
"Hier, iss erst einmal etwas!", sagte der Drachenjunge und legte ihr die Hälfte der Fische hin, "Ich denke mal, dass wir weit fliegen, oder?"
"Nein, nicht sehr weit!", sagte Amaya, "Aber Stärkung kann nicht schaden! Wir müssen einen großen Weg tauchen!"
"Tauchen?!", fragte ihr Artgenosse, "Wohin fliegen wir?"
"Im Süden von hier liegt die Wechselflüglerinsel, dort gibt es eine Höhle, die man nur durchs Wasser erreichen kann!", erklärte das Mädchen, "Dort sind wir ungestört und in der Nähe liegt eine kleinere Insel, auf der viele Beutetiere rumlaufen!"
"Aber diese Drachen sind gefährlich!", sagte Ohnezahn, "Die machen Jagd auf uns!"
"So weit ich beobachten konnte, sind sie ziemlich wasserscheu!", sagte das Mädchen, "Wir tauchen möglichst früh unter, dann werden sie nicht nachkommen!"
"Warst du schon öfter dort?", fragte der Drache erstaunt, "Du scheinst dich gut auszukennen!"
"Das ist sozusagen mein Unterschlupf!", sagte die Echse, "Ich ziehe mich meistens dorthin zurück, wenn ich mit Jägern Probleme habe! Von diesen Höhlen gibt es mehrere, deshalb bin ich immer woanders!"
"Ich bin schon lange nicht mehr getaucht!", sagte der Junge, "Mal sehen, ob ich es überhaupt noch kann!"
"Das wird schon!", sagte Amaya, "Komm, fliegen wir los, es wird schon dunkel! Ich möchte noch vor Sonnenuntergang dort sein!"
Nur wenige Sekunden später sausten die beiden Seite an Seite über den leuchtend blauen Himmel.

Der Drache, der den Reiter zähmte (Httyd ff)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt